| # taz.de -- Antisemitismus in Niedersachsen: Die Energiekrise als Nährboden? | |
| > Der Zentralrat der Juden warnt vor antijüdischen Angriffen im Winter. Die | |
| > Landesverbände in Niedersachsen schätzen die Gefahr unterschiedlich ein. | |
| Bild: Gut geschützt: die liberale Synagoge in Hannover | |
| HAMBURG taz | Videokameras am Eingang, Sicherheitspersonal, Stacheldraht. | |
| Seit dem antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge in Halle 2019 wurden | |
| die Sicherheitsvorkehrungen vor vielen jüdischen Einrichtungen in | |
| Deutschland massiv verstärkt. Dass sich die Bedrohungslage für Jüdinnen und | |
| Juden in den kommenden Jahren wieder entspannt, glauben wenige. | |
| Im Gegenteil: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in | |
| Deutschland, warnt vor weiteren antisemitischen Angriffen im Winter. | |
| Infolge einer Energiekrise könnte sich Gewalt vermehrt gegen Minderheiten | |
| richten. Dazu zählen laut Schuster immer auch Juden. | |
| Diese Warnung äußerte Schuster vergangene Woche gegenüber dem | |
| „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Querdenker“ und Coronaleugner hätten | |
| zwar derzeit aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine keine | |
| Plattform mehr – aber „wenn es im Winter kalt wird, wird diese Szene | |
| angreifen und, wie ich befürchte, Erfolg haben“. | |
| Seit Jahren steigt die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten in | |
| Deutschland. Erst im Mai meldete das Bundesinnenministerium für 2021 | |
| insgesamt 3.027 antijüdische Angriffe. Im Jahr zuvor waren es noch 2.351. | |
| „Der [1][Judenhass] hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht“, sagt der | |
| bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU). „Wir in Deutschland haben | |
| eine besondere Verantwortung für Jüdinnen und Juden.“ Deshalb sei es eine | |
| gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jüdisches Leben in Deutschland zu | |
| schützen. | |
| ## Antisemiten brauchen keine Gründe | |
| Die Sorge, dass es im Winter vermehrt zu Angriffen kommen könnte, teilt | |
| Michael Fürst vom Landesverband jüdischer Gemeinden in Niedersachsen nicht. | |
| „Diejenigen, die Antisemiten sind, brauchen dafür kein Problem mit der Gas- | |
| oder Stromversorgung“, sagt Fürst. „Deswegen werden sie nicht mehr.“ | |
| Auch die Zunahme der Straftaten in den vergangenen Jahren habe nichts mit | |
| neuen Entwicklungen zu tun. „Die, die sowieso schon antisemitisch gedacht | |
| haben, bleiben das auch weiterhin und werden auch weiterhin nicht unsere | |
| Freunde sein.“ | |
| Rebecca Seidler vom liberalen Landesverband der Israelitischen | |
| Kultusgemeinden in Niedersachsen sieht das anders. Sie teile Schusters | |
| Sorge insofern, „als dass wir schon [2][im Zuge der Coronapandemie gesehen | |
| haben, dass sich Antisemitismus verstärkt hat]“. Das habe man auch direkt | |
| in den Gemeinden zu spüren bekommen. | |
| Seidler berichtet von einem Vorfall Ende Juni in Hannover, als eine Person | |
| trotz Sicherheitspersonal und Polizeipräsenz vor einer Synagoge „massive | |
| antisemitische und volksverhetzende Aussagen skandierte“. „Wir merken, dass | |
| Hemmschwellen fallen“, sagt Seidler. „Hier muss man klare Kante zeigen.“ | |
| ## Solidarische Zivilgesellschaft nötig | |
| Dass der Schutz jüdischen Lebens nicht nur eine Frage der | |
| Sicherheitsmaßnahmen sei, sondern vielmehr eine gesamtgesellschaftliche | |
| Aufgabe, sehen alle Seiten ein. Dazu müsse sich laut Seidler die | |
| Zivilgesellschaft solidarisch zeigen: „Da sehe ich es im ganz Kleinen. Dass | |
| man nicht drüber hinwegschweigt, wenn man am Arbeitsplatz Sprüche oder | |
| krude Aussagen hört.“ | |
| Fortbildungen zu Formen und Artikulierung von Antisemitismus seien deshalb | |
| besonders wichtig. Die Gesellschaft müsse verstehen, „dass es nicht nur | |
| eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist, die sich gegen Jüdinnen und | |
| Juden wendet, sondern ein Angriff auf unsere Demokratie“. | |
| Fürst sieht die Aufgabe vor allem in den Schulen und bei Eltern. Diese | |
| hätten wesentlichen Einfluss auf die Erziehung der Kinder und könnten so | |
| schon früh über Antisemitismus aufklären. Der Schutz jüdischen Lebens „ist | |
| nicht nur Frage des Staates“, sagt Fürst. Es müsse intensiv auf die | |
| Ausbildung von Lehrer:innen sowie Beschäftigten der Justiz eingewirkt | |
| werden. | |
| Fürst sieht [3][Antisemitismus mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft | |
| angekommen], wie er im Juni dem Sonntagsblatt sagte. Die Verbreitung von | |
| Klischees und Falschmeldungen über Juden habe vor allem durch soziale | |
| Medien zugenommen: „Wenn das immer wieder gelesen wird, glaubt man, das ist | |
| alles wahr.“ | |
| ## Aktuelle keine konkrete Gefahr | |
| Auch die niedersächsische Landesregierung hat in den vergangenen Jahren | |
| Unterstützung zugesagt. Fünf Millionen Euro sollen in bauliche und | |
| technische Sicherheitsmaßnahmen jüdischer Einrichtungen fließen. Die | |
| Zuwendungen des Landes seien schon seit zwei Jahren geplant, sagt Fürst. | |
| Pascal Kübler vom niedersächsischen Innenministerium bestätigt der taz eine | |
| „erhöhte abstrakte Gefährdungslage für jüdische Einrichtungen“, auch we… | |
| in Niedersachsen aktuell keine konkrete Gefahr vorliege. Dies gehe auch aus | |
| dem Verfassungsschutzbericht 2021 des Landes hervor. | |
| Die finanzielle Hilfe des Landes für Sicherheitsmaßnahmen reiche aus, sagt | |
| Michael Fürst. Rebecca Seidler verweist auf die zweieinhalb Jahre alte | |
| Planung und gestiegene Preise: „Wir müssen sehen, inwiefern wir mit dem | |
| Kultusministerium nachverhandeln.“ | |
| 16 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Wasiliu | |
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