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# taz.de -- Die Wahrheit: Bölleralarm in Franken
> Neues von den „Nürnberger Nachrichten“ und ihren
> Pulitzer-preisverdächtigen Publizisten auf dem Flaggschiff des
> Geistesgrauens. Eine Zwischenbilanz.
Bild: Schutz suchen vor dem fränkischen Granaten-Journalismus
Seit einer guten Woche weile ich wieder in Franken, in diesem
Singularlandstrich, in dem sich eine extraordinäre Muffeligkeit im
anthropologischen Unterbau breitgemacht hat; in dem eine weltmeisterliche,
ja olympische Breitschädeligkeit bis zum Bersten kultiviert wird; in dem
die Beschränkt- und Deppenhaftigkeit derart unverblümt gedeiht, dass einem
vor Entzückung bald die Sinne zu schwinden drohen.
In Franken ist Kultur ein Schandwort, weshalb die wenigen
Widerstandskämpfer, die es trotzdem wagen, so etwas wie Kunst in die Welt
zu schleusen (Egersdörfer, Gölling, Gröschel, Tretter, Koch oder
Schamberger), regelmäßig vor die Tore der widerwärtigen Städte gehetzt und
auf einem x-beliebigen ungepflegten Anger ausgepeitscht und, sofern gerade
ein Volksfest statthat, aufs Rad geflochten werden.
Flüchten diese erbarmungswürdigen „Existenzen“ – so ruft man sie hier, …
weichem „t“: „Der is’ so a Exisdenz“ – in irgendwelche von den Fran…
nicht gänzlich vernichteten, halbwegs verschwiegenen Winkel, ruiniert die
Regierung die letzten Oasen augenblicklich durchs Aufbäumen von
Windradbauten, zwingt dergestalt die kümmerliche Restlandschaft und mit ihr
die Gepeinigten endgültig nieder und räumt die Rotmilane, die Bussarde und
die Seeadler gleich mit weg.
Kaum mag es da wundernehmen, dass das „Preßwesen“ (Karl Kraus) in Franken
das subalternste ist. Das Flaggschiff des Geistesgrauens und der
unbegrenzten Unbeholfenheit hört auf den Namen Nürnberger Nachrichten (wir
berichteten an dieser Stelle wiederholt). Das ganzjährig verfaulte Blatt
steckt wangenknochentief im staats- und SPD-opportunistischen Sumpf, und
dass man den neben Klaus Schamberger einzigen des Denkens und Schreibens
fähigen Mann, den Literaturkritiker Bernd Noack, bisweilen gewähren lässt,
dürfte der fränkischen Indolenz gegenüber Sinn und Form geschuldet sein.
Wer rezipiert zwischen Führertribüne und Hesselberg schon das Feuilleton?
## Volltreffer beim Schach
Ich glühte vor freudiger Erwartung, bevor ich mir nach mehreren Monaten der
Abwesenheit die Nürnberger Nachrichten neuerlich zur Brust nehmen konnte.
Der erste Morgen: Volltreffer. Die wie erwartet grandios nichtige und vor
Zeitgeistschleim triefende Sportkolumne des Literaturnobelpreisträgers in
spe Hans Böller – sie heißt, es ist allzu genial, „Aus dem Hintergrund
müsste Böller schießen …“ – handelte von einem Brettspiel: „Beim Sch…
sind die Damen als Spielfiguren auf dem Brett leider immer noch viel
prominenter denn als leibhaftige Wesen.“ Na freili’. Faeser, Lang, Bas,
Baerbock, Paus, Lemke, Geywitz, Fester, Göring-Eckardt und all die
sonstigen Intellektualgranaten – die bayerische Superinstanz Katharina
Schulze nicht zu vergessen – haben weder politisch noch medial was zu
melden.
Garniert wurde Böllers versäuselte Quasselei mit einem amateurhaft
unscharfen Foto von zwei Schachfiguren und der Bildlegende: „Die Dame
(links) ist wichtig. Und die Frau?“ Links war allerdings der König zu sehen
und rechts die Dame. Es ist in den Nürnberger Nachrichten anscheinend alles
grunzegal.
Mein Vater liest seit Langem nur noch die westmittelfränkischen Lokalteile,
den Mantel legt er sofort beiseite. Meine Mutter fasst die Nürnberger
Nachrichten praktisch gar nicht mehr an. Das ist ein Fehler. Denn auf der
Seite zwei schwiemelt unvermindert mein Lieblingsgoldköpfchen, der
Pulitzer-Preisträger in spe Alexander Jungkunz, vor sich hin.
Schon folgenden Tags zierte die Titelseite die Headline „Der ewige Streit
ums Böllern“. Ums Hansböllern? Geh her! Ums „explosive Thema“ (yeah!) d…
„Kracher an Silvester“ (bumm!) ging’s, und an der semantischen Konjunktion
müssen drei Ressortleiterkonferenzrunden herumgeschraubt haben, genauso wie
an der Überschrift auf der Seite zwei zum „Ampelstreit“: „Die Drei von d…
Zankstelle.“
## Aufatmen beim Schulterklopfen
Abermals fragte ich mich, welch metaphysisches Ausmaß die Demütigung des
Abonnenten anzunehmen in der Lage ist, da fiel mein Blick auf den
Chefkommentar des Universalgelehrten Jungkunz, links unten, zur Causa COP
28. Ich nahm allen Mut zusammen, las den ersten Satz („Das gegenseitige
Schulterklopfen war unüberhörbar, das Aufatmen in Dubai auch“) – und brach
den Versuch zu lesen ab.
Am nächsten Tag thronte Jungkunz links oben. Das meinte: noch wichtiger!
Thema: Klima. Diesmal schaffte ich es bis in die zweite Spalte, bis zum
„Klimageld“: „Die Mehreinnahmen aus der CO2-Bepreisung sollten den Bürge…
teils zurückgegeben werden – in gleicher Höhe.“ Hä? Ach ja: „Was bedeu…
Geringverdiener, die zudem weniger CO2 emittieren als Wohlhabende,
profitieren mehr.“
Wieso tippt jemand so ein Gewirr hin? Worauf bezieht sich „teils“?
Eventuell auf einen Teil der Bürger? Und weshalb „profitieren“ die, die
„Geringverdiener“, „mehr“, nämlich „in gleicher Höhe“? Kriegen die
„Wohlhabenden“ folglich auch was? Bloß weniger? Oder nur teils? Und somit
teils doch mehr als weniger? Warum fällt dem Jungkunz niemand in den Arm?
Wo sind die Chefs vom Dienst geblieben, die dergleichen Galimathias früher
ab und an unterbunden haben?
Vielleicht bin ich noetisch zu beschränkt, um das Mirakulum Nürnberger
Nachrichten zu begreifen. Oder vielleicht sollte ich an Silvester mit dem
Regionalzug nach Nürnberg fahren und zwecks Katharsis vor dem Verlagshaus
in der Marienstraße einen Korb voller Chinaböllerraketen ablegen.
Vielleicht hat Jungkunz I. am Neujahrstag dann mal eine „zündende“ „Idee…
und fackelt danach zusammen mit dem Sport-Hans eine dermaßen flamboyante
und krachende Duokolumne ab, dass ich hoffen darf, 2024 wenigstens einmal
im Monat die Zeitung aufschlagen zu können, ohne sofort vom Brechreiz
übermannt zu werden.
Böller und Jungkunz, bitte willfahren Sie mir! Auch meine Eltern täten es
Ihnen danken.
20 Dec 2023
## AUTOREN
Jürgen Roth
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Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Silvesterknallerei
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