Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Queen und Afrika: Elizabeths Erbe in Kenia
> Die koloniale Hinterlassenschaft wirkt nach. In Kenia, wo die Flaggen auf
> halbmast hängen, hat sie nicht nur das Gesicht des brutalen
> Kolonialkrieges.
Bild: Ein Mann in Nairobi liest vor seinem Laden die Zeitung mit der Nachricht …
Elizabeth II. wurde 1952 in Kenia Königin. Als ihr Vater George VI. starb,
befand sie sich gerade auf Weltreise mit ihrem Ehemann und übernachtete in
Treetops, einer Lodge im kenianischen Aberdare-Nationalpark. Die
Schlafsuite war in einen alten Feigenbaum hineingebaut, mit Blick über ein
Wasserloch. Nach ihrem Dinner traf Elizabeth am Abend dort auf einen
Elefanten. In der Nacht starb im fernen London ihr Vater, aber das erfuhr
sie erst am nächsten Tag in der königlichen Sagana Royal Lodge.
Auf den Stufen vom State House in Nairobi wurde dann die Proklamation von
[1][Queen Elizabeth II.] verlesen. Ein Jäger, der Elizabeth in Treetops
bewachte, schrieb später ins Gästebuch: „Zum ersten Mal in der
Weltgeschichte ist ein junges Mädchen an einem Tag als Prinzessin in einen
Baum gestiegen und am nächsten Tag als Königin vom Baum geklettert.“
Wenige Monate später riefen dieselben britischen Kolonialbehörden in Kenia
den Ausnahmezustand aus, um die [2][Mau-Mau-Rebellion] zu vernichten – die
bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung des Kikuyu-Volkes, die sich in Reaktion
auf die Landnahme durch weiße Siedler im kenianischen Hochland gebildet
hatte. Ganze Landstriche wurden zu Sperrzonen erklärt. Zehntausende
Menschen wurden getötet, Hunderttausende in Lagern interniert.
Der Staatsterror war vergeblich, wie alle europäischen Kriege gegen
afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen. Die Rebellion wurde zerschlagen,
aber die Legitimation der Kolonialherrschaft war dahin. 1963 wurde Kenia
unabhängig, unter Kikuyu-Führer Jomo Kenyatta. Die Spuren der Queen in
Kenia sind auch Spuren des Krieges.
## Mulmig nach dem Tod der Queen
Im Jahr 1953 plünderten Rebellen die Sagana Royal Lodge. Treetops wurde
1954 von Mau-Mau-Kämpfern in Brand gesteckt. Für Elizabeths Sicherheit in
Sagana war der britische Polizeioffizier Ian Henderson zuständig: Er
persönlich spürte am 21. Oktober 1956 den Anführer der Mau-Mau-Rebellion,
Dedan Kimathi, auf, schoss ihn an und verhaftete ihn. Kimathi wurde 1957
gehenkt. Henderson wurde befördert.
Von 1966 bis 1998 leitete er den Inlandsgeheimdienst von Bahrain – eine
typische postkoloniale Karriere: Nicht nur in Großbritannien, auch in
anderen Kolonialmächten haben alte Amtsträger mit Blut an den Händen und
mit Orden überhäuft den neuen Staaten gedient. Henderson erhielt 1984 von
der Queen den Orden des Britischen Empire. Kimathis Grab in Kenia wurde
erst 2019 entdeckt – auf einem Gefängnisgelände. Überlebende des
Mau-Mau-Krieges streiten bis heute für Anerkennung und Entschädigung.
Und so manche Kenianer haben ein mulmiges Gefühl bei der weltweiten
Huldigung für die Queen, die zwar zu militärischen Angelegenheiten
überhaupt nichts zu sagen hatte, aber das dafür verantwortliche System
repräsentierte. Großbritannien war mit seinem Wüten in Kenia keineswegs
allein. Zur gleichen Zeit überzog [3][Frankreich seine Algerien-Kolonie]
mit noch viel blutigerem Terror, Hunderttausende starben. Eine kleinere
Version davon wiederholte Frankreich in Kamerun.
Belgien setzte beim [4][Abzug aus Ruanda ab 1959] und [5][Kongo 1960
blutige Konflikte] in Gang, die bis heute andauern. Der Kampf zwischen
weißem Herrschaftsanspruch und schwarzem Freiheitsanspruch zerriss ganz
Afrika. Ab den 1960er Jahren kamen die Freiheitskriege in den ehemaligen
portugiesischen Kolonien Angola, Mosambik und Guinea-Bissau dazu, ab den
1970er Jahren in Rhodesien (heute Simbabwe), und der Umgang mit der weißen
Apartheidherrschaft in Südafrika überschattete die Beziehungen zwischen
Afrika und dem Rest der Welt.
## Kein Bruch mit dem Empire
Wer sich wundert, warum viele afrikanische Länder heute noch Sympathien für
Moskau hegen und warum viele Afrikaner westliche Diskurse über universelle
Freiheitswerte als verlogene Heuchelei abtun, muss nur einen Blick in die
Geschichtsbücher werfen und auf Ereignisse, die viele Menschen in Afrika
nicht aus Büchern, sondern aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern
kennen, besonders in den ehemaligen Siedlerkolonien: Algerien, Simbabwe,
Namibia und eben Kenia, mit dem Sonderfall Südafrika.
Aber die ehemaligen Kolonien haben mit dem Empire nicht gebrochen. Sie
haben es im besten dialektischen Sinne „aufgehoben“, sein Erbe
verinnerlicht und für ihre eigene Neuerfindung angenommen. Das
englischsprachige Afrika bewegt sich mit großer Selbstverständlichkeit im
englischsprachigen Kulturraum, der längst ein globaler ist.
Das Commonwealth blüht in Afrika regelrecht auf: in den letzten Jahren sind
Ruanda und Mosambik, Togo und Gabun als Neumitglieder zu dem Klub der
Empirenachfolgestaaten dazugestoßen und verändern damit langsam das
Selbstverständnis dieser nunmehr von Charles III. geführten Institution.
Kenias Elite floriert in englischen Clubs und an englischen Universitäten,
Nairobis Start-Up-Szene ist eng mit London verbunden, das britische Militär
trainiert bis heute in Kenia.
All dies wäre für Frankreich in Algerien undenkbar. Auch das Denken der
einstigen weißen Landbesitzer in Kenia, das Land als riesigen Freizeitpark
zu betrachten, überdauert im militärisch abgesicherten Tier- und
Naturschutz. Der britische Idealismus ab 1945, als Großbritanniens
Labour-Regierung junge Entwicklungshelfer ins Empire entsandte, um dort
Aufbauarbeit zu leisten, lebt weiter in der modernen Entwicklungspolitik.
Aus Nairobis Stadtautobahn „Princess Elizabeth Way“ mag längst die „Uhuru
Avenue“ geworden sein, die Freiheitsallee; aber dieser Tage wehen auch in
Kenia die Flaggen auf Halbmast, es gilt Staatstrauer, dekretiert von
Präsident Uhuru Kenyatta, Sohn des Unabhängigkeitsführers. Und es liegt ein
Kondolenzbuch im wiederaufgebauten Treetops, eingerichtet von pensionierten
Angestellten, darunter ein Enkel von Elizabeths Koch. Ein Journalist
berichtete, es gebe einen einzigen Eintrag – von einem britischen
Armeemajor.
11 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=UZe_omSv8FE
[2] /Ethnische-Spannungen-in-Kenia/!5187208
[3] /Kolonialverbrechen-Frankreichs/!5757403
[4] /Schwerpunkt-Voelkermord-in-Ruanda/!t5013600
[5] /Kongo/!t5008285
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Afrobeat
Queen Elizabeth II.
Kenia
Kolonialismus
GNS
Kolonialverbrechen
König Charles III.
Kolumne Fernsicht
Queen Elizabeth II.
Queen Elizabeth II.
Kenia
## ARTIKEL ZUM THEMA
Steinmeier und König Charles in Afrika: Verbeugungen vor der Geschichte
Der Bundespräsident entschuldigt sich in Tansania für Kolonialverbrechen.
Großbritanniens König Charles nennt sie derweil in Kenia „unentschuldbar“.
Kritik an royalem Staatsbesuch: Keith statt Charles
König Charles III. besucht Deutschland. Für Donnerstag ist auch ein
Auftritt im Bundestag geplant. Die Linkspartei macht einen
Alternativvorschlag.
Wahlen in Kenia: Präsident Ruto, der Dynastienkiller
Mit der Amtseinführung von William Ruto beginnt in Kenia eine neue Ära. Der
„Hustler“ steht für die, die es durch harte Arbeit geschafft haben.
Vereinigtes Königreich in der Krise: Das Ende eines Zeitalters
Schwierige Transformation in Großbritannien: Wie liegen die Dinge auf der
Insel nach den Machtübernahmen von Premier Liz Truss und König Charles
III.?
Gedenken an Elizabeth II. in Berlin: Eine Winke-Queen als Erinnerung
Auch in Berlin gedenken zahlreiche Menschen der verstorbenen britischen
Monarchin. Koloniale Schattenseiten ihrer Regentschaft spielen keine Rolle.
Queen Elizabeth ist tot: Weltweite Trauer um die Queen
Der Tod von Elizabeth II. sorgt international für bewegende Reaktionen.
Auch in Deutschland. Die Queen hat Zeitgeschichte geschrieben und erlebt.
Terrorismus in Kenia: Anschlag auf Hotel in Nairobi
Bei einem Angriff von Al Shabaab in Nairobi sind mehrere Menschen getötet
worden. Kenia ist immer wieder Ziel der Terrormiliz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.