# taz.de -- Grüner Wechsel in Berlin-Mitte: Stefanie Remlingers Comeback | |
> Die Bildungsstadträtin ist bereit, neue Bezirksbürgermeisterin von Mitte | |
> zu werden. Zunächst aber muss Stephan von Dassel abgewählt werden. | |
Bild: Stefanie Remlinger ist bereit für den Chefinsessel | |
BERLIN taz | Gibt es da eine gewisse Genugtuung? Stefanie Remlinger, vom | |
linken Flügel ihrer grünen Parteifreunde 2021 aus der | |
Abgeordnetenhausfraktion gedrängt, wird voraussichtlich neue | |
Bürgermeisterin in Mitte. Ausgerechnet sie, die Reala, käme durch die von | |
Parteilinken befeuerte schnelle Abwahl des grünen Bürgermeisters Stephan | |
von Dassel an die Spitze des Bezirks. | |
Remlinger mag der taz das mit der Genugtuung natürlich nicht bestätigen. | |
Aber zur Bürgermeisterei ist die 51-jährige gebürtige Schwäbin und | |
Noch-Bildungsstadträtin bereit. „Wenn die grüne Basis es möchte, stehe ich | |
zur Verfügung“, sagt sie der taz. | |
Zuvor aber steht am Donnerstag in einer [1][Sondersitzung des | |
Bezirksparlaments] die Abwahl von von Dassel an, der Amt und privates | |
Engagement zu wenig getrennt haben soll. Unterstützung dafür haben in einer | |
ersten Sondersitzung am 25. August alle Fraktionen außer der AfD | |
angekündigt. Die hielt es für sinnvoller, erst den Ausgang eines | |
Disziplinarverfahrens gegen von Dassel abzuwarten, das derzeit in der | |
Senatskanzlei läuft. So vorzugehen wäre auch dem Grünen-Kreisvorstand in | |
Mitte lieber gewesen. Der grenzte sich mit dieser Haltung von der eigenen | |
Fraktion ab: Die hatte ungeachtet eines Verfahrens intern mit knapper | |
Mehrheit beschlossen, von Dassel abzuwählen. | |
## Nicht mehr haltbar | |
Hintergrund ist: Der Noch-Bürgermeister hatte sich persönlich in einem | |
Bewerbungsverfahren für eine wichtige Leitungsposition engagiert. Weil | |
wegen einer Klage die Besetzung möglicherweise jahrelang blockiert gewesen | |
wäre, versuchte von Dassel, den unterlegenen Bewerber zum Rückzug zu | |
bewegen. Der Vorwurf: Er habe ihm aus seiner eigenen Tasche Geld dafür | |
geboten, rund 16.000 Euro. | |
Eine solche Quasi-Abfindung aus dem Bezirkshaushalt zu bezahlen hatten | |
Rechtsexperten im Rathaus zuvor als nicht machbar angesehen. Von Dassel | |
bestreitet, eine private Zahlung angeboten zu haben. Eine SMS von ihm lässt | |
sich aber durchaus so verstehen. Er selbst nennt diese Nachricht „in | |
höchstem Maße missverständlich“ und eine „Dummheit“. Ihm sei „nach w… | |
nicht klar“, warum er die SMS so formulierte, sagte er in der | |
Sondersitzung. Seine eigene Fraktion und die politische Konkurrenz sehen | |
das Vertrauen in ihn irreparabel gestört. | |
Die Zeit seiner mutmaßlichen Nachfolgerin Remlinger als Profipolitikerin | |
schien eigentlich Ende April 2021 beendet. Beim damaligen | |
Grünen-Landesparteitag mochte die Parteilinke die profilierteste | |
Schulpolitikerin der Abgeordnetenhausfraktion nicht auf einem vorderen | |
Listenplatz sehen, der sie sicher wieder ins Parlament gebracht hätte. Auf | |
Platz 17 landete Remlinger am Ende. Nur die ersten 13 kamen nach der | |
Abgeordnetenhauswahl im folgenden September rein. | |
„Ihr Wissen schien für die Berliner Politik verloren“, kommentierte das der | |
Tagesspiegel später – wären da nicht die Grünen im Kreisverband Mitte | |
gewesen. Die hatten nach der Wahl im Bezirk das Bildungsressort zu besetzen | |
und suchten nach einer geeigneten Stadträtin. Remlinger zu holen, die | |
zugleich eine ausgewiesene Haushaltspolitikerin ist, wurde auch von | |
Elternseite in dem Bezirk begrüßt, in dem die landesweite Schulbauoffensive | |
von besonderer Bedeutung ist. Ziemlich schnell ließ sie mit einer | |
ungewöhnlichen Personalie aufhorchen, als sie den SPD-Mann und | |
Ex-Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles als Berater zu sich holte. | |
Frühere Wegbegleiter im Abgeordnetenhaus bescheinigen ihr | |
fraktionsübergreifend große Kompetenz und Verlässlichkeit. Ihre Arbeit sei | |
„von hoher Fachlichkeit geprägt“, sagt etwa der FDP-Landesparlamentarier | |
und Bildungsexperte Paul Fresdorf der taz. „Sie ist jemand, der auf | |
Ausgleich bedacht ist, und das kann in dem neuen Amt sicher nicht schaden.“ | |
Andere bestätigen das und heben dabei auch ihre Beharrlichlichkeit hervor. | |
## Nur noch zwei Posten | |
Dass nun die Reala Remlinger auf von Dassel folgen dürfte und niemand von | |
außen an die Spitze des Bezirks rückt, hätte sich die Parteilinke | |
mutmaßlich anders gewünscht. Doch inzwischen haben sich in Mitte die | |
Gewichte im sechsköpfigen Bezirksamt verschoben. | |
Bisher haben die Grünen gemäß dem Wahlergebnis vom 26. September 2021 drei | |
Sitze, je ein Stadtratsposten entfällt auf die SPD, die Linkspartei und die | |
CDU. Nach dem Wechsel einer Grünen zur Fraktion der Linkspartei hat sich | |
die Grundlage für diese Aufteilung aber verändert. Das nach seinem Erfinder | |
so genannte [2][D'-Hondt-Verfahren] weist den Grünen nun nur noch zwei | |
statt drei Plätze im Bezirksamt zu, der SPD hingegen einen mehr. | |
Die Grünen hinterfragen zwar noch rechtlich, ob ein Fraktionswechsel dafür | |
überhaupt bedeutsam ist und es nicht allein auf das Wahlergebnis vom 26. | |
September 2021 ankommt. Für die Senatsverwaltung für Inneres aber ist die | |
Sache klar: „Entscheidend bei der Besetzung des Bezirksamtes sind die | |
aktuellen Kräfteverhältnisse“, sagte deren Sprecherin Sabine Beikler auf | |
taz-Anfrage. Nach einem Rücktritt oder einer Abwahl von von Dassel haben | |
die Grünen nur noch das Vorschlagsrecht für zwei Bezirksamtsmitglieder, | |
nicht wie bisher für drei. | |
Für die Besetzung des Bürgermeisterpostens kommen bei den Grünen deshalb | |
nur die beiden derzeitigen Stadträtinnen infrage: Remlinger und die | |
38-jährige vormalige Verwaltungsrichterin Almut Neumann, zuständig unter | |
anderem für Verkehr und das Ordnungsamt. | |
## Remlinger ist die Favoritin | |
Remlinger ist dabei als frühere Parteichefin in Pankow, | |
Fraktionsvorsitzende im dortigen Bezirksparlament und mit zehn Jahren im | |
Abgeordnetenhaus, als die politisch weit erfahrenere anzusehen. Bei einer | |
Mitgliederversammlung der Mitte-Grünen, deren 2.100 Mitglieder den größten | |
Kreisverband der Partei in Berlin bilden, hat sie sich vergangene Woche | |
bereits als Nachfolgekandidatin angeboten. | |
Für ihre Wahl müssen aber die Sozialdemokraten mitziehen, bisher Partner in | |
der Zählgemeinschaft, wie eine Koalition in den Bezirksparlamenten heißt. | |
Darauf läuft es offenbar auch hinaus: „Die SPD Mitte möchte die | |
Zählgemeinschaft grundsätzlich fortsetzen“, sagte Kreischefin Julia | |
Plehnert, am Samstag der taz. Dazu stehe man mit den Grünen in einem guten | |
Austausch. „Die genauen Punkte hierzu müssen dann nach einer möglichen | |
Abwahl gemeinsam vereinbart werden.“ | |
Problematisch für die Grünen ist allerdings die feste Zuordnung von | |
Aufgabenbereichen im Bezirksamt: Als Bürgermeisterin wäre Remlinger nicht | |
länger für die Bildungspolitik zuständig, wofür sie extra geholt wurde, | |
sondern für Finanzen und Personal. Das Bildungsressort ist zu groß, um es | |
zusätzlich weiter betreuen zu können. | |
Für FDP-Mann Fresdorf ist das nicht irgendein Wechsel: „Das wird ein | |
Verlust für die Bildungspolitik und Berlin sein, wenn Frau Remlinger diesen | |
Bereich verlässt.“ | |
5 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenver… | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/D%E2%80%99Hondt-Verfahren | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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