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# taz.de -- Umgang mit der Kunststätte Bossard: Drei Hektar Schwieriges
> Johann Michael Bossard baute ab 1911 ein krudes Gesamtkunstwerk samt
> Hakenkreuz in der Lüneburger Heide. Die Frage ist: Was tun damit?
Bild: Taugt nicht zum Feiern, aber auch nicht zum Ignorieren: die Kunststätte …
Jesteburg taz | „Die Leute sind doch verrückt!“, sagt der ältere Mann;
halblaut, aber so, dass es die anderen Besucher doch noch hören. Starr
richtet er den Blick auf den mit Ornamenten verzierten Fußboden vor sich:
„Das sind doch nur Muster! Was denken die sich denn immer?“ Seine Frau
inspiziert derweil die bunten, verzierten Glasfenster, die den
kathedralenartigen Raum in mildes Licht tauchen. „Das ist der heutigen
Zeit geschuldet“, sagt sie gelangweilt und dreht sich weg.
Was die beiden zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht wissen: Das berüchtigte
Hakenkreuz ist nicht im sogenannten „Kunsttempel“ in den Fußboden
eingelassen, sondern nebenan, im „Edda-Saal“. Dort erzählt aber auch eine
Erklärtafel davon, dass man das Hakenkreuz einerseits übermalt habe; die
Farbe aber andererseits jederzeit wieder entfernen könne. Immerhin steht
doch der Saal mit all den Skulpturen und Verzierungen unter Denkmalschutz;
überhaupt soll alles so erhalten werden, wie es einst geschaffen wurde.
Jahrzehntelang fiel die Kunststätte Bossard bei Jesteburg nicht weiter auf;
kursierte eher als skurriler Ausflugstipp, wo man Station machen könne, mit
dem Auto, mit dem Fahrrad, bei einer Heidetour.
Ein drei Hektar großes Grundstück erwarb 1911 der Expressionist Johann
Michael Bossard (1874–1950), der hier, fern der verderblichen Großstadt,
ein Gesamtkunstwerk erbauen wollte und auch sich selbst versorgen. Zwei
Jahre später begann Bossard, seit 1907 Lehrer für Bildhauerei an der
Hamburger Kunstgewerbeschule, mit dem Bau seines Wohn- und Atelierhauses.
Dann kam ihm ein Krieg dazwischen, von dem man damals noch nicht wissen
konnte, dass er der Erste Weltkrieg werden würde; einer, auf den sich
Bossard aufrichtig freute: „Einen notwendigen, einen herrlichen Krieg“
nannte er ihn in einer „Werbeschrift an meine Freunde“, gedacht für
Unterstützer und vor allem für Mäzene, auf die er zeitlebens angewiesen
war.
Spätestens jetzt ahnt man, dass sich hier nicht nur ein etwas verschrobener
Künstler zwischen Heide und Wald eben bildnerisch und skulptural ausgetobt
hat, erst recht, als er 1926 seine einstige, 29 Jahre jüngere
Kunstschülerin Jutta Krull (1903–1996) geheiratet hatte und die beiden ihr
Refugium mehr und mehr ausgestalteten: in klarer Opposition zu den modernen
künstlerischen und kulturpolitischen Strömungen der Weimarer Jahre, mit
Rückgriff auf die Lebensreformbewegung und einen teilweise wüsten Mix aus
Germanenmythologie und Okkultismus.
Was sich nach 1933 fortsetzte, auch wenn nach derzeitigem Stand der
Forschung Johann Bossard kein glühender Nationalsozialist war. Aber
mitgemischt hätte er gern bei den Nazis, sie mit seinen völkisch-geerdeten
Kunstidealen beglückt.
Umso tiefer enttäuscht und wohl auch persönlich gekränkt war Bossard, als
1933/34 in Hamburg sein Entwurf für ein „Denkmal für die Kämpfe um die
nationale Erhebung gefallenen SA-, SS- und Sta-Männer auf der Moorweide“
klanglos durchfiel. Auch ein lange herbeigesehnter Besuch des damaligen
NS-Kunst-Beauftragten Alfred Rosenberg im August 1934 endete desaströs:
Bossards Kunstanwesen war den Nazis einfach zu versponnen und abseitig; zu
sphärisch und vor allem zu wenig heldenhaft, nicht zielgerichtet und nicht
propagandistisch praktikabel genug. Rosenberg blieb nur zum Mittagessen.
Richtig publik wurde all das, als 2018 Pläne bekannt wurden, die
Kunststätte erheblich zu erweitern: Eine Art Kunsthalle der Lüneburger
Heide sollte entstehen. Geschätzte Kosten: elf Millionen Euro, wobei der
Bundestag gleich eine 50-Prozent-Förderung in Aussicht stellte. Auch
weitere Geldgeber signalisierten Zustimmung, der Landkreis Harburg etwa
winkte mit zwei Millionen.
Doch dann protestierten nicht nur lokale Naturschützer gegen die ihrer
Meinung nach unpassende „Betonoptik“ eines Neubaus; mehr Wirkung zeigte ein
Artikel des Spiegel-Journalisten Martin Doerry – Überschrift:
[1][„Steuergeld fürs Hakenkreuz“]. Er löste bundesweites Presseecho aus,
aber vor allem Nachfragen, und mancher Bezirkspolitiker, eben noch träumend
von einem Touristenmagneten jenseits frisch gekürter Heidekönigin und
handgeschleuderten Honigs, bekam kalte Füße.
In der Folge trat man energisch auf die Bremse. Statt zu bauen beauftragte
die Kunststätte mit dem Institut für Zeitgeschichte eine unabhängige
Institution, sich mit Leben und Werken des Künstlerpaars zu beschäftigen.
Seit vergangenem Jahr liegt ein bemerkenswert detailreiches Vorgutachten
des Historikers Tobias Hof vor, zu finden auch [2][auf der Homepage der
Stätte]; es ist sehr lesenswert.
Und was soll jetzt mit der Kunststätte passieren, die von einer Stiftung
geführt wird? Heike Duisberg-Schleier, seit 2020 Leiterin des Hauses, reizt
gerade die Auseinandersetzung mit dem schwierigen Künstler und seinem
Umfeld: „Wir können hier eine Stätte bilden, in der wir uns dem Wirken
eines Künstlers und seiner Zeit widmen, der ganz sicher nicht die Gesinnung
und die Haltung hatte, die wir heute gutheißen.“
Dieses Vorgehen sei durch die Stiftungsstatuten selbstverständlich gedeckt:
„Es ist im Stiftungszweck nicht formuliert: ‚Bossard war ein toller
Künstler, und alles ist gut.‘ Sondern: Wir erhalten die Gebäude, wir
erhalten die Kunst – und wir vermitteln sie und setzen sie in den richtigen
Kontext.“
Dabei ergebe sich vor allem eine Perspektive durch die weitere Forschung
und die Aufgabe, diese an das breite Publikum weiterzugeben und sie nicht
in Fachkreisen zu belassen: „Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann ein
Projekt, das über ein Jahr geht, wo wir mit Studierenden, mit Doktoranden
oder Postdoktoranden zusammenarbeiten, um ein neues Vermittlungskonzept zu
erarbeiten, um unsere Forschungsergebnisse zu vermitteln.“ Entsprechende
Fördergelder seien beantragt.
Im kommenden Jahr soll auf das Vorgutachten das eigentliche Gutachten
folgen. Konzentrieren will man sich besonders auf zwei Fragestellungen: „Es
geht zum einen um den Blick ins Private des Ehepaars Bossard“, so
Duisberg-Schleier. „Dabei wollen wir besonders die Figur der Jutta Bossard
in den Fokus nehmen, die bisher nur am Rande auftaucht.“ Auch weil es noch
Zeitzeugen gebe, die sie gekannt haben. „Zum zweiten wollen wir den
Künstler in den Kontext zeitgenössischer Künstler stellen; wollen schauen,
welche Parallelen, aber auch welche Unterschiede es gibt.“
Fortgesetzt wird auch die begleitende Veranstaltungsreihe „Reden wir über
Bossard“, der man auch [3][auf Youtube] folgen kann. Und am 26. September
lädt man zu einer Fachtagung: „Zum Umgang mit schwierigem Erbe“. Zu Gast
sein wird unter anderem die Nolde-Stiftung Seebüll und das Berliner
Georg-Kolbe-Museum – zwei weitere Häuser, die einen produktiven Umgang mit
„ihren“ Künstlern finden müssen; und mit deren Verhältnis zum
Nationalsozialismus. Es gibt noch freie Plätze.
10 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/kultur/museum-fuer-johann-bossard-in-jesteburg-steue…
[2] https://www.bossard.de/files/Bilder/Formulare/Hof%20-%20Vorgutachten%20Boss…
[3] https://www.youtube.com/channel/UCJb20g1iziNAvcs2irqr09Q
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Lüneburger Heide
Expressionismus
NS-Ideologie
Kunst
Bildhauerei
Kolumne Der rechte Rand
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