# taz.de -- Dorf im sächsischen Braunkohlerevier: Gerettet – und nun? | |
> Pödelwitz drohte vom Braunkohletagebau verschluckt zu werden. Der Ort hat | |
> überlebt, doch die meisten Menschen sind weg. Und der Rest? Hat Großes | |
> vor. | |
Bild: Der Tagebau streckte seine Bagger schon nach Pödelwitz aus | |
PÖDELWITZ taz | Woher hier, 20 Kilometer südlich von Leipzig, der Strom | |
kommt, wird dem Betrachter schnell klar. Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf | |
dominiert mit seinen beiden dampfenden Kühltürmen die Landschaft. Zwischen | |
den einzelnen Baumgruppen stehen mächtige Hochspannungsleitungen. Dahinter: | |
die braune Wüste des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain. | |
Der streckte seine Abraumbagger schon nach dem Dörfchen Pödelwitz aus. Bis | |
zu 300 Einwohner zählte das einst, dem drohenden Abbaggerungsdruck | |
widersetzten sich schließlich nur noch etwa 30 von ihnen. 2018 und 2019 | |
wurden die lokalen Bürgerinitiativen unterstützt von [1][großen bundeweit | |
organisierten Klimacamps] und hatten schließlich Erfolg: [2][Seit Anfang | |
2021 ist klar]: „Pödelwitz bleibt“ – so hatte es gar die sächsische | |
Regierung in einer Pressemitteilung verkündet. | |
Doch für ein großes Freudenfest reichte es in Pödelwitz daraufhin nicht. Zu | |
ausgezehrt war der Ort, schließlich sind bis auf ein paar Dutzend Menschen | |
alle ehemaligen Einwohner weg. Umgesiedelt, entschädigt. | |
Ideen für die Zukunft gibt es viele, Visionen eines Modelldorfes des | |
Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit jenseits von Kapitalinteressen etwa. | |
Pläne für eine Wiedergeburt als Alternative zu den im renaturierten Südraum | |
Leipzig sonst üblichen Tourismusklischees und Immobilienvermarktungen. | |
## Autarke Zukunft | |
„Wir wollen inmitten der globalen Urbanisierung eine kleine Einheit bilden, | |
die gesellschaftliche Transformation praktisch erprobt und sich mit anderen | |
einzigartigen Orten verbindet, die zukunftsfähige Lebensstile erfinden“, | |
heißt es in einem neugefassten Positionspapier des Vereins [3][„Pödelwitz | |
hat Zukunft“]. In dieser Zukunft will man sich möglichst autark versorgen, | |
viel gemeinsam tun und Gemeingüter bewirtschaften, ein Ort der kurzen Wege | |
und Arbeitswege sein, in mehreren Generationen zu fairen Preisen wohnen, | |
Menschen mit Einschränkungen inkludieren, generell im Einklang mit der | |
Natur leben und ein Kulturzentrum einrichten. | |
Was damit konkret gemeint sein kann, lässt sich jetzt schon im alten | |
Pfarrgarten beobachten. Eine Jurte dominiert das Gelände, davor eine | |
Sitzrunde, ein Baumhaus, im Hintergrund der Vorratsschuppen und die | |
improvisierte Küche. Zubereitet wird, was der Garten hergibt. Ab September | |
kann man hier in Wochenendlehrgängen mit Übernachtung sogar lernen, wie man | |
einen Kräutergarten anlegt. | |
Für die wachsende Zahl uriger Siedler ist es hier relativ sicher, sie | |
befinden sich schließlich auf Kirchenland. Drum herum sind etliche | |
Grundstücke klar per Schild als „Privatgelände“ markiert. Sie gehören | |
längst der Mibrag, der Mitteldeutschen Braunkohle AG. Sie hatte sie für die | |
bevorstehende Abbaggerung dem umzugsbereiten Teil der Einwohner abgekauft. | |
Der Zustand dieser Fachwerkbauten bereitet Holga Schneider aus dem | |
Pfarrgarten Sorge. Es tut sich nämlich nichts, nur Gras und Unkraut wuchern | |
höher als im Vorjahr und federn die herabfallenden Ziegel ab. Ansonsten ist | |
gegenüber dem Sommer 2021 lediglich eine positive Veränderung | |
festzustellen: Ein Bautrupp glättet gerade den Asphalt über Kabelgräben | |
wieder, die quer durchs Dorf gezogen wurden. Glasfaserkabel liegt hier, | |
also schnelles Internet. | |
Eine Investition in die Zukunft. Doch von Zuzügen oder Rückkehrern können | |
die Pfarrgartenbewohner nicht berichten. „Die Mibrag lässt Rückkäufe nicht | |
zu“, sagt Holga Schneider. Sollen die Grundstücke für künftige | |
Spekulationen in Reserve gehalten werden? | |
Nicht weit entfernt gibt es mit dem Leipziger Neuseenland bereits eine | |
Bergbaufolgelandschaft, und die standardisierten Naherholungsstrukturen aus | |
seelenlosen Uferklötzen zu horrenden Preisen am „Kap“ im benachbarten | |
Zwenkau gelten vielen in Pödelwitz als abschreckende Beispiele. | |
Wobei eine Flutung des gegenwärtigen Tagebaus Schleenhain, die Pödelwitz in | |
die Lage einer Halbinsel bringen würde, auf mittlere Sicht nicht befürchtet | |
werden muss: Es fehlt schlichtweg an Wasser, schon jetzt ist die Entnahme | |
von Oberflächenwasser verboten. Doch die aufständischen Pfarrgärtner | |
glauben, dass die Stadt Groitzsch, von der Pödelwitz ein Ortsteil ist, auch | |
in ihrer vom Kohlebagger verschonten Ortslage die übliche touristische | |
Vermarktung wolle. | |
Im November des Vorjahres keimte noch Hoffnung auf, als sich der Stadtrat | |
im Saal einer Gaststätte einen ganzen Abend Zeit für eine Anhörung der | |
Enthusiasten nahm. Unter ihnen Klimaaktivisten und Studierende aus Leipzig, | |
Christen und Wissenschaftlerinnen wie Nora Mittelstädt vom Leipziger | |
Umweltforschungszentrum. | |
Sie schwärmte damals vom „Gestaltungspotenzial eines leeren Dorfes“. Sehr | |
konkret wurde der Handwerker Thilo Kraneis, der eine betreute | |
Wohneinrichtung für Behinderte mit 25 Sozialarbeitsplätzen aufbauen und | |
dafür 12 Grundstücke von der Mibrag kaufen wollte. | |
Nicht offen ablehnend, aber spürbar skeptisch hörten sich Stadtrat und | |
Bürgermeister von Groitzsch die visionären Ideen an. Man verwies aber | |
schnell auf die Schlüsselfunktion der Mibrag und wollte sich erst einmal | |
ein Vierteljahr Zeit zum Nachdenken gönnen. Diese Auszeit hält bis heute | |
an. Bürgermeister Maik Kunze reagiert nicht auf Journalistenanfragen. | |
Es scheint, als habe bislang niemand sonst seine gierigen Finger nach | |
Pödelwitz ausgestreckt. „Es ist eher alarmierend als beruhigend, dass sich | |
nichts tut“, sagt Holga Schneider dazu. Mitstreiterin Thea Weber ist etwas | |
optimistischer. Sie glaubt nicht, dass man noch hinter den Ideenvorlauf zur | |
neuen Ortsgestaltung zurückkönne. „Der Kampf um seine Existenz hat | |
Pödelwitz zu bekannt und zu einem Politikum gemacht“, meint sie. | |
Für diese Hoffnung spricht, dass sich hinter den Kulissen durchaus etwas | |
bewegt, zumindest symbolisch. Anfang April übergab die grüne sächsische | |
Justizministerin Katja Meier den mit der Auszeichnung als einer von 13 | |
„Orten der Demokratie“ verbundenen Fördermittelbescheid an den Pödelwitzer | |
Zukunftsverein. Mehr als bloß eine Ehre, denn es winken 300.000 Euro und | |
zwei Stellen für drei Jahre. | |
Wie genau diese Förderung umgesetzt wird, vermag Matthias Werner von | |
„Pödelwitz hat Zukunft“ jedoch noch nicht zu sagen. „Es dauert alles sehr | |
lang“, stellt er fest, verweist aber zugleich auf eine gewisse | |
Formierungsphase der Zukunftsarbeit. Die werde ab Herbst konzentriert, | |
nachdem die Vielzahl beteiligter Ansprechpartner in der Vergangenheit | |
verwirren konnte. | |
Auch der sonst so unerschütterliche und agile Jens Hausner, ein | |
bodenständiger Landwirt, der seit über zehn Jahren für sein Dorf kämpft, | |
wirkt etwas müde. „Unser Lebensmodell ist halt von der Politik nicht | |
gewollt“, sagt er resigniert. Er vermutet, dass man in herkömmlicher Weise | |
„Kontrolle über die Leute ausüben“ wolle. Auch der Stadtrat Groitzsch, | |
dessen Mitglied er ist, kenne solche innovativen Projekte nicht und gewöhne | |
sich schwer an sie. | |
Gleichwohl klagt Hausner nicht nur, sondern berichtet von Plänen, die | |
örtliche Kirche nun auch im Inneren zu sanieren, die Orgel von 1770 | |
eingeschlossen. Schon bei den Klimacamps und Widerstandsaktionen vor | |
wenigen Jahren nahm die von einem wohlgepflegten Friedhof umgebene Kirche | |
eine zentrale Funktion ein und soll in Zukunft noch stärker | |
gesellschaftlichen Aktivitäten und Veranstaltungen dienen. | |
Der Verein „Pödelwitz hat Zukunft“ versuche immerhin, „bei der Politik | |
einen Fuß in die Tür zu bekommen“. Das sei wegen des Beispielcharakters | |
auch besonders wichtig, mahnt Hausner. Denn unabhängig davon, ob das | |
Experiment eines Modelldorfes gelingt, ist Pödelwitz schon jetzt ein | |
Modellfall für fünf Dörfer am Rand des rheinischen Tagebaus Garzweiler, die | |
trotz Kohlestopps [4][von der Umsiedlung bedroht sind]. | |
8 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-gegen-Braunkohle/!5617800 | |
[2] /Ort-in-Sachsen-vor-Baggern-gerettet/!5745883 | |
[3] https://www.poedelwitz.de/de/ | |
[4] /Protest-gegen-Braunkohletagebau/!5850054 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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