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# taz.de -- Die Wahrheit: Die hoch geschaukelte Spirale
> Neues von den „Nürnberger Nachrichten“ und ihren von allen guten
> Sprachgeistern verlassenen Phrasenkönigen im Reich der Buchstabenbrühe.
Bild: Endlich ein Bild der berühmten Spirale der Gewalt
Seit gut vier Monaten bin ich wieder in Mittelfranken, und den
frühmorgendlichen Gang zum Kasten für gepeinigte Zellulosefasern lege ich
mittlerweile mit Bleilettern in den Beinen zurück.
Die Nürnberger Nachrichten lassen sich nur mit einem bereitgestellten
„Speikübel“ (Brecht) lesen. Schade, dass unsere Hofscheune vor vielen
Jahren abgerissen wurde. Im Plumpsklo an der Vorderseite fand das
Monopolblatt aus dem „Dürerhauptquartier“ (Philipp Moll), das ein Trupp von
Pfeifen und Ganztageskonformisten im ehemaligen Gauhaus des Herrn Julius
Streicher zusammenstammelt, als Scheißhauspapier immerhin eine sinnvolle
Verwendung.
Der geneigten Leserschaft dieser Zeitung müsste der Chefkasper der
Nürnberger Nachrichten, Alexander Jungkunz, inzwischen ein Begriff sein,
und die Inkarnation des Elends der deutschen Tagespublizistik macht,
ungeachtet meiner hiesigen zarten Interventionen, sturschädelheil weiter,
es ist diesem Prachtkerl aus der „Metropolregion“ (offizieller Titel) rund
um die geschändete Pegnitz wurstsemmelegal.
Man langt in die Buchstabenbrühe, die Jungkunz praktisch täglich aufs
Papier kübelt, blindlings hinein und fischt „Waffen, die im übrigen“ – …
übrigen – „nicht an sich“ – an sich – „schuldig sind“, heraus. I…
Text schwimmt ein „verheerendes Massaker“ herum (im Gegensatz zu einem
segensreichen Massaker) und tummeln sich Geiseln, die „als (leider oft
nicht lange lebende) Schutzschilde … missbraucht“ werden. Für die
Obszönität der Formulierung in Klammern möge man ihn in Israel vor den Kadi
bugsieren, auch dafür, dass er ein paar Sätze später die dem Tode Geweihten
als „Spielmaterial“ verhöhnt.
## Zeigefinger erhoben
Alexander Jungkunz ist ein gnadenlos schwätzender Geisteskaputtmacher. Er
kann Präpositionen nicht richtig benutzen („in der Landkarte des Nahen
Ostens verorten“ – statt „auf“), er steigert, was nicht steigerbar ist
(„immer unübersehbarer“), er möchte keine Themen diffamiert sehen („das
Thema Klima zu diffamieren“). Er frisst pro Tag drei pleonastische
Aktuell-Längst-Russen („Aktuell läuft dieser Angriff längst – digital, m…
Propaganda, psychologisch“), er faselt, aus seinem „Zeitfenster“ glotzend,
ins Nichts („Klingt wie Utopie. Weit entfernt“), und er hebt, schäumend vor
Empörung darüber, dass man alles anders beurteilen kann als er, ständig den
Zeigefinger, damit die blöden Abonnenten, die wie Kinder angesprochen
werden („Zur Erinnerung:“), schnallen, was sich gehört: „Diese Lehre ist
offensichtlich, auch wenn sie manche nicht sehen wollen.“
Alexander Jungkunz weiß – diese Erkenntnis ist offensichtlich –
„nullkommanull“ (Jungkunz) und plappert über alles. Deshalb liebt er das
Fragezeichen, das eine Art Nachdenklichkeit simuliert („Und die
Palästinenser?“), und merkt selbstverständlich nicht, dass man einen
Artikel über einen Krieg nicht mit „Es geht buchstäblich Schlag auf Schlag�…
beginnen sollte – sofern ein Taktgespür vorhanden wäre. Und erst recht
insinuierte man nicht eine ausgewogene anstelle einer „einseitigen, oft
antisemitischen Israel-Feindschaft“.
Ein Hauch von Hirnjauche weht dich aus alledem an. Da gibt es jemanden,
„der den Terror vom 7. Oktober 2023 erdachte und startete“ (Auf die Plätze,
fertig, los!). Hier wiederum „wäre ein kluger, lagerübergreifender Wurf
nötig“, und was widerfuhr dort der „Förderung von E-Autos“? Na „klar�…
(Jungkunzens Herzenswörtlein), der habe die Ampel „den Stecker“ gezogen.
Der SPD-Pressesprecher („Der neue Kurs stimmt“, bejubelt Jungkunz den
Kanzler) aus des Führers Lieblingsstadt hat in jüngerer Zeit allerdings
seinen Meister in einem Chefredakteur namens Michael Husarek gefunden, der
sich in noch dümmeren Phrasen geradezu suhlt: „kein Selbstläufer“,
„vermeintlich einfache Lösungen“, „schlechte Performance“, „mächtig…
gewonnen“, „die große Bühne bespielt“, „das neue Normal“, „es ble…
spannend“, „auf der Erfolgsspur“, „kein Staat zu machen“, „wäre es…
den Ball flachzuhalten“ und so weiter.
## Mehrheit herbeikeifen
Entsteigt der weiße alte Mann Husarek, der jeden zweiten Tag das
„Grünen-Bashing“ beflennt und, anders als der SPD-Kunz, eher eine absolute
Mehrheit der Vielstfliegerpartei herbeizukeifen versucht („Wer den Wählern
gegenüber ehrlich bleiben möchte, sollte radikalere umweltpolitische
Ansätze nicht länger durch den Kakao ziehen, sondern als alternativlos
anerkennen“, jawoll, Herr Leutnant!), diesem Pfuhl, schreibt er so was: „Es
scheint, als ob es weniger selbstverständlich wird, klare Kante zu zeigen.“
Keine logische Fakultät wird klären können, was das schiefe Zeug bedeutet.
„Vielen etablierten Parteien mangelt es an Kontaktpunkten.“ Im Milieu? „Am
Schauplatz der Nürnberger Prozesse wird vom Ende der Nazi-Diktatur nach
vorne gedacht.“ Die Zukunft nehme sich in acht. „Nüchtern betrachtet hat
die SPD mit Scholz schlechtere Chancen als ohne ihn. Und am Ende ist es
diese Wahrscheinlichkeit, die über die K-Frage entscheiden dürfte.“ Dann
soll sich Scholzo die K-Frage stochastisch schönsaufen, das klappt immer.
Das Komma hält Husarek offenbar für eine eklige Sexualpraktik, daher meidet
er es ziemlich konsequent, eine Grammatikfibel hat er nie studiert. Aber –
jetzt mal so inhaltlich oder stilistisch betrachtet – rafft der Husarek
eigentlich, was er tagaus, tagein redet? Es „schaukelt sich die Spirale der
Gewalt weiter hoch“. Man mag es zu visualisieren versuchen, das Gehirn wird
scheitern. Oder: „Das wäre ein Roll-Back, allerdings mit einem Pferdefuß.“
Rückwärtspurzelbaum mit klumpigem Huf? Aua.
„Selbstverständlich darf“ Herr Husarek „so etwas schreiben“ (Husarek).…
kann das machen“ (Husarek), wir sind generös. Gleichwohl fragen wir uns, ob
ein Duo beschränkter Gockel die „vierte Gewalt“ (Husarek) unbedingt derart
in den Dreck reiten muss, dass auf die gedruckte Zeitung demnächst
tatsächlich endgültig geschissen sein wird.
Muss es? Dann: bitte sehr.
6 Nov 2024
## AUTOREN
Jürgen Roth
## TAGS
Medien
Nürnberg
Sprache
Werbung
Provinz
Kolumne Die Wahrheit
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