# taz.de -- Erdoğan trifft Selenski in Lwiw: Seine liebste Rolle | |
> Der türkische Präsident präsentiert sich als Vermittler zwischen der | |
> Ukraine und Russland. Dabei geht es ihm vor allem um eigene Interessen. | |
Bild: Präsident Erdoğan reicht Wladimir Putin die Hand | |
ISTANBUL taz | Wenn der türkische Präsident [1][Recep Tayyi Erdoğan] heute | |
auf Einladung des ukrainischen Präsidenten in der Ukraine mit Wolodimir | |
Selenski und UN-Generalsekretär Antonio Guterres zusammentrifft, sieht er | |
sich in seiner derzeit liebsten Rolle bestätigt: als erfolgreicher | |
[2][Vermittler und möglicher Friedensstifter] in Russlands Krieg gegen die | |
Ukraine. | |
Ausgezeichnet durch den Erfolg bei der [3][Wiedereröffnung ukrainischer | |
Häfen für Getreideexporte] in alle Welt, hofft Erdoğan, nun den nächsten | |
Schritt machen zu können: Ein Forum für direkte Gespräche zwischen Russland | |
und der Ukraine zu schaffen, in dem möglichst unter türkischer Vermittlung | |
Verhandlungen ausgelotet werden können. „Unser Ziel ist Frieden zwischen | |
Russland und der Ukraine“, hieß es vor Erdogans Abflug nach Lwiw in einer | |
Mitteilung aus dem Präsidentenpalast. | |
Obwohl nahezu alle Beobachter davon ausgehen, dass der Zeitpunkt für | |
direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine noch längst nicht | |
gekommen ist, setzt Erdoğan doch unverdrossen auf Verhandlungen. Und zwar | |
schon seit dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar. | |
Tatsächlich gelangen ihm in den ersten Kriegswochen zwei Achtungserfolge, | |
als sich Ukrainer und Russen in der Türkei trafen und auch die | |
Implementierung des Getreidedeals, den vor allem im Westen viele für nicht | |
möglich gehalten hatten, bestätigte Erdoğan in seinen | |
Vermittlungsbemühungen. Mit Beginn des Krieges stand die türkische | |
Regierung scheinbar vor einem unüberwindbaren Dilemma. Sich rückhaltlos auf | |
die Seite der Ukraine zu schlagen, hätte bedeutet, die wirtschaftlichen | |
Beziehungen zu Russland zu kappen und die Zusammenarbeit in Syrien zu | |
beenden. Beides wäre für Erdogan zu einem Desaster geworden. Andererseits | |
konnte er keinen Bruch mit der Nato und dem Westen riskieren. | |
## Innerhalb der Nato knirschen sie mit den Zähnen | |
Aus diesem Dilemma entstand der Vermittler. Statt sich für eine Seite zu | |
entscheiden, bot Erdogan seine guten Dienste als Moderator an und | |
versuchte, sein Land ansonsten weitgehend neutral zu halten. Bislang hat | |
das gut geklappt, er wird von beiden Seiten akzeptiert und auch wenn | |
innerhalb der Nato angesichts der uneingeschränkten Wirtschaftsbeziehungen | |
zu Russland, von denen die Türkei gerade sehr profitiert, so mancher vor | |
allem in Deutschland mit den Zähnen knirscht, wird er doch nicht offen | |
kritisiert. Möglichst früher als später wird man ja eine diplomatische | |
Vermittlung brauchen. | |
Bei seiner neuen Rolle spielt Erdoğan in die Karten, dass nicht nur im | |
Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Türkei als Nachbar beider | |
Staaten sich als Vermittler anbietet, sondern auch im Nahen Osten die | |
Karten gerade neu gemischt werden. Die Wiederaufnahme voller diplomatischer | |
Beziehungen mit Israel gehört dazu, aber auch in Syrien bahnt sich eine | |
Zeitenwende an. Erdoğan, der sich in den letzten Jahren durch seine | |
aggressive Politik im östlichen Mittelmeer mehr und mehr isoliert hatte, | |
wollte schon länger die Beziehungen zu Israel wieder verbessern. | |
Seit dem Abgang des ihm [4][persönlich verhassten Benjamin Netanjahu] wurde | |
verstärkt daran gearbeitet. Da Israel in der gesamten Region dringend | |
Verbündete gegen den Iran sucht, war die neue Regierung auch gewillt, auf | |
die türkischen Avancen einzugehen. Wahrscheinlich wird Erdoğan sich | |
demnächst als Vermittler zwischen der Hamas und Israel anbieten. | |
## Auch in Syrien steht Erdoğan zwischen den Fronten | |
Ein noch größerer Schwenk könnte in Syrien bevorstehen. Bei dem letzten | |
Treffen zwischen Erdoğan und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin | |
Anfang August in Sotschi, hatte Putin seinen Besucher offenbar dringend | |
aufgefordert, endlich mit dem syrischen Diktator Assad zusammenzuarbeiten, | |
statt erneut in Nordsyrien einzumarschieren. | |
Putins Drängen hat bereits Früchte getragen. Ende letzter Woche forderte | |
der türkische Außenminister die syrische Opposition auf, sich langsam aber | |
sicher mit dem Regime zu versöhnen. In den von der Türkei kontrollierten | |
Gebieten in Nordsyrien kam es zu Protesten der bislang mit Erdoğan | |
verbündeten Milizen. Die Syrer fühlen sich verraten, türkische Flaggen | |
wurden verbrannt. Dennoch legte Çavuşoğlu Anfang der Woche noch einmal | |
nach, eine politische Lösung sei überfällig. Dabei gab er auch bekannt, | |
dass er sich im November letzten Jahres bereits einmal mit dem syrischen | |
Außenminister am Rande einer Konferenz in Belgrad getroffen habe. | |
Erdoğans nächste Vermittlerrolle könnte sich also zwischen der syrischen | |
Opposition und dem Regime in Damaskus abspielen, vorausgesetzt, die | |
Kurdenfrage in Syrien wird dabei in seinem Sinne gelöst. | |
18 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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