# taz.de -- Alternativen zur Fußball-WM: Mit dem Wind | |
> Für Boykoteur:innen der Fußball-WM in Katar probiert die taz | |
> Alternativen aus. Dieses Mal: Segeln mit dem Auslandsredakteur auf dem | |
> Wannsee. | |
Bild: Nach drei Stunden am Ziel: die taz-Crew auf dem Wannsee | |
„Klar zur Wende?“ „Öffnen – und los!“ Bei diesem Kommando löse ich … | |
Fockschot aus der Klemme, also die Leine für das vordere Segel. Der Skipper | |
dreht das Boot durch den Wind, wir wechseln unterm Großbaum auf die andere | |
Seite, dort wird die andere Fockschot dicht genommen. Unsere Füße hängen | |
wir dann in Gurte und die Körper außenbords, um das Boot aufrecht zu | |
halten. | |
Es ist der 3. Oktober auf dem [1][Berliner Wannsee]: 115 Kielboote von | |
großen wie kleinen Segelvereinen treffen sich zur hier größten Regatta des | |
Jahres. Männer und Frauen, Alte und Junge treten in unterschiedlichsten | |
Jachten und Booten nach einer Verrechnungsformel gegeneinander an. Ich | |
segle die Regatta mit taz-Redakteur Sven Hansen. Sein acht Meter langes | |
H-Boot wird mit dreiköpfiger Crew gesegelt, ich auf der vorderen Position. | |
Ich bin ein Journalist aus Myanmar. Vor einem Jahr musste ich nach dem | |
Militärputsch aus meinem Land fliehen. | |
Im Sommer bin ich schon einige Male mitgesegelt. Nie hätte ich mir träumen | |
lassen, jemals in meinem Leben zu segeln. Und dann noch bei einem so großen | |
[2][Rennen]. In meiner Heimat ist Segeln nicht beliebt und nichts für | |
gewöhnliche Menschen. Es gilt als Sport der Generäle und ihrer Günstlinge. | |
Gelegentlich taucht es in staatlichen Propagandaberichten auf, ansonsten | |
habe ich es mal in Hollywoodfilmen gesehen. Ein Sport aus einer anderen | |
Welt. | |
Das Leben in Deutschland ist so anders. Hier können auch Menschen aus der | |
Mittelschicht segeln. Inzwischen habe ich gelernt, was Skipper, Crew, Mast, | |
Großsegel, Baum, Bug, Kiel, Spinnaker, Fock und Schot bedeuten. Auch kann | |
ich inzwischen den Wind lesen: Böen erkennt man an der dunklen Kräuselung | |
des Wassers in Luv, die Windrichtung zeigt der Pfeil auf dem Mast. Als ich | |
das erste Mal mitgesegelt bin, habe ich mich gewundert, warum die anderen | |
so oft zur Mastspitze schauen. | |
Bei mehr Wind neigt sich das Boot und fährt schneller. Dann ist Segeln wie | |
Windreiten. Ich muss Balance halten und schnell reagieren. Der Skipper muss | |
sorgfältig steuern und sich mit Wind, Wellen, Wassertiefe und Kurs | |
auskennen. Der Taktiker in der Mitte beobachtet die Konkurrenz und liefert | |
Informationen für Entscheidungen. | |
Reihen sich die Boote an der Startlinie auf, ist das für mich der | |
aufregendste Moment. Der Schiedsrichter gibt das Startsignal. Wird es eng, | |
warnen sich Segler mit lautem Gebrüll. Da ich noch kein Deutsch spreche, | |
kann ich noch nicht mitbrüllen. Wir sind mehrmals den See auf und ab um | |
Bojen herum gesegelt. Kam der Wind von hinten, musste ich auf dem Vordeck | |
den Spinnakerbaum an- und abbauen und die Fock bergen und setzen. Nach drei | |
Stunden kamen wir als sechste ins Ziel. | |
23 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Kyaw Soe | |
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