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# taz.de -- Papst entschuldigt sich bei Indigenen: Bußreise nach Kanada
> Papst Franziskus entschuldigt sich für die Rolle der Kirche bei
> Verbrechen gegen die indigenen Einwohner Kanadas. Sie haben lange darauf
> gewartet.
Bild: Verbinden heute indigene Traditionen und Christentum: Eine Kirche der „…
Calgary taz | Es ist eines der düstersten Kapitel in der Geschichte
Kanadas: Über einhundert Jahre lang steckte die Regierung nach offiziellen
Schätzungen mehr als 150.000 indigene Kinder in Zwangsinternate mit dem
Ziel, dort deren Kultur zu tilgen und sie in der weißen Gesellschaft zu
assimilieren. Die letzte der berüchtigten [1][„Residential Schools“]
schloss erst im Jahre 1996.
Für viele indigene Kinder waren die Schulen, die vom Staat finanziert und
größtenteils von den Kirchen betrieben wurden, schreckliche Orte. Meist
wurden die Kinder von ihren Eltern getrennt, indigene Sprachen waren tabu,
oftmals gab es zu wenig zu Essen. Schläge, Erniedrigungen und körperlicher
Missbrauch gehörten in den Internaten zum Alltag. Auch sexuelle Übergriffe
gab es.
Nach Berechnungen einer in Kanada eingerichteten Wahrheits- und
Versöhnungskommission [2][überlebten 6.000 Kinder die Qualen nicht]. Die
meisten starben an Unterernährung oder Krankheiten, manche auch an den
Folgen der Gewalt, Entfremdung oder Einsamkeit. Immer mehr Funde
unmarkierter Kindergräber nahe der ehemaligen Schulen sorgen weltweit für
Schlagzeilen.
In ihrem Abschlussbericht von 2015 sprach die Kommission, deren Experten
die Vorgänge mehrere Jahre lang untersucht und dazu tausende Schüler
interviewt hatten, von einem „kulturellen Genozid“. Sie forderten den Papst
auf, sich für die Rolle der Kirche in dem Zwangssystem zu entschuldigen.
Die katholische Kirche betrieb rund zwei Drittel der knapp 140 Schulen.
## Nach all den Jahren endlich ein „Es tut mir leid“
Sieben Jahre später ist es soweit: Am Sonntag kommt Papst Franziskus für
sechs Tage zu einer Bußreise nach Kanada, um sich mit den Ureinwohnern zu
versöhnen. Nach langem Zögern will sich der Pontifex auf kanadischem Boden
offiziell für die Verfehlungen der Kirche in den Internaten entschuldigen.
In Rom hatte er dies bereits im April bei einem Besuch einer indigenen
Delegation aus Kanada getan.
Die Ureinwohner haben lange darauf gewartet. Viele nehmen große Umstände in
Kauf, um bei dem Bußgang dabei zu sein. Fern Hendersen von der Sagkeeng
First Nation in Manitoba will über 1.300 Kilometer bis nach Alberta fahren,
wo der Papst am Montag auf dem Gelände der einstigen Residential School von
Maskwacis ehemalige Schülerinnen und Schüler aus ganz Kanada treffen will.
Hendersen hatte als Kind selbst Gewalt und Missbrauch in einem der
Internate erfahren und glaubte lange, mit ihm sei etwas verkehrt. Dieser
Schmerz werde nunmehr anerkannt. Nach all den Jahren werde er nun endlich
die Worte „es tut mir leid“ hören. Die Entschuldigung werde es ihm und
seiner Familie erleichtern, die Vergangenheit zu bewältigen und
optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Linda Daniels aus Portage la Prairie, die ebenfalls eines der Internate
besuchen musste, sagte dem Sender CBC: „Wir können vergeben, aber wir
werden nie vergessen, was passiert ist. Den Schmerz werden wir in uns
tragen bis zu dem Tag, an dem wir sterben.“ Daniels ist heute 68 Jahre alt
und hofft, dass die Entschuldigung bei der Heilung hilft und vielen
Ureinwohnern einen Neuanfang ermöglicht.
## Kanadas Regierung finanziert die Anreise indigener Gruppen
Die kanadische Regierung hat den verschiedenen indigenen Gruppen im Vorfeld
der Reise Millionenbeträge zur Verfügung gestellt, damit deren Angehörige
zu den Treffen mit dem Papst reisen können.
Geplant hat der Papst unter anderem Messen in Edmonton und Québec City,
eine Pilgerfahrt mit indigenen Kanadiern in Alberta sowie private Treffen
mit Vertretern der Inuit-Ureinwohner im Nordterritorium Nunavut.
In Québec wird der Papst zudem Premierminister Justin Trudeau treffen,
dessen Regierung sich seit längerem für eine Aussöhnung des Staates mit den
Ureinwohnern einsetzt.
Die Regierung in Ottawa hatte sich bereits vor über zehn Jahren im
Parlament zu ihrer Verantwortung bekannt, sich offiziell für die Verbrechen
der Vergangenheit entschuldigt und Entschädigungen für Opfer
bereitgestellt.
## Rückforderung indigener Artefakte aus vatikanischen Museen
Manchen Ureinwohnern reicht die Entschuldigung des Papstes daher nicht aus.
Der Häuptling der [3][Federation of Sovereign Indigenous Nations], Bobby
Cameron, forderte konkrete Taten. Beispielsweise hatten die kanadischen
Bischöfe versprochen, zur Aufarbeitung der Vergangenheit Mittel im Umfang
von 30 Millionen Dollar zu sammeln, bislang sind aber nur knapp fünf
Millionen zusammengekommen.
Die indigenen Vertreter wollen zudem erreichen, dass noch lebende
Straftäter aus dem Klerus angeklagt werden können und die Archive der
ehemaligen Schulen oder Klöster geöffnet werden, unter anderem, um
Kinderleichen in anonymen Gräbern leichter identifizieren zu können. Auf
der Liste der Forderungen steht außerdem die Rückholung kultureller
Artefakte aus den vatikanischen Museen.
Die Bußreise von Franziskus ist der erste Besuch eines Papstes in Kanada
seit über zwanzig Jahren. Zuletzt war Papst Johannes Paul II. im Jahre 2002
zur Eröffnung des Weltjugendtages nach Toronto gereist. In Kanada bekennt
sich rund ein Drittel der Bevölkerung zum katholischen Glauben, darunter
seit dem Beginn der Missionierung im 17. Jahrhundert auch viele indigene
Bewohner.
24 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.nytimes.com/2021/07/05/world/canada/Indigenous-residential-scho…
[2] /Indigene-in-Kanada/!5775618
[3] https://twitter.com/fsinations
## AUTOREN
Jörg Michel
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