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# taz.de -- Pimmel-Gate in Hamburg: Unterhalb der Schwelle
> Die Hausdurchsuchung wegen des „Pimmel“-Tweets gegen Innensenator Andy
> Grote war nicht verhältnismäßig. Das hat das Landgericht jetzt
> festgestellt.
Bild: Hier war er noch nicht von der Hamburger Polizei übermalt worden: Pimmel…
Bremen taz | Hamburg, September 2021, gegen 6.30 Uhr: Es läutet an der Tür,
immer vehementer, schließlich klingelt es Sturm. „Ich hatte noch
geschlafen“, erzählt Mara K. Als sie die Tür leicht öffnet, stellt sich
sofort ein Fuß in den Spalt. „Einen Augenblick später stand ich schon in
meinem Flur, hatte [1][einen Gerichtsbeschluss vor der Nase und vier Typen
von der Polizei] sind reingestürmt.“ Rechner und Handys muss K. den Beamten
überlassen.
Die Hausdurchsuchung war der Auftakt für das sogenannte „Pimmel-Gate“, die
Affäre rund um einen Tweet gegen Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD).
„Andy, du bist so 1 Pimmel“ hatte K.s Ex-Partner bei Twitter geschrieben,
nachdem sich Andy Grote dort über feiernde Jugendliche aufgeregt hatte. Die
nachfolgende harte Verfolgung des Rechtsstaats hat in der Folge für viel
Empörung, Spott und ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen (linken)
Aktivist*innen und der Polizei mit z[2][ahlreichen
Nachfolgepimmelwitzen gesorgt.]
Das Hamburger Landgericht hat nun bestätigt, was ein Großteil der
Stadtgesellschaft (und der amüsierten Öffentlichkeit anderswo) seit einem
knappen Jahr befindet: Nein, es ist nicht verhältnismäßig, eine Wohnung zu
durchsuchen, um den Ersteller eines „Pimmel“-Tweets zu identifizieren.
Die Durchsuchung bei Mara K., so stellt das Landgericht in seinem Beschluss
vom 27. Juli fest, war rechtswidrig. Erst vor einer Woche ist bekannt
geworden, [3][dass die Polizei die Verfolgung der Straftaten rund ums
„Pimmel-Gate“ bereits vor Monaten eingestellt hatte.] Der Beschluss des
Gerichts ist nun ein weiterer Schritt, um die Posse zu einem Ende zu
bringen.
## Unverletzlichkeit der Wohnung
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist selbst ein hohes Gut im Rechtsstaat.
Eine Hausdurchsuchung ist ein schwerer Eingriff dagegen – und müsse deshalb
stets ins Verhältnis gesetzt werden zur Schwere der Straftat, so das
Landgericht. „So 1 Pimmel“, heißt es in der Begründung, sei keine allzu
schwere Beleidigung. Das Strafverfolgungsinteresse des Staates, findet das
Landgericht, dürfe man in einem solchen Fall nicht zu hoch bewerten –
schließlich sei von Anfang an allenfalls eine geringe Sanktion gegen den
Tweetersteller in Betracht gekommen.
Mehr noch: Das Landgericht vergisst nicht zu erwähnen, dass die
Vorgeschichte die Beleidigung noch weiter abmildert: Man müsse auch das
Verhalten des Innensenators betrachten, heißt es. Der nämlich hatte sich
vorher auf Twitter über Jugendliche aufgeregt, die beim Feiern gegen
Coronaregeln verstoßen hatten, und die Teenies als „dämlich“ und „ignor…
beschimpft.
Dabei, so erinnert das Gericht, hatte Grote ja selbst ein Jahr zuvor mit
einer Feier geltende Corona-Auflagen gebrochen. Vor diesem Hintergrund sei
die Beleidigung „eher am unteren Rand der Erheblichkeitsschwelle
einzustufen“.
Dass es 2021 trotzdem zur Durchsuchung gekommen war, liegt daran, dass
gleich drei Instanzen den Vorfall allesamt anders bewerten als das
Landgericht. Den Fall ins Rollen gebracht hatte der Innensenator selbst;
Beleidigung ist ein Antragsdelikt, das heißt: Es wird nur verfolgt, wenn
der Beleidigte auch Strafanzeige stellt. „Andy, du bist so 1 Pimmel“ wollte
der Innensenator wohl nicht auf sich sitzen lassen und erhob noch am selben
Tag Strafanzeige. Zwei Wochen später war die Aufregung bei ihm offenbar
noch nicht verflogen, der Strafantrag folgte.
## Was ist Hatespeech?
Von hier an übernahm die Staatsanwaltschaft – und zwar, wenn man der
Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage folgt, ohne den Innensenator noch
weiter einzubinden oder zu informieren. Die Staatsanwaltschaft muss erstens
entscheiden, ob ein öffentliches Interesse besteht – also ob „der
Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die
Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist“. Oder ob
eine Beschwerde den Weg der Privatklage nehmen muss.
Die Hamburger Staatsanwält*innen entschieden auf „öffentliches
Interesse“ – schließlich sei die Bezeichnung „so 1 Pimmel“ Hatespeech.
Wie sie zu dieser Einschätzung gekommen ist, das will die
Staatsanwaltschaft heute nicht mehr erklären. Die Antwort des Senats auf
eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Deniz Celik hilft wenig weiter.
Verwiesen wird dort auf eine neue Gesetzeslage, nach der auch
(Lokal-)Politiker*innen besser vor Hass aus dem Netz geschützt werden
sollten.
Die Einschätzung des Pimmel-Tweets als Hatespeech ist trotzdem
erklärungsbedürftig: Die gängigen Definitionen, inklusive der der
Europäischen Union, bestimmen Hatespeech als Form der gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit – etwa aufgrund von Ethnie, Religion, Geschlecht oder
sexueller Orientierung –, die sich vor allem gegen marginalisierte Gruppen
richtet.
## Keine Entschuldigung, keine Entschädigung
Die Einstufung als Hatespeech jedenfalls bestimmte auch, wie die
Staatsanwaltschaft ihre nächste Einschätzung vornahm: Vor einem Antrag auf
Hausdurchsuchung muss sie erst einmal selbst entscheiden, ob die Störung
des Grundrechts nach Artikel 13 des Grundgesetzes verhältnismäßig ist.
Dieser Prüfung ist laut Bundesverfassungsgericht „in besonderem Maße
Beachtung zu schenken.“ Wie die Hamburger Staatsanwaltschaft prüfte, ist
unbekannt. Klar ist, dass sie die Grundrechtsverletzung gegen Mara K. in
diesem Fall als angemessen betrachtete.
Damit kommt die dritte Instanz ins Spiel, die final über einen Antrag
entscheiden muss: Das Amtsgericht. Doch auch der zuständige
Ermittlungsrichter zweifelte die Verhältnismäßigkeit nicht an und erteilte
den Durchsuchungsbeschluss – und das, noch bevor klar war, ob der
Beschuldigte eventuell bei der Polizei aussagen würde.
Ungeschehen machen lässt sich der Bruch der „Unverletzlichkeit der Wohnung“
für K. natürlich nicht mehr; aber auch sonst gab es durch ihre Beschwerde
für sie nicht viel zu gewinnen – aus dem Beschluss des Landgerichts folgt
erst einmal nichts Konkretes: Es gibt keine Entschädigung und keine
Entschuldigung. Das Amtsgericht, immerhin, werde in Zukunft bei
„gleichgelagerten Fällen“ die Entscheidung der höheren Instanz in Betracht
ziehen, teilt ein Pressesprecher des Gerichts mit.
Die Staatsanwaltschaft als unabhängige Instanz muss nicht einmal das
zusichern. Man werde „wie bislang auch in jedem Einzelfall“ über die
erforderlichen und gesetzlich möglichen Ermittlungsmaßnahmen entscheiden,
schreibt die Pressestelle der Hamburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage.
K. ist trotzdem erleichtert, dass sie Recht bekommen hat. „Das Gefühl ist
richtig gut“, sagt sie. Zumindest die Anwaltskosten für die Beschwerde von
ein paar hundert Euro muss sie nun nicht selber zahlen. Das Risiko war es
ihr wert: „Die Reaktion des Staates auf den Tweet war scheiße. Und für mich
war das Wichtigste, dass das öffentlich festgestellt wurde“, sagt sie.
8 Aug 2022
## LINKS
[1] /Hausdurchsuchung-wegen-eines-Tweets/!5799732
[2] /Pimmelgate-offiziell-beendet/!5808590
[3] /Pimmelgate-Verfahren-eingestellt/!5871270
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Polizei Hamburg
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Hate Speech
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