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# taz.de -- Abwahl des Bürgermeisters von Mitte: Kurzer Prozess
> Das Bezirksparlament von Mitte hat Stephan von Dassel ohne Gegenstimme
> seines Amtes enthoben. Es ist ein tragischer Moment für ihn – und die
> Grünen.
Bild: Sein Abschied als Bürgermeister: Stephan von Dassel am Donnerstagabend i…
Berlin taz | Die Hälfte seines Lebens hat Stephan von Dassel für die Grünen
Politik in Mitte gemacht. 23 Jahre lang war er erst Abgeordneter des
Bezirksparlaments, dann Stadtrat, ab 2016 schließlich Bürgermeister. Das
[1][Ende dieser langen politischen Karriere] zu besiegeln, dauert neun
Minuten.
Es müssen schlimme Minuten sein für den 55-Jährigen. Er sitzt an diesem
Donnerstagabend in einer Reihe mit den anderen Stadträt*innen am
Kopfende des Saals im Rathaus Mitte, in dem die
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) für diese Sondersitzung
zusammengekommen ist: ganz dunkel gekleidet, rechts neben ihm SPD-Stadtrat
Ephraim Gothe, der am Ende dieser neun Minuten kommissarisch seine
Nachfolge übernehmen wird, links neben ihm seine Fahrradtasche.
Von Dassel wirkt müde, enttäuscht, blickt meist starr in den Saal, in dem
die 47 anwesenden Bezirksparlamentarier über seine Abwahl entscheiden.
Draußen regnet es in Strömen.
Dieser kurze Abend ist ein Lehrstück, was Politik auch ausmacht: Wie
schnell Macht zerfallen kann, dass Loyalitäten immer auf Zeit geschmiedet
sind, Rückhalt brüchig ist. Und dass es kein Mitleid gibt, selbst wenn
etwas tragisch endet.
## Schnell fallen gelassen
In diesem Fall nicht nur tragisch für von Dassel, sondern für die Berliner
Grünen insgesamt. Kaum jemand in höheren Funktionen will sich zu der Causa
öffentlich äußern. Sie alle wissen: Ganz sauber war das eigene Vorgehen
nicht. Und auch das gilt für beide Seiten. Denn wie schnell die Grünen
ihren Bezirksbürgermeister fallen ließen, ist schon bemerkenswert.
Von Dassel wird sein Verhalten in einem Verfahren zur Besetzung einer für
ihn zentralen Stelle im Bezirksamt vorgeworfen. Von Dassel soll versucht
haben, einen bei der Stellenbesetzung unterlegenen Bewerber mit Hilfe einer
Geldzahlung davon abzubringen, gegen die Entscheidung zu klagen. Von Dassel
bestreitet, dem Mann Geld angeboten zu haben; eine öffentlich gewordene SMS
von ihm lässt sich aber so interpretieren.
Kurz vor den Sommerferien wird der Vorfall öffentlich. Und rasant lichten
sich die Reihen derer, die ihn noch unterstützen. Die Opposition aus CDU
und FDP fordert seinen Rücktritt, Linke, SPD und selbst die Grünen
schließen sich bald an. Von Dassel lehnt einen solchen Schritt mehrfach ab;
er leitet ein Disziplinarverfahren gegen sich bei der Regierenden
Bürgermeisterin ein. Und noch an diesem Abend in der BVV ist er davon
überzeugt, dass dessen Ergebnis ihn von allen Vorwürfen „reinwaschen“ wir…
auch wenn er inzwischen Fehler eingestanden und die SMS als „Dummheit“
bezeichnet hat.
Die [2][Grünen-Fraktion in Mitte ist froh, von Dassel aus diesem Anlass los
werden zu können] – das ist zumindest der breite Eindruck nach außen. Ihn,
der als Bürgermeister immer wieder mit für Grüne provozierenden
Law-and-Order-Anwandlungen für Aufruhr gesorgt hat, etwa wenn es um
Alkoholverbote in Parks ging, um die Abschiebung Obdachloser nach
Osteuropa, den Umgang mit Straßenprostitution. Ihn, der oft eher
pragmatisch als grün wirkte.
Zum Beispiel hatte sich von Dassel in einem [3][taz-Gespräch mit Monika
Herrmann] 2018 klar abgegrenzt von der damaligen grünen Bürgermeisterin des
Nachbarbezirks Friedrichshain-Kreuzberg und Aushängeschild des linken
Flügels: „Was uns trennt: Ich will zeigen, dass ich Recht und Ordnung
umsetze. Die Regeln gelten für alle.“
## Das gab es noch nicht
Für einen Rücktritt gibt es keine Regeln. Sie sind Ermessenssache des oder
der Betroffenen. Manche kleben trotz zahlreicher triftiger Verfehlungen am
Amt, Bundesverkehrsminister der CSU gehören häufiger zu der Sparte. Über
andere sagt man im Nachhinein, sie seien zu früh, zu schnell, aus letztlich
unerheblichen Grünen zurückgetreten. Sicher ist: Einen erzwungenen
Rücktritt eines Bezirksbürgermeisters gab es in den vergangenen Jahrzehnten
nicht, eine Abwahl durch das Bezirksparlament erst recht nicht.
Damit diese nicht leichtfertig passiert, sind dafür [4][zwei
Sondersitzungen vorgeschrieben], zwischen denen zwei Wochen liegen müssen.
Diese hier, am Donnerstagabend, ist die zweite. Man habe Zeit gehabt zum
Nachdenken, erklärt der einzige Redner der Debatte, ein CDU-Abgeordneter.
Die Auffassung der Angelegenheit habe sich in seiner Fraktion aber nicht
verändert; man fordere die restlichen Parlamentarier auf, den CDU-Antrag
auf Abwahl zu unterstützen.
Das passiert dann auch. 43 der anwesenden Abgeordneten stimmen für den
Antrag, 4 enthalten sich, drei davon bei den Grünen, von denen 15 der
insgesamt 17-köpfigen Fraktion erschienen sind. Es gibt keine Gegenstimme.
Um 17.41 Uhr an diesem Donnerstagabend ist von Dassel als Bürgermeister von
Mitte Geschichte.
Nur ganz kurz blitzt auf, dass es auch eine menschliche Ebene der
Zusammenarbeit – zumindest innerhalb des sechsköpfigen Bezirksamts –
gegeben hat. Ephraim Gothe spricht in seiner Rede, in der er ankündigt, die
Amtsgeschäfte des Bürgermeisters bis zu einer [5][Wahl einer
Nachfolger*in] zu übernehmen, von Dassel mit „Lieber Stephan“ an, um
dann wieder ins „Sie“ überzugehen. Und immerhin die grüne Stadträtin Alm…
Neumann verabschiedet sich von von Dassel kurz persönlich. Alle anderen
Grünen ignorieren ihn.
9 Sep 2022
## LINKS
[1] /Gruene-waehlen-gruenen-Buergermeister-ab/!5880842
[2] /Affaere-um-Bezirksbuergermeister/!5872054
[3] /Berlins-Gruene-werden-40-Jahre-alt/!5536482
[4] /Affaere-um-Berliner-Bezirksbuergermeister/!5877217
[5] /Gruener-Wechsel-in-Berlin-Mitte/!5876246
## AUTOREN
Bert Schulz
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