Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- taz-Sommerserie Nah am Wasser: Jetzt fahrn wir übern See
> Rund 20 Minuten braucht die Fähre zwischen S-Wannsee und Alt-Kladow. Sie
> ist eine von sechs BVG-Verbindungen auf dem Wasser.
Bild: Hin und her über den Wannsee: Die BVG-Fähre „MS Wannsee“
Berlin taz | Er ist der Erste und der Letzte, der von oder an Bord geht, je
nachdem, ob die Fähre an- oder ablegt: Mehmet Salin Ogur ist an diesem
Dienstagmorgen der Bootsmann der F10: Die verkehrt den ganzen Tag über
zwischen dem S-Bahnhof [1][Wannsee] – genauer gesagt dem Fähranleger unten
am See – und [2][Alt-Kladow], dem südlichsten Teil des Bezirks Spandau.
Es ist 7.49 Uhr, die Fähre legt gerade am Liegeplatz an. Ogur springt
behände vom Schiff, ein dickes Seil in der Hand, routiniert vertäut er es,
dann ein zweites – und fertig, das Schiff ist festgemacht und zum
Aussteigen bereit. Als Bootsmann unterstützt Ogur insbesondere beim An- und
Ablegen. So früh sind es nur wenige Fahrgäste.
„Die Berufspendler sind schon durch“, sagt Detlef Pieth, der das Schiff
eben noch gesteuert hat. Er kommt gerade als Letzter von Bord, alle
Fahrgäste sind schon gegangen – und raucht erst mal eine Zigarette. Mehmet
Salin Ogur schließt sich an. Die beiden haben nur ein paar Minuten Pause,
wegen des straffen Fahrplans. Und: Es ist die einzige BVG-Fähre, die mit
einem Zweierteam unterwegs ist.
Die Fährverbindung ist mehr als 100 Jahre alt. Sie wird, wie fünf weitere
Fährverbindungen (siehe Kasten) im Auftrag der BVG von der [3][Kreis- und
Sternschifffahrt GmbH] betrieben. Die F10 fährt mit einem modernen
Dieselmotor. Alle anderen BVG-Fähren fahren elektrisch und haben
Solarzellen auf dem Dach.
## Bis zu 16 km/h – dank Sondergenehmigung
Die F10 verkehrt im Sommer werktags ab 6 Uhr, am Wochenende später, aber
jeden Tag bis 21 Uhr. „Ich habe gerade die Frühschicht von 5 bis 13 Uhr“,
sagt Detlef Pieth. „Bei uns fahren viele Stammgäste mit.“
Sobald die Fahrgäste ausgestiegen sind, nehmen die neuen Fahrgäste das
Schiff in Besitz, ja, sie warten schon und stehen Schlange auf dem langen
Anlegesteg. Gerade mal sieben Fahrräder werden an Bord geschoben, es gibt
Abstellplätze für immerhin 60 Räder. Und gerade mal 16 Menschen wollen
jetzt um 8 Uhr nach Alt-Kladow übersetzen – die rund 44 Meter lange Fähre
ist für 300 Passagiere zugelassen.
Immer zur vollen Stunde legen sie Richtung Alt-Kladow ab. „Pünktlichkeit“,
sagt Pieth, „ist wichtig, vor allem im Pendlerverkehr, die Leute wollen ja
zur Arbeit oder zu Terminen.“ Die Fähre ist im Durchschnitt „mit etwa 15,6
Kilometer pro Stunde unterwegs“, erklärt Pieth.
Bis zu 16 km/h schafft das Schiff, „es hat eine Sondergenehmigung, um den
Fahrplan einhalten zu können“. Mit der sonst vorgeschriebenen
Geschwindigkeit für Schiffe im Linienverkehr von 12 km/h „würde der
Fahrplan nicht klappen“. Die F10 braucht 20 Minuten, manchmal reichen aber
auch 19 oder sogar 18 Minuten.
## Schiffsführer und Tourist:innen-Guide
Weil so wenig los ist zu so früher Stunde, ist Zeit für ein Gespräch mit
Detlef Pieth, während er die Fähre steuert. Der Reporter darf mit in die
Kabine, mit weitem Blick aufs viele Wasser und die Landschaft ringsum.
Der 57-Jährige will erst mal eine Sache klarstellen: „Ich bin kein Kapitän,
ich bin Schiffsführer“, sagt er. „In aller Welt heißt es Kapitän, nur in
Deutschland nicht“, sagt er. Ein Kapitän habe ein Patent für
Seewasserstraßen, „Binnengewässer zählen nicht dazu, das sind
Binnenwasserstraßen“ – und auf denen verkehren Fahrgastschiffe oder eben
Fähren wie die F10.
Frachtschiffe gibt es auf dem Wannsee nicht. „Aber da“, streckt Detlef
Pieth die Hand nach vorne, Richtung Alt-Kladow, „da ist die Havel und damit
die Fahrrinne für Frachtschiffe.“ Da muss auch die [4][Fähre] durch.
Wie zum Beweis blinkt auf seinem Computerbildschirm ein dreieckiges Symbol,
das sich ganz langsam von rechts Richtung Fähre schiebt. „Das ist
Gegenverkehr“, erklärt Pieth, „ein Frachtschiff, aber das kommt uns nicht
in die Quere.“ Auch die Position der Fähre und deren Route ist auf dem
Bildschirm zu erkennen. Aber Schiffsführer Pieth fährt „nach Sicht“, wie …
sagt. „Ich weiß doch, wo ich hin muss“, sagt er verschmitzt.
Detlef Pieth hat einen ausgesprochenen Sinn für Humor. Auf einigen Touren,
auf dem Müggelsee oder auf dem Tegeler See, greift er gern zum Mikrofon und
erklärt die Sehenswürdigkeiten. Viele Kollegen würden inzwischen ein Band
laufen lassen. Er macht es lieber selbst.
„Da rechts vor uns liegt [5][Schwanwerder]“, zeigt der Schiffsführer auf
ein kleines Inselchen, das schon in der Havel liegt, am Ausgang des
Wannsees. „Wissen Sie, was Werder bedeutet?“, fragt er unvermittelt. „Lan…
das von Wasser umgeben ist. Eine Insel eben.“
Dahinter, kaum im Dunst des Morgens zu erkennen, liegt der Grunewaldturm –
„204 Stufen hoch, also nichts für Leute mit Knieproblemen!“. Etwas weiter
rechts ist die ehemalige Abhörstation auf dem Teufelsberg zu sehen. „Und
linker Hand, kurz vor Alt-Kladow, das ist [6][die Insel Imchen]. Betreten
nicht empfohlen“, sagt Pieth. „Nicht nur wegen der vielen Kormorane, die in
den Bäumen sitzen, sondern auch wegen der vielen Mücken.“
Detlef Pieth kann erzählen und weiß Bescheid. Mit seiner sonoren Stimme
könnte er gut übers Bordmikrofon Gäste unterhalten – nur hier auf dieser
hin und her pendelnden Fähre nicht. Aber er hat in mehr als 30 Jahren
Berufsleben „einiges erlebt“, wie er sagt. Früher als Frachtschiffer habe
er in ganz Europa gearbeitet, habe „alles Mögliche transportiert, Getreide
oder Sand oder Stückgut“. Und nun eben Menschen.
## Bis zu 5.000 Fahrgäste am Tag
„Am Wochenende geht es hier zu wie auf dem Hauptbahnhof“, sagt Pieth. Dann
ist die Fähre ausgelastet. Zu Stoßzeiten seien es mehr als doppelt so viele
Fahrgäste wie zugelassen. Und wer nicht reinpasst? „Da hilft nur, die
nächste Fähre zu nehmen.“ Aber das dauert. Einmal pro Stunde legt die F10
in Wannsee beziehungsweise Alt-Kladow ab.
Genaue Fahrgastzahlen für die F10 gibt es nicht, verlautet aus der
BVG-Pressestelle, da die BVG die Fähre ja nicht selbst betreibt. Pro Tag
soll die „MS Wannsee“ – wie das Schiff offiziell heißt – im Durchschni…
etwa 2.000 bis 3.000 Fahrgäste haben. An Spitzentagen, also vor allem an
sonnigen Wochenenden, können es auch rund 5.000 sein. Und natürlich
schwanken die Zahlen nach Jahreszeit, Wochentag und Witterung.
Bei der Stern- und Kreisschifffahrt GmbH, die diese Fähre im Auftrag der
BVG betreibt, arbeitet Detlef Pieth als sogenannter Ablöser und Springer,
weil er alle Schiffe fahren kann. Auf der F10 sitzt er gerade eine Woche
lang, weil der eigentliche Schiffsführer krank geworden ist. Immerhin hat
die Stern- und Kreisschifffahrt 31 verschiedene Schiffe auf
unterschiedlichsten Touren oder eben Fährverbindungen zu bieten. Alle kann
er steuern. „Langweilig wird es nie“, sagt Pieth sichtlich zufrieden.
„Ich mache jeden Spaß mit, mache auch Fotos von den Leuten, wenn die das
wollen“, erzähl der Schiffsführer. Aber er kann auch anders: „Auf meinem
Schiff bestimme ich! Wenn es junge Leute gibt, die zum Beispiel dem Alkohol
zu stark zugesprochen haben und zu laut werden, mache ich ihnen klar, dass
das nicht geht – oder sie von Bord gehen müssen.“
Diese Zufriedenheit von Detlef Pieth muss auf seine Fahrgäste ausstrahlen.
Denn ganz Berlin-untypisch fällt sowohl am Wannsee als auch bei der
Rückfahrt von Alt-Kladow auf, dass so gut wie jeder Mensch, der an Bord
geht, von sich aus „Guten Morgen“ sagt. Schiffsführer und Bootsmann, beide
meist rauchend vor der „MS Wannsee“ stehend, grüßen jedes Mal freundlich
zurück.
7 Sep 2022
## LINKS
[1] /taz-Sommerserie-Sommer-vorm-Balkon/!5703277
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Kladow
[3] https://www.sternundkreis.de/de/Startseite/E1001.htm
[4] /Expertin-ueber-autonome-Faehren/!5783295
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Schwanenwerder
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Imchen
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Wannsee
Schiff
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Boykott Katar
Fischsterben
Paddeln
Gewässerschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ungewöhnlich große Luxusyachten: Ein Außenborder ist nicht genug
Motoryachten werden immer größer und immer teurer, doch die meiste Zeit
liegen sie eh am Steg. Gekauft werden sie vor allem von älteren Herren.
Alternativen zur Fußball-WM: Mit dem Wind
Für Boykoteur:innen der Fußball-WM in Katar probiert die taz
Alternativen aus. Dieses Mal: Segeln mit dem Auslandsredakteur auf dem
Wannsee.
Fischsterben in Fluss-Seitenarm: Tote Fische in Alter Oder
In Oder-Altarmen wurden erneut tote Fische gefunden. Doch ein Zusammenhang
mit dem massivem Fischsterben im Hauptstrom gilt als unwahrscheinlich.
Stand-up-Paddling auf der Spree: „Es holt einen komplett runter“
Immer mehr Menschen paddeln auf einem Brett stehend die Spree entlang.
Severine Scala betreibt den „StandUpClub Berlin“ am Funkhaus in
Lichtenberg.
Baumsterben im Potsdamer Park Sanssouci: Insel ohne Wasser
Die Klimakrise macht auch vor Potsdam nicht halt: Zu wenig Wasser und zu
heiße Sommer führen zum Absterben der Bäume.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.