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# taz.de -- Gehirnerschütterungen verhindern: Kopfschutz muss Pflicht werden
> Bei der EM in England tragen manche Spielerinnen schützende Stirnbänder.
> Im Fußball barhäuptig zu sein, ist nicht heroisch, sondern dumm.
Bild: Mit Überzieher, wenn's erst wird: Finnlands Tinja-Riikka Korpela spielt …
Als ich mit 11 diesen Fußball in Rot mit fünfeckigen weißen Aufnähern
geschenkt bekam, fast ein halbes Kilo schwer das Ding im trockenen Zustand,
lupfte mir ein Freund die Kugel auf den Kopf. Ich hielt den Schädel an die
Pille und hatte das Gefühl, mir fliegt die Fontanelle weg. Mir brummte der
Kopf, und ich entschied mich, das Köpfen von nun an eher zu lassen: Das
konnte nicht gesund sein.
Fußballer und Fußballerinnen halten ihren Nischel in einem Spiel x-mal hin.
Es geht nicht ohne Luftkämpfe. Nun ist es aber so, dass vor allem
Fußballerinnen gefährdet sind, sich Gehirnerschütterungen zuzuziehen und an
den Folgen dieser Hirntraumata länger zu leiden als männliche Ballschieber.
Einige Kickerinnen gehen mit diesem Risiko bewusst um. Sie ziehen sich
einen Kopfschutz über. Das sieht man auch bei dieser Euro gelegentlich. Bei
Anbietern wie Headstrong oder Storelli kann man so ein gepolstertes
Stirnband für unter 100 Euro kaufen. Der Anteil der Spielerinnen, die sich
schützen, ist aber viel zu klein. Nicht einmal fünf Prozent der
Euro-Nationalspielerinnen tragen einen Kopfschutz, im deutschen Team ist es
keine einzige.
Prävention ist trotz vieler Fälle noch immer nicht en vogue. Im
Männerfußball kennt man zwar die Maskenmänner wie Petr Čech oder Klaus
Gjasula, aber ihre Helme trugen die erst, als sie schwere Kopfverletzungen
erlitten hatten, also stets nur reaktiv.
## Verwirrung und Demenz
Selbst wenn die Studienlage nicht eindeutig ist, so mehren sich doch in der
letzten Zeit Berichte über Fußballer, die nach ihrer Karriere an einer
degenerativen Hirnerkrankung leiden. Im Fokus ist seit einigen Jahren die
Diagnose CTE, die [1][chronische traumatische Enzephalopathie]. Sie wurde
in der US-Football-Liga NFL bei Dutzenden Spielern postmortal nachgewiesen.
CTE führt – Achtung, die Aufzählung ist beängstigend lang – zu
Gedächtnisverlust, Verwirrung und Demenz, Depression, Aggressivität,
Impulskontrollverlust und selbstmörderischem Verhalten,
Persönlichkeitsveränderung, parkinsonähnlichen Zuckungen und
Einschränkungen der Motorik. Ist Kontaktsport dieses Risiko wert?
[2][Der ehemalige US-Fußballprofi Bruce Murray] würde mit dem heutigen
Wissen sicherlich sagen: nein. Der Hall-of-Famer leidet unter
CTE-Symptomen, und beim ehemaligen Major-League-Soccer-Profi Scott
Vermillion, der vor zwei Jahren im Alter von nur 44 Jahren starb, wurden in
einer Autopsie morphologische Beweise für CTE gefunden. Immerhin steigt
mittlerweile die Sensibilität im Umgang mit Gehirnerschütterungen, auch in
der Welt des Fußballs. Teamärzte schauen nun genauer hin und können
eigenmächtig eine Auswechslung anordnen.
[3][Das Fußballregelboard IFAB] hat darüber hinaus einen Test laufen, der
aber erst 2023 abschließend evaluiert werden soll. Der Plan: Bis zu zwei
kopfverletzte Spieler könnten in einem Match ausgewechselt werden, ohne
dass dies zulasten des Einwechselkontingents geht. Das ist freilich nur ein
kosmetisches Herumdoktern an einem Problem, dessen Dimension immer noch
nicht richtig erfasst wurde. Zu oft wird verharmlost und abmoderiert.
Das Tragen eines Schutzes gilt im Männerfußball als weibisch. Eine
Helmpflicht könnte Schlimmeres verhindern. Es sind derzeit Frauen wie die
finnische Keeperin Tinja-Riikka Korpela, die womöglich einen Weg hin zu
mehr Vernunft ebnen. Es ist nicht heroisch, barhäuptig aufzulaufen, es ist
dumm.
13 Jul 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Chronisch-traumatische_Enzephalopathie
[2] https://www.washingtonpost.com/sports/2022/07/05/bruce-murray-dementia-cte/
[3] https://www.theifab.com/de/laws/latest/concussion-substitutes/
## AUTOREN
Markus Völker
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