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# taz.de -- Kanzler-Visite in Kanada: Wasserstoff aus Neufundland
> Beim Besuch von Kanzler Scholz in Kanada stehen saubere Energiequellen im
> Vordergrund – eine schnelle Lösung für die Engpässe bieten sie aber
> nicht.
Bild: Olaf Scholz und Justin Trudeau während des G7-Gipfels auf Schloss Elmau,…
Calgary taz | Das kanadische Städtchen Stephenville ist ein unscheinbarer
Ort. Viele der knapp 7.000 Einwohner leben vom Fischfang, dem kleinen Hafen
oder der Forstwirtschaft. Früher gab es in dem Ort einmal eine Papierfabrik
und das US-Militär unterhielt einen Luftwaffenstützpunkt. Doch die fetten
Zeiten sind längst vorbei und so hat man in Stephenville neuerdings große
Erwartungen an Deutschland.
Womit wir bei Olaf Scholz wären. Am Sonntag reist der deutsche
Bundeskanzler für drei Tage nach [1][Kanada] und er wird dabei auch in
Stephenville einen Stopp einlegen. Auf der Suche nach neuen Energiequellen
jenseits von russischem Gas setzt der Kanzler große Hoffnungen auf das
rohstoffreiche Land – und der kleine Ort an der Westküste der Insel
Neufundland könnte dabei langfristig eine Schlüsselrolle spielen.
Im Beisein von Kanadas Premierminister Justin Trudeau will der Kanzler in
Stephenville eine Fachmesse für Wasserstoff besuchen und ein Abkommen zur
Lieferung des sauberen Rohstoffs unterzeichnen. Der Ort ist die perfekte
Kulisse, denn wenn alles klappt, könnte dort in den nächsten Jahren eine
der weltweit modernsten Anlagen zur Gewinnung von grünem Wasserstoff
entstehen.
Das kanadische Konsortium „World Energy GH2“ hat im Juni bei der Regierung
Pläne für einen riesigen Onshore-Windpark eingereicht, mit dessen Hilfe es
in der Region sauberen Wasserstoff und Ammoniak für den Export produzieren
will. Der Bürgermeister von Stephenville, Tom Rose, sieht seine kleine
Gemeinde bereits überschwänglich als ein neues „Drehkreuz für grüne
Energien in Nordamerika“.
## Drei Phasen
In einer ersten Phase sollen dazu auf einer nahen Halbinsel 164
Windkraftanlagen entstehen, zwei weitere Phasen sollen später folgen. Der
so generierte Strom soll dann in einer Anlage im Tiefseehafen von
Stephenville bei der Herstellung von Wasserstoff und Ammoniak verwertet
werden. Mit riesigen Tankschiffen könnten die Produkte dann von dort unter
anderem nach Europa befördert werden.
Das Zwölf-Milliarden-Dollar-Projekt liegt ganz auf der klimafreundlichen
Linie der Bundesregierung und seines grünen Wirtschaftsministers Robert
Habeck. Bei der Herstellung von grünem Wasserstoff mit Hilfe von Wind- oder
Wasserkraft entstehen anders als beim blauen oder grauen Wasserstoff – bei
dem Erdgas oder Öl verwendet wird – praktisch keine Emissionen. Der
Energieträger wäre klimaneutral.
Die geplante Anlage in Stephenville ist nicht das einzige Projekt dieser
Art in Kanada. In Québec baut Thyssenkrupp gerade eine Wasserkraftanlage,
die ab 2024 elf Millionen Tonnen grünen Wasserstoff produzieren soll.
Kanada gilt als einer der Vorreiter der Technologie und hat sich
vorgenommen, zum drittgrößten Wasserstoff-Produzenten weltweit
aufzusteigen. Bis 2050 will das Land klimaneutral werden.
Allerdings: Eine schnelle Lösung der europäischen Energieprobleme
versprechen die Projekte nicht. Bis im Hafen von Stephenville die ersten
Tanker ablegen, dürften noch einige Jahre vergehen. Selbst ein Scheitern
ist nicht ausgeschlossen. Wie bei vielen derartigen Vorhaben in Kanada gibt
es auch in Neufundland noch zahlreiche bürokratische, kulturelle und
ökologische Hürden zu überwinden.
## Bedenken der Bevölkerung
Anfang August hatte die zuständige Regierung eine schnelle Genehmigung der
Anlage abgelehnt und stattdessen eine ausführliche Prüfung angeordnet, bei
der auch die Bedenken der Bevölkerung zum Tragen kommen. Viele Anwohner
stören sich an dem gewaltigen Ausmaß der geplanten Windparks, die zum Teil
in einem ökologisch sensiblen Naturschutzgebiet entstehen sollen.
„Viele sind besorgt“, berichtete die Bürgermeisterin der betroffenen
Landkreisgemeinde Cape St. George, Stella Cornect, im Sender CBC. Auch die
Zustimmung der Ureinwohner steht noch aus. Ohne diese kommt in Kanada in
der Regel kein größeres Bauprojekt voran. Kaum noch durchsetzbar sind auch
neue Pipelines zum Transport, weswegen es auf die lokale Infrastruktur vor
Ort ankommt.
Doch daran mangelt es. Experten warnen, dass für einen großvolumigen Export
noch viel getan werden muss – es fehlt an geeigneten Hafenanlagen,
Schiffen, Terminals. [2][Am Rande des G7-Gipfels in Bayern] im Juni sprach
Premier Trudeau von einer „mittelfristigen“ Erweiterung bestehender
Anlagen. Das betrifft auch den Export von Flüssiggas, für den die
Bundesregierung ebenfalls Kanada im Auge hat.
Beim Besuch des Kanzlers soll das Thema Flüssiggas allerdings nicht mehr im
Vordergrund stehen. Noch gibt es an der Ostküste Kanadas keine
exporttauglichen Verladeterminals, die für einen Gastransport nach Europa
geeignet wären. Das Interesse der Investoren an einem schnellen Ausbau hält
sich auch deswegen in Grenzen, weil Deutschland langfristig aus fossilen
Energieträgern wie Gas aussteigen will.
In Kanada hält man es kurzfristig allenfalls für machbar, die Lieferung von
Flüssiggas in die USA anzukurbeln, wovon Europa indirekt profitiert. Durch
die zusätzlichen Kapazitäten können die USA dann ihrerseits über ihre
Terminals an der Atlantikküste den Export nach Europa ausbauen. Kanada gilt
mit rund 170 Milliarden Kubikmetern im Jahr als der fünftgrößte
Erdgasproduzent der Welt.
21 Aug 2022
## LINKS
[1] /Indigene-und-Fluessiggas/!5867062
[2] /Ergebnisse-des-G7-Gipfels/!5861080
## AUTOREN
Jörg Michel
## TAGS
Erneuerbare Energien
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