# taz.de -- Juristin über Bürokratie und Naturschutz: „Oft hapert es an der… | |
> Wenn wir den Bau von Gleisen, Windrädern oder Leitungen nicht | |
> beschleunigen, schaffen wir die Energiewende nicht. Das sagt die Juristin | |
> Ines Zenke. | |
Bild: Umstrittener Fels. Mitglied der Bürgerinitiative „Salpeterbewegung. Pr… | |
taz am wochenende: Frau Zenke, ein Windrad oder ein paar Kilometer | |
Gleisstrecke zu bauen, dauert in Deutschland manchmal Jahrzehnte. Warum? | |
Ines Zenke: In der Praxis hapert es nach meiner Erfahrung bei Verzögerungen | |
oft an der Koordination der verschiedenen Fachbehörden, die an einem großen | |
Genehmigungsverfahren ja beteiligt sind. Oft bestimmt der Langsamste das | |
Tempo. Hier sollte die Bundesimmissionsschutzbehörde gestärkt werden, die | |
das Verfahren führt. Außerdem könnte man Projektmanager einführen, die es | |
bislang nicht in allen Bundesländern gibt. Sie übernehmen einen Teil der | |
Abstimmung zwischen den Beteiligten und verbessern das Verständnis | |
füreinander. Aber auch die Antragsteller können etwas beitragen, indem sie | |
bestens vorbereitete Anträge einreichen. | |
Welche Infrastrukturprojekte haben es besonders schwer? | |
Vor allem solche, die wegen ihrer räumlichen Ausdehnung besonders viele | |
verschiedene Landschaften, Situationen sowie eine erhebliche Anzahl von | |
Bürgerinnen und Bürger betreffen. Die [1][jüngst diskutierte | |
Uckermarkleitung] nördlich von Berlin zum Beispiel soll 115 Kilometer lang | |
sein. Natürlich zieht ein solches Vorhaben besonders viel Aufmerksamkeit | |
auf sich. Hinzu kommt, dass für bestimmte Projekte auch das Prüfprogramm im | |
Genehmigungsverfahren anspruchsvoll ist. Bei einem Windpark sind die Fragen | |
nach dem Vogelschutz nun einmal schwieriger zu beantworten als bei einem | |
Blockheizkraftwerk. | |
Man könnte ja auch sagen: Macht nichts, dass es so lange dauert, | |
schließlich müssen sich alle, die ein Recht dazu haben, gegen Straßen, | |
Schienen oder Windräder wehren können. | |
Selbstverständlich steht es jedem Beteiligten, jeder Betroffenen frei, die | |
Einhaltung seiner/ihrer Rechte auch prüfen zu lassen. Genauso wie es | |
selbstverständlich sein sollte und regelmäßig auch ist, dass den gegen ein | |
Projekt erhobenen Einwendungen akribisch nachgegangen wird. Um die Hinweise | |
schnell, aber trotzdem richtig abzuarbeiten, braucht es bei den Behörden | |
ausreichend und am besten bereits langjährig erfahrenes Personal. Hier geht | |
es nicht nur um den allgemeinen Fachkräftemangel, den wir alle spüren. Es | |
geht auch um den notwendigen Austausch unter den Behörden. Es hat ja nicht | |
jede Genehmigungsbehörde alle Tage mit einem Leuchtturmprojekt der | |
Energiewende zu tun. Hier wird es wichtig, dass Verwaltungsmitarbeiter auch | |
dezentral auf Fachexpertise zugreifen können. Dass wir | |
Infrastrukturprojekte schneller genehmigen, ist essenziell für den | |
Klimaschutz. Ohne neue Windräder, Gleise oder Stromleitungen schaffen wir | |
die Energiewende nicht. | |
Halten Sie die [2][vor Kurzem eröffnete Fabrik des Autoherstellers Tesla] | |
in Brandenburg für ein gelungenes Planungs- und Genehmigungsbeispiel? Alles | |
ging rasend schnell, und jetzt ist der Ärger zum Beispiel [3][über eine zu | |
hohe Wasserentnahme] groß. | |
Das Tesla-Beispiel zeigt zunächst einmal, dass es grundsätzlich möglich | |
ist, ein solch umfassendes Projekt in sehr kurzer Zeit zu realisieren. Das | |
ist ja nicht wenig. Es wird aber auch deutlich, was es noch zu tun gibt. | |
Wenn wir Projekte in dem Umfang und der Anzahl umsetzen wollen, die nötig | |
sind, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen wir immer | |
so schnell sein. Schnell ging es bei Tesla aber vor allem deswegen, weil | |
das Unternehmen bereit war, mit dem Bau auf der Grundlage einer sogenannten | |
Zulassung des vorzeitigen Beginns zu starten. Eine | |
Umweltverträglichkeitsprüfung gibt es dabei zwar trotzdem. Es bleibt aber | |
das Risiko, dass das Unternehmen auf eigene Kosten zurückbauen muss, wenn | |
sich im weiteren Verfahren doch noch durchgreifende Bedenken gegen das | |
Projekt ergeben. Nicht jeder kann oder will dieses Risiko tragen. | |
Lassen sich die Verfahren beschleunigen, ohne die Interessen des | |
Naturschutzes oder von Betroffenen zu vernachlässigen? | |
Natürlich. Einwände müssen möglichst frühzeitig vorgebracht und | |
abgearbeitet werden können. Zum anderen müssen in der Verwaltung | |
zusätzliche Ressourcen geschaffen werden, um den ja vorhandenen Prüfaufwand | |
zu stemmen. Es geht nicht darum, Entscheidungen auf Kosten der Prüfqualität | |
zu beschleunigen, sondern darum, die Genehmigungsverfahren insgesamt zu | |
stärken. Dafür müssen wir Verfahren auch vereinfachen und standardisieren. | |
Hilfreich wäre hierbei zum Beispiel eine Technische Anleitung, kurz TA. Das | |
sind Verwaltungsvorschriften, die Umweltrecht konkret und detailliert | |
beschreiben, was Sicherheit für alle Beteiligten schafft. Für | |
Luftreinhaltung, Lärm oder Siedlungsabfall gibt es sie schon. Solche | |
Vorgaben wären auch für den Artenschutz sinnvoll. | |
Welchen Vorteil hätte es, Bewohnerinnen und Bewohner oder Umweltverbände | |
früher als bislang in die Planungen für Großprojekte miteinzubeziehen? | |
Es könnte früher mit der Prüfung von Einwendungen begonnen werden und | |
Arbeitsschritte könnten parallel laufen. Allerdings steht zu Beginn der | |
Planung natürlich noch nicht im Detail fest, wie ein Vorhaben ausgeführt | |
wird. Deswegen kann die Öffentlichkeitsbeteiligung andererseits auch nicht | |
vollständig zeitlich vorverlagert werden. | |
Lassen sich die Interessen von Naturschutz und Infrastrukturprojekten denn | |
überhaupt immer in Einklang bringen? Oder anders: Müssen wir uns daran | |
gewöhnen, dass es bestimmte Projekte eben nicht gibt? Nach dem Motto: | |
Artenschutz darf auch mal schmerzen? | |
Nun, man könnte sagen: Es kann nicht jedes Projekt an jedem beliebigen | |
Standort realisiert werden. Das stimmt sicherlich, doch dürfte das Problem | |
ein anderes sein. In vielen Fällen, in denen es heute noch heißt, dass ein | |
Vorhaben nicht möglich ist, wurden die Möglichkeiten für einen schonenden | |
Ausgleich zwischen Infrastrukturentwicklung und Naturschutz noch gar nicht | |
umfassend bewertet. Die Bundesregierung ist dabei, diesen Bereich | |
voranzubringen, jedoch stehen wir hier noch am Anfang. | |
Naturschutz ist Ländersache, häufig sind auch lokale Naturschutzbehörden | |
eingebunden. Auf welcher Ebene müsste der Gesetzgeber aktiv werden, um die | |
Verfahren effizienter und zugleich wirkungsvoller zu gestalten? | |
Der Vollzug von Umweltgesetzen und die Gestaltung von Behördenstrukturen | |
liegen in den Händen der Länder, das ist richtig. Die Grundlagen für | |
Planungs- und Genehmigungsverfahren bilden aber Bundesgesetze. Der Bund | |
könnte hier steuernd mit eingreifen. | |
6 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/uckermarkleitung-bundesverwaltungsgeric… | |
[2] /Eroeffnung-der-Tesla-Fabrik-in-Gruenheide/!5844093 | |
[3] /Wasserknappheit-in-Brandenburg/!5848924 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
## TAGS | |
Bürokratie | |
Biodiversität | |
Infrastruktur | |
Energiewende | |
FDP | |
Baden-Württemberg | |
Nabu | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bundesweite Solarpflicht: Alles hängt am Handwerk | |
Die Solarpflicht wird es nicht bringen. Der Flaschenhals der Energiewende | |
ist nicht mangelnder Bürgerwille, sondern der Fachkräftemangel im Handwerk. | |
Streit über AKW-Laufzeitverlängerung: Die FDP argumentiert unterkomplex | |
Die FDP macht mit der Laufzeitverlängerung Hoffnung auf billigeren Strom. | |
Die ist unbegründet – aber verfängt, weil die Grünen schlecht | |
kommunizieren. | |
Artenschutz versus Mobilität: Der Riesenstein des Anstoßes | |
Eine Straße im Südschwarzwald ist seit mehr als sieben Jahren gesperrt. | |
Wegen eines Felsbrockens. Gehört sie noch den Menschen? Oder den | |
Fledermäusen? | |
Wohnraum schaffen: Parkplätze zu Wohnblöcken | |
Laut NABU sollte neuer Wohnraum nur noch auf bereits bebauten Flächen | |
entstehen. Neue Erkenntnisse zeigen, dass es viele von solchen gibt. | |
Energiewende in der Landwirtschaft: Unten Gemüse, oben Solardächer | |
Die doppelte Nutzung von Wiesen und Äckern könnte Agrarwesen und | |
Stromproduktion fördern. Bisher gibt es aber nur wenig Agri-Photovoltaik. |