# taz.de -- Affäre um Berliner Bezirksbürgermeister: Neun Mal Daumen runter | |
> Im Bezirksparlament Mitte hinterfragt nur die AfD den Rauswurf von | |
> Rathauschef von Dassel (Grüne). Seine Abwahl in zwei Wochen gilt damit | |
> als sicher. | |
BERLIN taz | Man kann sich seine Unterstützer nicht immer aussuchen. Der | |
Mann, der am Debattenende am Donnerstabend [1][im Bezirksparlament von | |
Mitte] ans Mikro tritt, warnt vor einer vorschnellen Abwahl von | |
Bürgermeister Stephan von Dassel: Das zu tun, bevor das offizielle | |
Disziplinarverfahren abgeschlossen ist, könne im öffentlichen Ansehen | |
schädlicher sein, als das kritisierte Handeln von Dassels. | |
So ähnlich hatte sich jüngst auch der Grünen-Kreisvorstand geäußert und | |
damit das Vorgehen der eigenen Fraktion kritisiert. Im Sitzungssaal des | |
Rathauses aber kommen die Worte am Donnerstagabend vom AfD-Vertreter Kai | |
Borrmann. | |
Vor ihm ist bildlich gesprochen in neun Redebeiträgen der Daumen neun Mal | |
nach unten gegangen. Für den Bürgermeister spricht keiner. Vertreter von | |
CDU, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei kündigen an, [2][die von CDU und FDP | |
beantragte Abwahl] zu unterstützen. Das passiert allerdings noch nicht an | |
diesem Abend: Die Geschäftsordnung sieht dafür zwei Sitzungen vor. Die | |
Abwahl eines Bezirksbürgermeisters gilt als ein Novum, ein anderer Fall | |
dieser Art in Berlin ist nicht bekannt. | |
Fast einhellig führen die Kritiker fraktionsübergreifend zerstörtes | |
Vertrauen in die Arbeit des Bürgermeisters an. Tenor: Sie alle hätten sich | |
an Regeln zu halten, auch wenn das manchmal misslich sei, und für den | |
Bürgermeister als exponiertesten politischen Vertreter des Bezirks würde | |
das am meisten gelten. Bei den beiden Reden der Linksfraktion wird es dann | |
noch ein bisschen heftiger – eine Rednerin war von den Grünen dorthin | |
gewechselt, offenbar auch wegen von Dassel. | |
Der grüne Bürgermeister selbst, seit 2016 im Amt und in Teilen seiner | |
Partei [3][schon länger in der Kritik], hat als Erster zu den Vorwürfen | |
gegen ihn gesprochen. Er hatte im Frühjahr nach einem Auswahlverfahren für | |
eine wichtige Leitungsstelle den unterlegenen Bewerber dazu bringen wollen, | |
nicht gegen diese Auswahl zu klagen. Das hätte – wie von Dassel mit einem | |
anderen Fall belegt – mutmaßlich für eine mehrjährige Vakanz auf dem | |
zentralen Posten im Bezirksamt gesorgt. | |
Sein Vorgehen bestreitet von Dassel nicht, wohl aber, dass er dem Mann für | |
seinen Rückzug Geld aus seiner eigenen Tasche geboten haben soll. | |
Entsprechende Behauptungen lässt er inzwischen von einem prominenten | |
Medienanwalt verfolgen. | |
Von Dassel hatte dem Mann Anfang April eine SMS geschickt, die sich | |
durchaus in dem Sinne verstehen lässt, dass er aus eigener Tasche zahlen | |
wollte, auch wenn die Nachricht keinen Betrag nennt oder von Geld spricht. | |
Ihn offiziell mit drei Monatsgehältern aus dem Bezirkshaushalt abzufinden, | |
war aus Sicht der Rechtsexperten im Rathaus nicht möglich gewesen. Der | |
Versuch einer Einigung mit dem unterlegenen Bewerber an und für sich sei | |
„nicht Standard, aber auch nicht unüblich, auch nicht im Land Berlin“, sagt | |
er. | |
Die SMS selbst nennt von Dassel „in höchstem Maße missverständlich“ und | |
eine „Dummheit“. Niemals hätte sie von einem Bezirksbürgermeister | |
kommuniziert werden dürfen. Er habe damit das Vertrauen in seine Person und | |
in das Amt des Bezirksbürgermeisters gefährdet und dem Ansehen der grünen | |
Partei geschadet, was er bedaure. Warum er sich so missverständlich | |
ausdrückte, „das ist mir selbst nach wie vor nicht klar“. Er könne aber | |
wirklich mit ganz reinem Gewissen sagen, dass „ich nur das Beste für den | |
Bezirk und das Land Berlin wollte und will“. | |
Zurücktreten, wie an diesem Abend erneut verlangt, mag er nicht. Das würde | |
aus seiner Sicht Vorwürfe bestätigen, „die so nicht wahr sind“. | |
Entscheidend ist für ihn das vorletzte Woche angelaufene | |
Disziplinarverfahren gegen ihn, das in der Senatskanzlei geführt wird. | |
„Bevor dieses Ergebnis vorliegt, kann ich die von vielen von Ihnen | |
geforderten politischen Konsequenzen für mich nicht ziehen.“ Interessant | |
ist in dem Zusammenhang allerdings, dass von Dassel im Falle eines | |
Rücktritts kein Ruhegehalt oder sonstige Versorgungsbezüge zustehen würden. | |
Bei einer Abwahl wäre das anders. | |
## „Irreparable Schäden“ | |
Das überzeugt merklich keinen von denen, die nach nach ihm ans Redepult | |
treten. Konsens ist: Der Zweck könne und dürfe nicht die Mittel heiligen. | |
Von einer „irreparablen Grenzüberschreitung“ spricht die SPD, „irreparab… | |
Schaden“ stellt die Linkspartei fest, ein „Stoppschild“ habe er überfahr… | |
meint die FDP. Und bei von Dassels eigener Fraktion heißt es: „Sein | |
Verhalten widerspricht den grünen Grundwerten.“ | |
Für die Sozialdemokraten soll entscheidend gewesen sein, dass von Dassel in | |
einem Gespräch mit der SPD-Fraktion nicht den Eindruck erweckt habe, | |
künftig nicht erneut „Lösungen außerhalb der Zwänge des Amtes zu suchen�… | |
Grund, mit der Abwahl zu warten, sieht niemand außer dem AfD-Redner. „Das | |
Disziplinarverfahren hat gar nichts mit der politischen Bewertung zu tun“, | |
heißt es etwa von der CDU. | |
Verteidigende Worte kommen auch nicht von jenen Grünen, die sich | |
frakionsintern dagegen aussprachen, von Dassel abzuwählen. Acht zu sechs | |
bei zwei Enthaltungen und einer Nichtbeteiligung soll die nicht-öffentliche | |
Abstimmung dort ausgegangen sein, also nur mit einer relativen Mehrheit, | |
keiner absoluten. Der Grünen-Kreisvorstand, Vertretung der rund 2.100 | |
Parteimitglieder im Bezirk Mitte, hält der Fraktion Berichten zufolge eine | |
basisferne Entscheidung vor, die den Ausgang des Disziplinarverfahrens | |
hätte abwarten müssen. | |
## Von Dassel redet nüchtern, wie es seine Art ist | |
Von Dassel klingt naturgemäß nicht euphorisch, aber auch nicht bestürzt. | |
Eher nüchtern redet er, wie es eben seine Art ist. Von dem, was in zwei | |
Wochen an gleicher Stelle passieren wird, wenn die Abstimmung über den | |
Antrag ansteht, hat er ein ziemlich klares Bild: „Ich ahne, dass meine | |
Abwahl kaum zu verhindern ist.“ | |
26 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenver… | |
[2] https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenver… | |
[3] /Kandidatenwahl-open-air/!5714349 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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