# taz.de -- Überschwemmungen in Kentucky: Klimakatastrophe im Kohlestaat | |
> Im US-Bundesstaat Kentucky sind mindestens 25 Menschen bei | |
> Überschwemmungen gestorben. Ob der Klimawandel eine Rolle spielt, ist | |
> dort ein Politikum. | |
Bild: Die Zahl der Toten nach den verheerenden Überflutungen in Kentucky ist a… | |
NEW YORK taz | „Betet für die Familien“, sagt Gouverneur Andy Beshear bei | |
einer Pressekonferenz am Samstag in Frankfort, Kentucky. Es ist eine | |
Warnung. Katastrophenhelfer haben bereits 25 Leichen in den Appalachen im | |
Osten des Bundesstaates geborgen. Aber die Wassermassen, die kleine Bäche | |
in den engen Tälern in tödliche Fallen verwandelt haben, sind noch nicht | |
abgeschwollen. Ganze Städte stehen unter Wasser. Eingestürzte Straßen und | |
Brücken erschweren den Zugang. Die Strom- und Trinkwasserversorgung für | |
Zigtausende ist zusammengebrochen. | |
Hunderte Menschen im Osten von Kentucky sind bis Samstagnachmittag aus der | |
Luft geborgen worden. Aber Hunderte weitere werden vermisst. Erst in den | |
kommenden Wochen wird sich zeigen wird, wie viele tatsächlich bei den | |
Überschwemmungen ums Leben gekommen sind, warnt der Gouverneur. | |
Ob es einen Zusammenhang zwischen den stärksten je beobachteten Regenfällen | |
in Kentucky und dem Klimawandel gibt, will Beshear nicht sagen. Der | |
Gouverneur ist ein Demokrat. Anders als viele andere Politiker in den | |
Südstaaten hält er den Klimawandel für real. Aber [1][er will die Tragödie | |
nicht „politisieren“], sagt er bei der Pressekonferenz am Samstag. | |
Als der Regen auf Ost-Kentucky herunterging, blieb vielen nur die Flucht | |
auf Hausdächer. Eine 17-Jährige und ihr Hund harrten stundenlang auf einem | |
immer kleiner werdenden Dachgiebel aus, bis sie geborgen wurden. Eine | |
98-Jährige und ihr über 70-jähriger Sohn im Letcher County schwammen den | |
Katastrophenhelfern aus einem Fenster ihres Hauses entgegen. Eine | |
sechsköpfige Familie im Knott County klammerte sich zunächst an einen Baum. | |
Dann riss eine Flutwelle alle vier Kinder gleichzeitig in den Tod. Nur die | |
Eltern überlebten. | |
Wissenschaftler und Klimaaktivisten sehen seit Langem einen Zusammenhang | |
zwischen Hitze und Feuchtigkeit. „In Kentucky wird es heißer und feuchter“, | |
stellt Megan Schargorodski, die Klimatologin des Bundesstaates, fest. Die | |
Organisation „Climate Central“ hat im April Untersuchungen veröffentlicht, | |
wonach die Niederschlagsintensität im Osten von Kentucky im letzten halben | |
Jahrhundert massiv gestiegen ist: In Hazard nahm der Regen um 17 Prozent | |
zu, in Louisville sogar um 25 Prozent. | |
[2][Weil Regen und katastrophale Überschwemmungen auch in anderen | |
Bundesstaaten der USA zunehmen], belaufen sich die dadurch entstehenden | |
Eigentumsschäden schon jetzt landesweit auf rund 20 Milliarden Dollar pro | |
Jahr, hat die „First Street Foundation“ herausgefunden. Die Stiftung ist | |
auf Klimarisiken spezialisiert. Sie hält es für möglich, dass die | |
Eigentumsschäden durch Überschwemmungen in den nächsten 30 Jahren um 60 | |
Prozent zunehmen werden. | |
Kentucky ist zugleich Opfer und Mitverursacher des Klimawandels. Die | |
Geschichte des Bundesstaates ist eng mit dem Kohlebergbau verknüpft. Ein | |
Fünftel der US-Kohleförderung stammt aus Kentucky – davon der größte Teil | |
aus den Appalachen. In der Region bestimmen Holz- und Kohleabbau die | |
Ökonomie. Der Kohleabbau in den Appalachen findet sowohl unter Tage als | |
auch unter offenem Himmel statt. In der Region sind Hunderte Bergspitzen | |
gesprengt worden, um den Zugang zur Kohle zu erleichtern. Kohle bestimmt | |
auch Kentuckys Energieproduktion: 70 Prozent der Elektrizität des | |
Bundesstaates wird mit Kohle hergestellt. | |
Die Zahl der Arbeitsplätze im Kohlebergbau von Kentucky ist zuletzt auf | |
4.300 geschrumpft. Aber Kritik an der Kohle sowie die Diskussion über den | |
Klimawandel ist in dem Bundesstaat [3][weiterhin mit hohen politischen | |
Risiken verbunden]. Dafür sorgen mächtige Lobbygruppen wie die „Friends of | |
Coal“. Der Chef des einflussreichen „Ausschuss für natürliche Ressourcen | |
und Energie“ in Kentucky, der Republikaner Jim Gooch, bestreitet den | |
Klimawandel. Kentuckys ehemaliger Gouverneur Matt Bevin, ebenfalls ein | |
Republikaner, bezeichnete den Klimawandel als „Witz“. Überraschend verlor | |
er 2019 gegen den Demokraten Beshear. Aber der Abstand zwischen den beiden | |
betrug nur knappe 0,4 Prozent. Und die Republikaner halten weiterhin eine | |
Super-Mehrheit in Frankfort, mit der sie fast alle Initiativen des | |
demokratischen Gouverneurs blockieren. | |
Für Kentucky sind die Überschwemmungen die zweite Katastrophe binnen | |
weniger Monate. Erst Ende 2021 wüteten in dem Bundesstaat Tornados, bei | |
denen mehr als 70 Menschen ums Leben kamen. | |
Den Überlebenden in den Appalachen stehen jetzt harte Zeiten bevor. Nach | |
dem Rekordregen droht ihnen eine Rekordhitze. Viele haben ihren kompletten | |
Besitz verloren. Und viele haben keine Überschwemmungsversicherung. Die | |
Appalachen sind eine der ärmsten Regionen der USA. Und obwohl bekannt ist, | |
dass ihre engen Täler anfällig für Überschwemmungen sind, gibt es weder | |
Pläne noch Ressourcen zur Schadensbegrenzung. „Wir brauchen mehr als | |
Gedanken und Gebete“, schreibt die Zeitung Lexington Herald-Leader am | |
Samstag als Reaktion auf die politische Untätigkeit: „Wir brauchen | |
Forschung, Wissen und Vorsorge“. | |
31 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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