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# taz.de -- Ökonom Dullien über Gasumlage: „Inflation steigt auf 10 Prozent…
> Der Ökonom Sebastian Dullien hält die Gasumlage nicht für sozial gerecht.
> Der IMK-Direktor plädiert für einen Gasdeckel und weitere
> Entlastungspakete.
Bild: Da muss der Deckel drauf: Die Gasumlage steht in der Kritik
taz: Herr Dullien, die [1][Gasumlage] ist entschieden, die Höhe wird in der
ersten Runde bei 2,419 Cent pro Kilowattstunde liegen. Halten Sie diesen
Wert angesichts der derzeitigen Umstände mit Ukrainekrieg und Russlands
Gaslieferstopp für angemessen?
Sebastian Dullien: Die nun angekündigte Umlage wird rechnerisch die
Inflationsrate um 1,0 Prozentpunkte erhöhen, wenn auf die Umlage auch
Mehrwertsteuer erhoben wird. Und danach sieht es derzeit aus. Gelingt der
Bundesregierung eine Lösung, bei der die Mehrwertsteuer entfällt, läge der
Inflationseffekt bei 0,8 Prozentpunkten. Das bedeutet, dass wir im Herbst
bei der Inflation sehr nahe an die 10 Prozent-Marke kommen. Das halte ich
schon für ein Problem.
1,0 Prozentpunkt von wahrscheinlich 10 Prozentpunkten – im Verhältnis zu
anderen Faktoren, die derzeit die Inflation in die Höhe treiben, scheint
die Gasumlage nicht gerade der große Preistreiber zu sein.
Die Preise für Erdgas an sich sind die großen Treiber. Die Gasumlage kommt
jetzt obendrauf. Die 10-Prozent-Marke ist psychologisch eine wichtige
Marke. In normalen Zeiten achten die Menschen nur wenig auf die Inflation,
weil sie wissen, dass Preissteigerungen von um die 2 Prozent einen
niedrigen Wert darstellen. Wenn die Inflation jedoch eine bestimmte Höhe
erreicht, fangen sie an, ihre Erwartungen zu revidieren und dann
möglicherweise nach oben zu korrigieren. Je höher die Inflation ist, desto
größer ist also die Gefahr, dass die Inflationserwartung sich von der
tatsächlichen Entwicklung verselbstständigt. In Erwartung, dass alles
teurer wird, erhöhen die Akteure ihre Preise zusätzlich. Das könnte eine
gefährliche Inflationsspirale auslösen. Die Gasumlage kommt in einer
Situation, wo durch andere staatliche Maßnahmen die Inflation wieder nach
oben springt. Das Auslaufen des 9-Euro-Tickets und der Wegfall des
Tankrabatts werden im September etwa anderthalb Prozentpunkte zur Inflation
beitragen. Vom Timing her ist das schon unglücklich.
Halten Sie die Gasumlage grundsätzlich für falsch?
So wie sie jetzt konstruiert ist, halte ich sie zumindest für
problematisch. Millionen Haushalte werden zusätzlich belastet, damit sie
systemrelevante Gasversorger retten – ohne die sozialen Folgen auch mit
Blick auf eine noch höhere Inflation abzufedern. Grundsätzlich müssen wir
uns die Frage stellen, ob es richtig ist, die Rettung der Gasgroßhändler
nur über eine Umlage aller Gaskunden abzuwickeln. Wenn es sich um
systemrelevante Unternehmen handelt, sollten wir das – wie einst bei den
Banken während der Finanzkrise – als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
betrachten und damit auch Nichtgaskunden einbeziehen.
Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, mit dem Lieferstopp aus Russland
umzugehen, der nun mal einige Gasgroßhändler besonders heftig trifft, weil
sie vorher eben auf russisches Gas gesetzt haben? Dass es nun eine Umlage
gibt, damit die Gasversorgung in einigen Teilen Deutschlands nicht
zusammenbricht, scheint mir eine sozialverträgliche Lösung zu sein.
Nein, für [2][sozialverträglich] halte ich die Umlage nicht. Was man hätte
stattdessen machen können: die Umlage mit einem Gaspreisdeckel für den
Grundverbrauch kombinieren. Jeder Haushalt hat das Recht auf einen
subventionierten Grundverbrauch; da ziehen wir einen Preisdeckel ein, der
vielleicht bei 10 Cent pro Kilowattstunde liegt. Die Umlage und der
Marktpreis beim Gas gelten erst für Kunden, die oberhalb dieses
subventionierten Grundverbrauchs liegen. Das würde die Haushalte entlasten,
weil der Grundverbrauch billiger bleibt. Nur wer also oberhalb des
Grundverbrauchs Gas verbraucht, muss dafür den Marktpreis und die Umlage
zahlen. Damit gebe es auch weiter einen Anreiz zu sparen. Der Anstieg der
Inflation wäre zumindest gedämpft, weil die Umlage nur einen Teil der
verbrauchten Gasmenge beträfe. Für dieses Modell hat sich die Regierung
aber nicht entschieden.
Weil zu teuer?
Natürlich wäre das teuer. Mein Vorschlag wäre, dass man das Geld zunächst
aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) nimmt, dem Sondervermögen des Bundes
zur Umsetzung der Energiewende. Gleichzeitig sollten wir einen Boden für
den Gaspreis einziehen. Sobald der Großhandelspreis wieder fällt, soll er
bei den Endverbrauchern nicht sofort fallen, sondern die Einnahmen sollten
wieder dem Energie- und Klimafonds zugeführt werden. Ich glaube aber, dass
es einen anderen Grund für die Ablehnung dieses Modells gibt. Die Politik
will erst mal abwarten, bis die anderen Entlastungspakete voll wirken und
die Menschen sie auch spüren. Im September wird die Energiepauschale
ausgezahlt. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie im nächsten
Monat Geld bekommen. Aus Koalitionskreisen habe ich gehört, dass sie nicht
noch was Neues aufsetzen wollen, bevor die bereits beschlossenen Pakete
noch nicht ihre Wirkung gezeigt haben. Diese Verzögerung ist natürlich ein
Problem: Die Einführung eines Gaspreisdeckels für den Grundverbrauch bedarf
einer gewissen administrativen Vorlaufzeit. Wenn man verhindern möchte,
dass die Inflationsrate in den nächsten Monaten nicht noch weiter in die
Höhe schießt, wäre es gut gewesen, den Gaspreisdeckel frühzeitig
einzuführen.
Wäre Ihr Vorschlag sozial gerecht? Häufig sind es arme Haushalte, die in
schlecht gedämmten Wohnungen leben und damit viel Gas verbrauchen.
Natürlich lässt sich nicht bei jedem genau überprüfen, ob jemand in einer
schlecht gedämmten Wohnung wohnt oder ob das jemand ist, der seine Wohnung
immer auf 26 Grad heizt und im T-Shirt herumläuft. Ich denke, keine
Entlastungsmaßnahme wird 100-prozentig perfekt sein. Was letztlich das
Signal sein sollte: Jede und jeder hat das Recht hat auf einen bezahlbaren
Gasverbrauch bei der Grundversorgung. Aber jeder und jede trägt auch
Eigenverantwortung, was das Gassparen oder auch das Isolieren von Wohnungen
angeht.
Ein weiterer Vorschlag, für den sich der wissenschaftliche Beirat beim
Bundeswirtschaftsministerium bereits ausgesprochen hat: günstiges Gas in
Relation zum Vorjahresprogramm. Was halten Sie davon?
Ich halte diesen Vorschlag für falsch. Hier in Deutschland verbrauchen die
obersten 10 Prozent der Bevölkerung doppelt so viel Gas wie die untersten
10 Prozent. Wenn wir die Vergabe von günstigem Gas am Verbrauch des
Vorjahres festmachen, würde das bedeuten, dass die reichsten Haushalte eine
doppelt so hohe Gassubvention erhalten wie die ärmsten 10 Prozent. Das ist
nicht wirklich gerecht – zumal bei ärmeren Haushalten das Sparpotenzial
geringer ist als bei reichen Haushalten.
Die Bundesregierung hat zugesagt, ärmeren Haushalten zu helfen. Was müsste
aus Ihrer Sicht kommen?
Klar muss sein, dass der Gaspreisdeckel nur ein Instrument unter mehreren
ist. Wenn jetzt die Großhandelspreise eins zu eins an die Verbraucherinnen
und Verbraucher weitergegeben werden, reden wir von einer Vervierfachung
der Heizkosten. Haushalte mit Ölheizung müssen „nur“ mit einer Verdopplung
ihrer Heizkosten rechnen. Heizen gehört zum Grundrecht. Wenn bei Familien
mit zwischen 2.000 und 3.000 Euro netto die Gasrechnung auf über 400 Euro
im Monat steigt, ist das einfach brutal. Darum halte ich es für wichtig,
dass vor allem Menschen, die Einkommen nur knapp über der Grundsicherung
beziehen, gezielt unterstützt werden.
Auch auf die Industrie kommen gewaltige Kosten zu, besonders auf
energieintensive Branchen wie Stahl, Chemie oder Papier. Das könnte auch
Arbeitsplätze kosten. Was muss da geschehen?
Keine Frage. Unternehmen, die wegen zu hoher Gaspreise ihre Produktion
drosseln, muss geholfen werden, sei es in Form von Kurzarbeitunterstützung
oder auch mit Direkthilfen. Niemand soll wegen der Gaskrise pleitegehen
oder den Arbeitsplatz verlieren.
16 Aug 2022
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## AUTOREN
Felix Lee
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