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# taz.de -- Mindestgagen für deutsche Serien: Wie im falschen Film
> Ein Vertrag zwischen Netflix und Verdi soll Gage-Standards für
> Filmschaffende setzen. Aber trotz der Einigung sind Regisseur*innen
> unzufrieden.
Bild: Die Verhandlungen zwischen Netflix und dem BVR sind vorerst gescheitert
Berlin taz | Wer Jobst Oetzmann zuhört, könnte meinen, auf deutschen
Filmsets herrsche eine Zweiklassengesellschaft. Oetzmann ist Regisseur und
Beiratsmitglied im Vorstand des Bundesverbandes Regie (BVR). Und im Moment
ist er vor allem eins: enttäuscht und wütend.
Die neuen Regeln für Serienproduktionen, auf die sich Netflix und Verdi im
Juli geeinigt haben, gehen Oetzmann nicht weit genug. Verdi habe zudem
laufende Verhandlungen zu gemeinsamen Vergütungsregeln des BVR mit
[1][US-Streaminganbieter Netflix] hintergangen und sei auch nicht dafür
zuständig, die Interessen von Regisseur*innen fiktionaler Stoffe in
Deutschland zu vertreten. Oetzmann spricht von einem „Tabubruch“ – Verdi
widerspricht.
Bereits 2020 hatten sich Verdi und Netflix auf sogenannte Gemeinsame
Vergütungsregeln für Zusatzvergütungen bei Serienproduktionen geeinigt.
Begünstigt werden davon laut BVR zwar alle Teilnehmer*innen in einem
Team, etwa Schauspieler*innen, Autor*innen und auch die
Regisseur*innen. Der Punkt sei jedoch, so Oetzmann, dass die
Regisseur*innen nicht nach ihrem Einverständnis gefragt worden seien
und zudem nach ihrem Empfinden zu wenig begünstigt würden.
Verdi vermeldete nun, [2][dass Netflix ab Juli den Tarifvertrag f]ür auf
Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende zur Grundlage
bei Serienproduktionen mache. Ebenso wie den Gagentarifvertrag. Zudem seien
auch Mindestgagen für Regisseur*innen festgelegt worden, die sich in
die bestehenden Gemeinsamen Vergütungsregeln einfügen sollen.
## Es fehle an Know-how
Genau hier sieht Jobst Oetzmann das Problem. Denn: Die Regelung mit Verdi
sei nichts anderes als ein „Deal“, der zugunsten der Teams bewusst
unvorteilhaft für Regisseur*innen sei. Es sei traditionell die Aufgabe
des BVR, im Bereich der Vergütung zu verhandeln, da Verdi keine Regie für
fiktionale Filme vertrete. Die Gewerkschaft habe in diesem Bereich kaum
Mitglieder und es fehle an Know-how.
Anders sei es bei dem Verband, der dank der Mitgliederzahl von 550
Filmschaffenden repräsentativ sei. Er habe deshalb auch seit 2020 mit
Netflix verhandelt. Zuletzt mussten die Verhandlungen für gescheitert
erklärt werden, weil sich nicht auf Gagen geeinigt werden konnte. Nun gehe
es in ein Schlichtungsverfahren. In dieses „grätscht Verdi mit seinem
Versuch, Mindestgagen für Regisseur*innen bei Netflix für Serien zu
regeln“, so Oetzmann.
Oetzmann ärgert in der Sache vor allem, dass Verdi nicht auf den BVR
zugegangen sei. Auf ein Schreiben der gesamten Urheberverbände der Branche
im April habe Verdi nicht einmal reagiert. Hinzu kommt: Die verhandelten
Gagen seien „deutlich schlechter als sie sein sollten“, sagt der Regisseur.
„Das, was Verdi mit Netflix ausgehandelt hat und als Erfolg sieht, ist
sogar weniger als das, was Netflix uns in den Verhandlungen angeboten hat.“
Bei den 45 Minuten langen fiktionalen Serien, um die es in der Sache geht,
müsse man auch die entsprechenden Bedingungen mitdenken. Etwa die Frage,
wie, wo und wie lang die Serien genutzt werden. Alles Indikatoren, die laut
dem BVR nicht berücksichtigt worden seien. Stattdessen habe man nur das
Produktionsbudget als Grundlage genommen.
## Verdi widerspricht
Für den Streamingdienst sei das die perfekte Chance, das eigene Image mit
angeblich fairen Bezahlungen zu polieren. Das Ziel, so Oetzmann, sei die
Etablierung von Billiglohnländern. Vor wenigen Wochen erst teilte Netflix
mit, den Produktionsstandort Dänemark zu boykottieren. Der Grund: Man sei
nicht bereit, die dort verbreiteten Gagen zu zahlen.
Die Vorwürfe stoßen auf Unverständnis. Und auf eine Gegenseite, die einen
ganz anderen Sachverhalt schildert. Verdi vertrete alle Filmschaffende,
auch Regisseur*innen, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Dass dies gut
gelinge, zeige erst der jüngste Abschluss mit Netflix. Das Ergebnis sei
Zeuge der fachlichen Expertise von Verdi.
Da der BVR die eigenen Verhandlungen mit Netflix ergebnislos für
gescheitert erklärt habe, sei die Kritik angesichts der Verdi-Ergebnisse
völlig unberechtigt. „Die Mindestgagen für Regisseur*innen, die wir
vereinbart haben, liegen über allen Regelungen, die der BVR mit
privatwirtschaftlichen oder öffentlich-rechtlichen Sendern abgeschlossen
hat“, so die Sprecherin. In einem Verdi-Statement heißt es sogar, dass ein
Großteil der Verärgerung als ein Verpassen eigener Chancen zu verstehen
sei.
Zu den besonderen Bedingungen, auf die der BVR bei Netflix-Produktionen
pocht, äußert sich Verdi jedoch nicht. Für Oetzmann und den BVR steht
fest: Für eine gerechte Entlohnung könne man sich auf Verdi nicht
verlassen. Der BVR wird daher die Schlichtung mit Netflix weiterführen.
16 Aug 2022
## LINKS
[1] /Streamdingdienst-Netflix-in-der-Krise/!5852591
[2] https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++a384bb02-881c-11ec-8b9…
## AUTOREN
Larena Klöckner
## TAGS
Verdi
Netflix
Tarif
Netflix
Netflix
Filmbranche
Diversity
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