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# taz.de -- Komik als Machtfrage: Sich lustig machen
> Komik hat mit Macht zu tun. Man muss sich nur mal auf deutschen
> Comedy-Bühnen umschauen mit der Frage: Wer lacht über wen in welchem
> Kontext?
Bild: Komik ist allemal auch Körpersache. Hier mit einem prominenten Gesicht
Wir müssen über Komik reden. Neulich war ich im [1][Quatsch Comedy Club,]
und Martina Brandl moderierte. Sie macht Comedy seit zirka 500 Jahren. Sie
trägt ein Blumenkleid, dessen Rock sich um sie bauscht, wenn sie am
Bühnenrand entlangstolziert.
„Ich werde oft gefragt“, spricht sie ins Mikrofon, „warum ich als Frau auf
einer Comedy-Bühne stehe.“ Pause. Antwort: „Na, weil ich als Mann scheiße
aussehe.“ Sie wartet, bis sich das Lachen im Publikum legt, dann fügt sie
hinzu: „Außerdem sitzen ja 90 Prozent aller Frauen schon in den
Führungspositionen der größten Unternehmen weltweit.“
Komik braucht Timing und kommt von Komödie. Das Komische als Ästhetik ist
mit dem Theater verbunden, dem Zur-Schau-Stellen des eigenen Körpers, dem
Nur-so-tun-als-ob. Konkret mit dem Zurschaustellen des Scheiterns eines
Körpers an den Idealen des Geistes. Klingt kompliziert, ist aber einfach:
Die Nudel im Gesicht von Loriot, als er seiner Angebeteten seine Liebe
gestehen will. Der Körper des Komikers ist das Material, mit dem er
arbeitet, den er zur Schau stellt und dem Publikum zur Verfügung stellt, um
es an seinem Scheitern teilhaben zu lassen.
Die Komik Keatons und Chaplins funktioniert so, die von Monty Python und
Martina Brandl. Sie habe während Corona 15 Kilo zugenommen, erzählt sie,
aber das mache nichts. „Das is ja das Schöne am Frausein. Wir Frauen können
alt sein, dick, hässlich, Halbglatze – scheißegal, Hauptsache, wir sind
witzig.“
Im „Handbuch Komik“ ist zu lesen, dass im privaten Bereich eher Frauen dazu
neigen, sich über sich selbst lustig zu machen, während Männer sich eher
über andere lustig machen.
Martina Brandl kündigt den zweiten Komiker des Abends als „sexiest guy of
german comedy“ an. Auf die Bühne tritt ein mittelalter, sehr langer, sehr
dünner Mann in schwarzer Kleidung mit Hinterkopfglatze. Den ersten Lacher
hat er schon in der Tasche. Aber statt die super Steilvorlage der
Moderatorin aufzugreifen, fängt der Komiker an, dem Publikum Witze über
Menschen mit Behinderung zu erzählen: Fußamputierte, die „kürzer treten“
müssten. Die Liga. Und immer mit dem Zusatz: „Hat mir ein Blinder/ ein
Amputierter/ ein Typ im Rollstuhl erzählt. Wahre Geschichte.“
Er wolle nicht über Behinderte lachen, erklärt der Humorprofi, sondern
beweisen, dass die auch lustig sind. Es ist zum Fremdschämen. Statt seinen
eigenen Körper zu benutzen, sein eigenes Potential auszuschöpfen, lenkt er
von sich ab und stellt sich selbst über den Gegenstand seiner Komik.
[2][Wie Mario Barth, der Witze über „seine Freundin“ macht].
Es ist nicht zu fassen. Deutsche Comedy wird offensichtlich auch im Jahr
2022 noch beherrscht von Oberlehrern und Kackbratzen. Die einen wollen dem
Publikum permanent die Welt erklären. Die anderen finden es lustig, Witze
über marginalisierte Gruppen zu reißen. Das nennt sich dann „rebel comedy�…
wird mir erklärt. Wegen „cancel culture“. Tatsächlich ist es einfach
Arschloch-Comedy. Herablassender, antiquierter, verklemmter Herrenwitz.
Sogar Kitakinder verstehen, dass es nicht cool ist, sich über Schwächere
lustig zu machen.
Eine Kitafreundin meines Sohnes hat mich wegen meiner orthopädischen Schuhe
ausgelacht: „Hihi, deine Schuhe sind voll hässlich.“ Ich griff sie mir und
sagte. „Ich trage diese Schuhe nicht freiwillig. Wenn hier eine Witze über
meine Schuhe macht, dann bin ich das.“
Komik hat mit Macht zu tun. Wer lacht über wen in welchem Kontext.
Kollege, wenn du Behindertenwitze auf der Bühne haben willst, dann räum
deinen Posten und lass eine Person mit Behinderung rauf! Lustig sind wir
nämlich selber.
27 Aug 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
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Oliver Polak
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