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# taz.de -- Alte und neue Antisemiten: Vom Gestern nichts gelernt
> Wie wichtig heute noch Prozesse gegen NS-Verbrecher sind, zeigt eine
> aktuelle Recherche. Die Zahl judenfeindlicher Übergriffe nimmt stetig
> massiv zu.
Bild: Zynischer Hinweis am Todesstreifen in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ…
Zwei Nachrichten an einem Tag: In Brandenburg an der Havel wird ein
ehemaliger [1][KZ-Wachmann zu fünf Jahren Haft verurteilt]. Der Mann ist
inzwischen 101 Jahre alt, das Urteil ereilt ihn mit 77 Jahren Verspätung
und wird wegen der Beihilfe zum Mord in mehr als 3.500 Fällen verhängt. Der
Täter leugnet bis heute jede Schuld.
Am selben Tag meldet die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus
(Rias) [2][2.738 antisemitische Vorfälle in Deutschland]. Die
judenfeindlichen Beleidigungen, die Bedrohungen und Angriffe beziehen sich
nicht auf das Jahr 1932, sondern auf 2021. Es sind fast 800 mehr als im
Jahr davor – und, so viel ist sicher, es sind längst nicht alle.
Die Täter von heute haben aus der Geschichte nichts gelernt. Die Verbrechen
des SS-Mannes mögen vor vielen Jahrzehnten begangen worden sein, doch die
dahinter stehende mörderische Ideologie lebt in den Köpfen der
Nachgeborenen fort.
Selbstverständlich wäre es zu einfach, ein NS-Konzentrationslager in
direkte Beziehung zu den heutigen [3][judenfeindlichen Schmähungen,
Beleidigungen und Angriffen] zu setzen. Der NS-Massenmord bleibt ein
singuläres Verbrechen. Aber eines eint beide Tatkomplexe: die Vorstellung,
Juden seien keine Menschen wie andere, sondern ganz besonders
verabscheuungswürdige Gestalten, denen alles erdenklich Schlechte geschehen
sollte. Dieser ungeheure Hass.
Die Antisemiten von heute nehmen sich nicht unbedingt Männer wie den frisch
verurteilten KZ-Wachmann zum Vorbild. Aber sie teilen seine damaligen
Vorstellungen und halten sie bis heute lebendig. Allein deshalb sind die
letzten Verfahren, die fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch
gegen mutmaßliche Nazi-Straftäter laufen, bitter nötig.
Auch wenn der Tatkomplex abgeschlossen erscheint, wenn von einem
101-Jährigen keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht und wenn die letzten
Zeitzeugen, die letzten Überlebenden sterben, so macht es doch Sinn, die
Verbrecher vor Gericht zu zitieren. Der Staat in Form seiner Justizorgane
muss dafür sorgen, dass die willigen Helfer der Massenmorde nicht verschont
bleiben. Er muss dafür sorgen, dieses Kapitel der deutschen Geschichte
nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Ob der KZ-Wachmann nun tatsächlich ins Gefängnis kommt oder nicht, ist
letztendlich nebensächlich. Es geht hier nicht um Rache oder gar
Wiedergutmachung. Es ist die Pflicht einer Auseinandersetzung. Wie wichtig
sie ist, zeigen gerade die Antisemiten von heute. Das Verdikt gilt nicht
nur dem Täter, sondern es ist ein Signal an seine Sinnesgenossen.
28 Jun 2022
## LINKS
[1] /Urteil-gegen-KZ-Wachmann-in-Sachsenhausen/!5861068
[2] /Jahresbericht-Antisemitismus-2021/!5864499
[3] /Antisemitismus-in-Deutschland/!5767774
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Antisemitismus
NS-Verbrechen
Deutsche Geschichte
deutsche Justiz
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Antisemitismus
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