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# taz.de -- Ausgrabungen in Hamburg: Die Altonaer Zeitkapsel
> Ausgrabungen rund um eine Kirche in Hamburg geben Einblick in ein großes
> Bodendenkmal: Es gibt Funde vom 17. Jahrhundert bis in den Sommer 1943.
Bild: Dauern wohl noch bis in den Herbst: Die archäologischen Grabungen rund u…
HAMBURG taz | Der Aschenbecher aus weißem Porzellan, in den die Archäologen
ihre Kippen werfen, lag einen Tag zuvor noch unter mehreren Metern Schutt.
Sie haben ihn bei den Ausgrabungen vor der Kirche St. Trinitatis in einem
ehemaligen Keller entdeckt. [1][Fast 80 Jahre nach der Bombardierung der
Stadt] wird er wieder genutzt. „Das nennen wir recycled“, sagt einer der
Arbeiter und lacht. Die Stimmung auf der Baustelle ist spürbar gut, es ist
wie bei einer Schatzsuche.
Was hier bislang ausgegraben wurde, ist für die Archäologen sensationell.
Die Funde reichen vom 17. Jahrhundert bis in den [2][Sommer 1943, als
Hamburg im Zuge der „Operation Gomorrha“] von alliierten Truppen
bombardiert wurde. „Das ist alles eingefroren, wie in einer Zeitkapsel“,
sagt Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg.
Seit Februar führt das Unternehmen ArchOn die archäologischen
Untersuchungen durch, unterstützt von der Baufirma Ehlert & Söhne. Der
Bereich südlich der Königstraße war einst [3][Altonas Stadtzentrum]. Direkt
neben der Hauptkirche befand sich der Friedhof, ringsum Straßen, Gassen,
Häuser. Ab 2023 soll hier ein neues urbanes Quartier entstehen. Davor
müssen die Untersuchungen fertig sein.
Die Funde wurden teilweise bereits präsentiert. Ein Sandsteinrelief samt
Altonaer Stadtwappen stammte vermutlich von einer öffentlichen Einrichtung
in der Nähe der Kirche. Neben solch großen Exemplaren trugen die
Archäologen unzählige kleinere Funde zutage. Barockfliesen, Werkzeuge und
Haushaltsgegenstände lassen auf die Lebensverhältnisse im einstigen
Stadtzentrum schließen. Dazwischen finden sich immer wieder Knochen. „Da
hinten sehe ich eine Speiche. Und das hier“, sagt Weiss und zeigt direkt
vor uns auf den Boden, „ist ein Schädel, das erkennt man mit der Zeit sehr
schnell.“
## Durch Hitze der Bomben verformte Flaschen
Die ehemalige Kibbelstraße, die auf alten Stadtplänen dokumentiert ist,
bildet auch heute den Zugang zu den einzelnen Ausgrabungen. Von ihr gehen
Eingänge zu Kellern weg, die nun offen liegen. Zwischen den stehen
gebliebenen Grundmauern finden die Archäologen Hinweise auf die früheren
Bewohner:innen und deren Situation im Sommer 1943. Unverputzte Mauern
aus Ziegelsteinen unterteilen die einst großen Keller in kleinere Abteile.
„Da hat man aus losen Steinen Mauern gestapelt“, sagt Weiss und
durchschreitet den Raum. „Das kann nur das Schaffen von Luftschutzräumen
sein.“ In den Ausgrabungen finden sich etliche Alltagsgegenstände: alte
Gläser, Tassen, durch die Hitze der Bomben verformte Flaschen. An einer
Stelle liegt eine große, grüne Plane aus, an den Seiten durch Steine
beschwert. „Das hier ist Gomorrha“, sagt Weiss und legt die Folie zur
Seite.
Zum Vorschein kommt ein flacher, unförmiger Haufen, ungefähr ein Meter
Durchmesser. Man muss genau hinsehen, um die Details zu erkennen.
Porzellan- und Glasstücke sind mit Metallteilen und anderen Gegenständen am
Boden fest verschmolzen, eine erstarrte Zeitkapsel. „Wenn das so aussieht,
muss es Tausende Grad gehabt haben. Da können Sie sich vorstellen, was von
Menschen übrig geblieben ist.“
Die Führung über die Ausgrabung ist ein Gang in die Vergangenheit.
Erstaunlich genau lassen sich durch Funde und historische Dokumente die
damaligen Nutzungen rekonstruieren. An einem Eckhaus sind Eingangstreppen
zu erkennen, die Sandsteinstufen eingedellt und abgelaufen. Die Archäologen
konnten so ehemalige Geschäfte unter den Ruinen ausmachen. „Hier war ein
Schumacher, dort drüben ein Schneider“, gestikuliert Weiss. Allein über die
Adressbücher des 19. Jahrhunderts könne man die Gewerbe nachvollziehen.
Die Funde werden nun untersucht und archiviert. Einige Teile sollen auch in
Institutionen ausgestellt werden, zum Beispiel im heutigen Rathaus. Der
Großteil wird nach der Analyse dem Archäologischen Museum zur Verfügung
gestellt. Jan Bock, Inhaber des zuständigen Unternehmens ArchON, ist
zuversichtlich, dass die Grabungen bis Herbst abgeschlossen sind. Man wolle
ungern in den Winter geraten.
25 Jul 2022
## LINKS
[1] /Ueberlebende-ueber-NS-Zeit-und-das-Danach/!5794008
[2] /Wiederbelebung-alter-Luftschutzbunker/!5846828
[3] /Schellfischtunnel-in-Hamburg/!5866942
## AUTOREN
David Wasiliu
## TAGS
Altona
Archäologie
Gomorrha
Ausgrabung
Hamburg
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Sammeln
Türkei
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