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# taz.de -- Die Wahrheit: Assonanz-Bomber im Tiefflug
> Fehler finden in der Jungkunzerei: Was treibt eigentlich der
> „Chefpublizist“ der „Nürnberger Nachrichten“?
Bild: Ein Interview mit dem guten alten Ozzy Osbourne löst in Franken Publizis…
Gab es nicht mal auf den bunten Seiten der Tageszeitungen Rätselaufgaben,
die „Finden Sie die Fehler im Text!“ oder so ähnlich hießen? Oder
verwechsle ich das mit Klassenarbeiten in der Unterstufe, bei denen man
logischen, inhaltlichen und grammatikalischen Murks aufspüren sollte?
Anders gefragt: Wie ungebildet, intellektuell verschlampt, wirrschädelig,
faul, lustlos und deppert muss man sein, um in Deutschland Journalist zu
werden und dann gar den Posten eines – wirklich wahr – „Chefpublizisten�…
bekleiden?
Meine Mutter attestiert mir mittlerweile grinsend eine gewisse Form von
Manie. Mein Vater lacht. Wenn ich in Franken bin und morgens in der Küche
die Kaffeethermoskanne hole, sage ich als Erstes: „Und? Ein neuer
Jungkunz?“ Und an vier von sechs Wochentagen replizieren meine Eltern:
„Dein Tag ist gerettet!“ Und manchmal: „Und heute sogar zwei Jungkünze!�…
Alexander Jungkunz – „ein Name, den man sich merken muss“ (Ernst Huberty).
Der Assonanz-Bomber Jungkunz ist tatsächlich „Chefpublizist“ der Nürnberg…
Nachrichten, und ich hoffe doch stark, dass er qua seines phänomenalen
Amtes diese Blattruine endgültig in den Abgrund hinabstößt.
## Unübertrefflich kaputt
Die Chancen stehen bestens. Alexander Jungkunz bringt es fertig, absolut
nichts zu können. Er kann nicht schreiben, er weiß vollkommen nichts, er
versteht nicht einmal eine Suchmaschine zu benutzen. Jüngst bestückte er
nach einem Interview mit Ozzy Osbourne in der Süddeutschen Zeitung die
Seite eins mit einer Glosse zum „Bibbern der Grusel-Rocker“, und die war
derart bekloppt und schauderhaft und unübertrefflich kaputt, dass ich vor
Lachen aus dem Lesesessel fiel.
Finden Sie die Fehler? Finden Sie eine Halbinformation, die halbwegs
stimmt! „Nahezu ausgestorben sind die Bombast-Rocker wie Yes, die sich
durch stundenlange, höchst komplexe Song-Konstrukte kämpften“, röhrt der
alte Junghirschsack los, und dazu sei angemerkt:
Erstens sind Yes keine „Bombast-Rocker“. Yes haben das Genre des Artrock
mitbegründet. Zweitens zeugen ihre Kompositionen von einer melodischen und
instrumentellen Zartheit und Schönheit, von einer schwebenden Sorgfalt und
äquilibristischen Genauigkeit, die jede Assoziation mit Kampf, Krawall und
Gewürge konterkarieren. Drittens sind Yes nicht „nahezu“ ausgestorben,
sondern quicklebendig – wie viele andere Artrock-Bands, die ein Revival
erleben und sich eines auch sehr jungen Publikums erfreuen. Viertens
existieren stundenlange Lieder von Yes nicht. Die längsten Stücke bringen
es auf roundabout zwanzig Minuten. Sogar das recht berühmte Konzeptalbum
„Tales from Topographic Oceans“ ist viergeteilt.
Wenn überhaupt, kamen die Folk- und Experimental- und Totalrocker Mike
Oldfield und Jethro Tull in die Nähe der Sechzig-Minuten-Marke, mehrere
Stunden widmeten auch sie keinem einzigen „Song-Konstrukt“. Das schert den
Chefpublizisten nicht – genauso wenig wie das Gespür für Witz, das ein
untrügliches Anzeichen eines humanen Charakters wäre.
Stattdessen kotzt Jungkunz im nächsten Satz Folgendes hin: „Glam-Rock
gibt’s auch nur noch bei Oldie-Konzerten, wo Sweet dafür sorgen, dass
Rentner ihre Rollatoren rhythmisch rütteln.“ Barer Unsinn, eine
zehnminütige „Recherche“ auf Youtube bewiese das Gegenteil: Glam-Rock lebt
in junger Blüte, oder wie es Empire of the Sun singen: „We Are the People.“
Das sollte ich meiner Mutter, die den Jungkunz in der Regel ignoriert und
die sich mit ihrem zerstörten Rücken am Rollator über den Hof und durch den
Garten quält, weil sie, so irgend möglich, ihre geliebten Blumenbeete hegen
will, mal vorlesen. Vielleicht würde sie die Zeitung, die diesen
Alliterations-Anstreicher beschäftigt und zum Chefpublizisten gekürt hat,
endlich abbestellen.
## Mief der Verachtung
Der ganze fünfunddreißigzeilige Glossenstiefel marschiert auf diese Manier
weiter. Praktisch nichts stimmt. Er mieft vor Verachtung des Alters
(„Geblieben sind die Grusel-Rocker, die auch als Geisterbahn-Figuren
unterkommen, wenn es im Rock-Business mal nicht mehr so rollt“ – haha), und
der Hass auf die Beschädigten paart sich traditionell mit bestialischer
Blödheit, aka von Ahnungslosigkeit gespeister Herablassung.
„Alice Cooper ist noch auf Achse“? Richtig. Und? Und zwar, von dem
notorisch abgewichsten sprachlichen Bild „auf Achse“ abgesehen, mit Johnny
Depp und Joe Perry und der Band Hollywood Vampires, die zwei ziemlich gute,
zum Teil wunderbar trotzig-kraftvolle Platten gemacht hat, vor denen sich
der frühvergreiste Konfektionssongmacherschrott, der im „Morgenmagazin“
läuft und den A. Jungkunz vermutlich goutiert, gehörig verstecken sollte.
Ozzy Osbourne, schreibt Alexander der Allererste, habe sich zusammen mit
seinen Kollegen Iommi, Butler und Ward beim Betrachten des Kinofilms, nein:
des „Grusel-Streifens“ „Der Exorzist“ sehr gefürchtet – selbst da ha…
grammatikalisch nichts hin: „dass Black Sabbath als Schock-Band 1973
natürlich unbedingt in den ‚Exorzist‘ mussten“ – richtig wäre „Exor…
gewesen. Jedenfalls fürchteten sie sich sehr, und deshalb gingen sie
„danach in eine Gaunerkomödie, zur Ablenkung. Also – nach Ozzy Osbourne
dann gleich zu Helge Schneider?“
Zu Helge Schneider. 1973! Als der noch Landschaftsgärtner, Dekorateur,
Tierpfleger, Straßenfeger und Polsterer war. Da ließen sie sich durch den
späteren Gaunerkomödiendarsteller Helge Schneider ablenken. Der aber Gott
sei Dank mittlerweile eines der größten und feinsten musikalischen,
literarischen und komischen Genies ist, das dieses von all den
Jungkunz-Banditen verrotzte Land je gesehen hat.
So viel zum deutschen Journalismus. Ich gebe ab zu Sven Lorig ins
„Morgenmagazin“.
9 Sep 2022
## AUTOREN
Jürgen Roth
## TAGS
Stilistik
Journalismus
Rockmusik
Rock
Provinz
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