| # taz.de -- Christian Ströbele ist tot: Niemals Wischiwaschi | |
| > Für Christian Ströbele war alles politisch; Persönliches zu entlocken | |
| > gelang kaum. Eine Erinnerung einer tazlerin, die ihn 40 Jahre begleitet | |
| > hat. | |
| Bild: Christian Ströbele Ende der 70er Jahre beim Fensterputzen in der taz-Red… | |
| Berlin taz | Dass es ihm zunehmend schlechter ging, war kein Geheimnis. | |
| Aber immer wieder hatte er noch die Kurve gekriegt. Diesmal nicht: | |
| Christian Ströbele ist tot. | |
| Auf die eine oder andere Art hat er mein gesamtes journalistisches Leben | |
| begleitet. Er war zentral für die Gründung der taz und die spätere Gründung | |
| der Genossenschaft, die das Überleben dieser Zeitung gesichert hat und | |
| damit auch meinen Arbeitsplatz. Wenn sich damals der überwiegende Teil der | |
| Redaktion durchgesetzt hätte, wäre diese Zeitung an einen Investor verkauft | |
| worden und es gäbe sie wohl nicht mehr. | |
| [1][Viele Interviews] habe ich im Laufe der Laufe der vergangenen 40 Jahre | |
| mit Christian geführt. Er war einer von jenen Linksanwälten, für die bei | |
| der Mandatsübernahme das Gerechtigkeitsempfinden im Vordergrund stand und | |
| nicht politische Korrektheit. Auch Vergewaltiger hat er verteidigt. | |
| Christian hat sein Mäntelchen nicht nach dem Wind gehängt, ist gegen den | |
| Strom geschwommen, sich keinen Gruppenzwängen gebeugt. | |
| Er galt als „König von Kreuzberg“, weil er in seinem Bundestagswahlkreis, | |
| der auch Friedrichshain und Teile von Prenzlauer Berg umfasste, viermal das | |
| Direktmandat geholt hat – als einziger Grüner bundesweit. Nicht nur die | |
| Gegenkandidaten ließ er dort weit hinter sich, sondern auch die eigene | |
| Partei, die oft nur die Hälfte an Zweitstimmen holte. Das zeigt: Er war | |
| mehr als ein Grüner. | |
| 2009, als er zum dritten Mal antrat, war er 70. Anlässlich dieses runden | |
| Geburtstags pilgerte ich seinerzeit für die taz durch den Wahlkreis, um 70 | |
| Menschen zu Christian Ströbele zu befragen. Kaum jemand kannte ihn nicht: | |
| „RAF-Fraktion“ – „Immer und überall“ – „Vorlaut“ – „Hat mi… | |
| zu Hausbesetzerzeiten mal aus einer ausweglosen Lage rausgehauen, aber nie | |
| ’ne Rechnung geschrieben“ – „Fahrrad, wehender roter Schal“ – „De… | |
| vertrauen“, lauteten die Aussagen. Aber auch: „Profilneurotisch“ und „W… | |
| immer im Mittelpunkt stehen“. | |
| Eine 50-jährige Krankenschwester bezeichnete Christian als | |
| „Stehaufmännchen“. Nach dem Schlag auf den Kopf habe sie mit ihm | |
| mitgelitten. Ein Neonazi hatte Ströbele im Herbst 2002 während des | |
| Bundestagswahlkampfs auf der Straße mit einer Stahlrute attackiert. [2][Ob | |
| er danach mal daran gedacht aufzuhören, haben wir ihn später in einem | |
| Interview gefragt]. Er verneinte: „Solange ich nicht wie ein einsamer Wolf | |
| durch die politische Landschaft ziehe, werde ich weitermachen.“ | |
| Er dachte und handelte politisch, war sich aber nicht zu schade, in der | |
| Gründungsphase der taz Ende der 70er Jahre Brötchen für die Mitarbeiter zu | |
| schmieren und die Fenster in der Redaktion in der Wattstraße zu putzen. | |
| Ein Leben jenseits der Politik gab es für ihn auch nicht, als ihn die | |
| Krankheit vollends in Beschlag genommen hatte. Sein letzter Twitter-Eintrag | |
| – er hatte 282.000 Follower – stammt vom 19. August: „Die von beiden Seit… | |
| in der Ukraine angekündigte Grossoffensive bleibt wohl aus. Gut so“, | |
| schreibt er. „Es wäre sonst Eskalation mit noch viel mehr Toten auf allen | |
| Seiten und zunehmender Gefahr von Nuklear-Krieg. Endgültige Sieger wird’s | |
| so nicht geben.“ | |
| Zu den wenigen persönlichen Bekenntnissen gehörte, dass er nach dem | |
| Ausscheiden aus dem Bundestag 2017 auf ärztlichen Rat nicht mehr Rad fahre | |
| und [3][in die Muckibude] gehe, um seine Muskeln zu regenerieren. Aber auch | |
| da wurde er gleich wieder politisch. „Mich ärgern viele Berichte über die | |
| APO-Zeit, über die RAF-Zeit und die Gründungsphase der Grünen.“ Deshalb | |
| wolle er aufschreiben, wie es wirklich war – „wie ich es erlebt habe“. | |
| Hoffentlich hat er noch einen Weg gefunden, das zu tun. | |
| 31 Aug 2022 | |
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