# taz.de -- Bedrohtes Machtgefüge in den USA: „Demokratie droht der Todessto… | |
> Das Oberste US-Gericht will bald den Fall „Moore v. Harper“ verhandeln. | |
> Dessen Ausgang könnte nicht nur für die Wahl 2024 weitreichende Folgen | |
> haben. | |
Bild: Öffnet das Oberste Gericht Tür und Tor für Wahlmanipulation? Die Gefah… | |
WASHINGTON taz | Der Oberste Gerichtshof der USA hat in letzter Zeit mit | |
kontroversen Entscheidungen für einen Aufschrei und viel Unverständnis | |
gesorgt. Ob [1][Abtreibungsrecht], [2][Waffengesetz] oder [3][Klimaschutz], | |
die Richter in Washington sprachen sich dabei gegen die in der | |
US-Gesellschaft mehrheitlich vorherrschenden Meinungen aus. Ein weiterer | |
Fall, der noch in diesem Jahr verhandelt werden soll, könnte jetzt sogar | |
die US-Demokratie gefährden. | |
„Es könnte der Todesstoß für die Demokratie sein“, mahnt die | |
Jura-Professorin Catherine Ross gegenüber der taz. Sie ist an der George | |
Washington University in Washington auf Verfassungsrecht spezialisiert. | |
Das US-Nachrichtenportal Vox.com titelte sogar, dass der Fall „Moore v. | |
Harper“ die „größte Bedrohung für die US-Demokratie sei“ seit dem Angr… | |
auf das US-Kapitol am 6. Januar des vergangenen Jahres. | |
Damals stürmten Hunderte zum Teil bewaffnete Anhänger von Präsident Donald | |
Trump das Parlamentsgebäude, um die Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden | |
zu verhindern. Der Grund dafür war die von Trump verbreitete Lüge von einer | |
gestohlenen Wahl. | |
## Supreme Court könnte Gewaltenteilung gefährden | |
Die Aufarbeitung dieser Ereignisse hat das Vertrauen von vielen Amerikanern | |
in die Demokratie erschüttert. Doch nun könnte auch noch eines der | |
Grundprinzipien der US-Demokratie wegbrechen, sollte die konservative | |
Mehrheit der Richter am Supreme Court das System der Gewaltenteilung | |
infrage stellen. | |
In dem Fall „Moore v. Harper“ geht es um die Frage, wie viel Freiheiten die | |
einzelnen Bundesstaaten haben, Wahlen zu organisieren. Eine Entscheidung | |
zugunsten der Kläger wäre laut Ross eine absolute Katastrophe für die | |
Demokratie. | |
„Keine gerichtliche Überprüfung von manipulierten Wahlkreisen, eine Praxis | |
die auch als Gerrymandering bekannt ist. Das hieße, dass Wahlkreise so | |
gestaltet werden können, dass ein Wahlsieg für die an der Macht befindliche | |
Partei praktisch garantiert ist. | |
Außerdem könnte es den Parlamenten in den Bundesstaaten erlaubt werden, die | |
Stimmen der Wähler bei Präsidentschaftswahlen einfach zu überstimmen. | |
Einige Bundesstaaten arbeiten schon an entsprechenden Gesetzen“, so Ross. | |
Auch könnte die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung unerlaubter | |
Wahleinschränkungen stark begrenzt werden. | |
## Wahlmanipulation durch „Gerrymandering“ | |
In „Moore v. Harper“ geht es im Speziellen um einen durch Gerrymandering | |
manipulierten Wahlkreis in North Carolina. Die Grenzziehung hätte der | |
republikanischen Partei einen „extremen“ Wahlvorteil verschafft und wurde | |
deshalb vom höchsten Gericht North Carolinas für ungültig erklärt. | |
Das Argument der Gegenseite lautet, dass der Supreme Court in North | |
Carolina gar nicht berechtigt sei, den von Politikern:innen gestalteten | |
Wahlkreis für rechtswidrig zu erklären. Die Basis dafür ist eine Theorie, | |
die auf einer äußerst simplen Auslegung der US-Verfassung basiert. | |
In der Verfassung steht, dass Zeiten, Orte und Verfahren der Wahl von | |
Senatoren:innen und Abgeordneten:innen von der Legislative in | |
den einzelnen Bundesstaaten bestimmt werden sollen. Das gelte auch für | |
Präsidentschaftswahlen. | |
Während der letzten 106 Jahre hat der Oberste Gerichtshof diese Deutung der | |
Verfassung, die auch als „Independent State Legislature Doctrine“ | |
bezeichnet wird, mehrfach zurückgewiesen. | |
Die Richter:innen haben unter anderem argumentiert, dass Gesetze zur | |
Organisation von Wahlen der gleichen Gewaltenteilung unterliegen wie alle | |
anderen Gesetze in einem Bundesstaat auch – Legislative, Exekutive und | |
Judikative. | |
## Ankündigung des Gerichts sorgt für Verunsicherung | |
Trotzdem hat die Bekanntgabe, dass das höchste Gericht den Fall „Moore v. | |
Harper“ im Oktober verhandeln werde, für Verunsicherung gesorgt. Das liegt | |
vor allem daran, dass sechs der neun Richter und Richterinnen am Supreme | |
Court ideologisch eher konservativ sind. Vier von ihnen haben schon | |
Versionen der „Independent State Legislature Doctrine“ befürwortet. | |
Richter Neil Gorsuch, der von Trump zum Obersten Gerichtshof berufen wurde, | |
erklärte in einem Fall bezüglich des Stichtags zur Briefwahlabgabe in | |
Wisconsin im Jahr 2020, dass die US-Verfassung die Hauptverantwortung für | |
die Wahlorganisation der Legislative eines Bundesstaats zuschreibt und | |
nicht den Richtern, den Gouverneuren oder anderen Amtsträgern. | |
Eine Entscheidung zum Fall „Moore v. Harper“ wird im Sommer 2023 erwartet. | |
Sollten die Richter:innen der Klage tatsächlich zustimmen und somit die | |
Möglichkeiten zur Wahlkontrolle einschränken, könnte dies gravierende | |
Folgen für die Präsidentschaftswahl 2024 haben und die US-Demokratie, die | |
am 6. Januar 2021 ins Wanken geriet, endgültig zu Fall bringen. | |
„Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass dies eine | |
entsetzliche Perspektive für eine verfassungsgemäße Regierungsform wäre“, | |
so Ross. | |
14 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Hansjürgen Mai | |
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