# taz.de -- Entschädigung für Indigene in Kanada: Mehr Kindergräber entdeckt | |
> Seit Jahresbeginn wurden Grabstellen in drei ehemaligen Zwangsinternaten | |
> entdeckt. Nun will die Regierung den „First Nations“ Milliarden zahlen. | |
Bild: Der Friedhof auf dem ehemaligen Gelände der St. Josephs Mission Resident… | |
CALGARY taz | Neue schreckliche Entdeckung in Kanada: Seit einem Jahr | |
suchen Experten auf dem Gelände der St. Joseph’s Mission Residential School | |
im Westen des Landes nach Gräbern indigener Kinder. Im Januar 2022 hatten | |
sie bereits 93 potenzielle Gräber gefunden, jetzt kommen vermutlich 66 | |
weitere Grabstätten hinzu. Dies gab das Untersuchungsteam der „First | |
Nations“ von Williams Lake bei einer Pressekonferenz bekannt. | |
Die leitende Ermittlerin Whitney Spearing betonte, dass nachweislich | |
mindestens 28 Kinder auf dem Gelände der ehemaligen Internatsschule | |
gestorben sind, viele davon seien in nicht gekennzeichneten Gräbern | |
verscharrt worden. „Es ist auch klar, dass viele der Kinder und Kleinkinder | |
auf Grund sexueller Übergriffe geboren wurden und durch Verbrennung | |
innerhalb und außerhalb der Schule entsorgt wurden“, so Spearing. | |
Die Schule in Williams war von 1891 bis 1981 geöffnet und wurde | |
größtenteils von der katholischen Kirche betrieben. Sie war eine von knapp | |
140 derartigen Einrichtungen in Kanada, in denen indigene Kinder | |
unterrichtet und zwangsweise in der „weißen Gesellschaft“ assimiliert | |
werden sollten. [1][Zuletzt waren in immer mehr der ehemaligen Internate | |
anonyme Gräber von Kindern geortet worden]. | |
Die Funde in Williams Lake sind bereits die dritte Entdeckung dieser Art in | |
Kanada innerhalb weniger Wochen. Mitte Januar waren in ähnlichen | |
Einrichtungen der Kirche in Lebret in der Provinz Saskatchewan sowie Kenora | |
in der Provinz Ontario ebenfalls potenzielle Grabstellen nachgewiesen | |
worden. Die Funde hatten in Kanada und weltweit erneut Entsetzen | |
hervorgerufen. | |
## Staatliche Schulen für eine „weiße Gesellschaft“ | |
Bei den sogenannten „Residential Schools“ handelte es sich um staatlich | |
finanzierte und zumeist von den großen Kirchen betriebene Internate, in | |
denen indigenen Kindern ihre Kultur und Sprache genommen werden sollte. Ab | |
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren insgesamt 150.000 indigene | |
Kinder in Kanada ihren Familien entrissen und in derartige Schulen | |
geschickt worden. | |
Laut Schätzungen einer in Kanada eingerichteten Wahrheits- und | |
Versöhnungskommission starben in den Internaten insgesamt bis zu 6.000 | |
Kinder, die meisten von ihnen an Unterernährung oder an Krankheiten wie | |
Tuberkulose. Manche starben aber auch an den Folgen der Gewalt, Entfremdung | |
oder Einsamkeit. Auch in den Vereinigten Staaten gab es ähnliche | |
Einrichtungen. | |
In ihrem Abschlussbericht im Jahre 2015 sprach die Kommission von einem | |
„kulturellen Genozid“ an den Ureinwohnern. Die Regierung in Ottawa hat sich | |
mittlerweile zu ihrer Verantwortung bekannt, sich offiziell für die | |
Verbrechen entschuldigt und Entschädigungen gezahlt. Für die Suche und | |
Identifizierung der Opfer hat die Regierung von Premierminister Trudeau | |
viele Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. | |
Tatsächlich sind den Behörden und den Ureinwohnern die Standorte der | |
meisten anonymen Grabfelder seit vielen Jahrzehnten bekannt. Allerdings kam | |
es in Kanada lange nicht zu einer systematischen Identifizierung der Opfer | |
oder Aufklärung der Begleitumstände, weil es an historischen Aufzeichnungen | |
fehlt oder die Kirchen oftmals zögerlich waren, ihre Archive umfassend zu | |
öffnen. | |
[2][Im letzten Jahr hatte sich der Papst bei einem Besuch in Kanada | |
erstmals ausdrücklich zur Mitschuld der Kirche an dem Zwangssystem | |
bekannt]. Die Bemühungen, die dunkle Geschichte aufzuarbeiten und die | |
Grabstellen zweifelsfrei per Bodenradar zu identifizieren, haben in Kanada | |
seitdem Fahrt aufgenommen. Experten rechnen in den kommenden Monaten und | |
Jahren mit Dutzenden weiteren Funden. | |
Als Reaktion hatte sich die Regierung letzte Woche mit über 300 indigenen | |
Völkern des Landes auf erneute Entschädigungen in Milliardenhöhe geeinigt. | |
Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs verpflichtete sich der Staat, | |
insgesamt 2,8 Milliarden kanadische Dollar (rund 1,9 Milliarden Euro) | |
bereitzustellen. Mit den Geldern sollen unter anderem Programme zur | |
Förderung indigener Sprachen und Kulturen finanziert werden. | |
26 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jörg Michel | |
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