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# taz.de -- Roman über Kriegsreporter: Das Gefühl der Vergeblichkeit
> Ruhelos ist Sprache, mit der Gabriele Riedle in dem Roman „In Dschungeln.
> In Wüsten. Im Krieg.“ von einem Leben unterwegs in Krisenregionen
> erzählt.
Bild: Auch die GI's in Afghanistan wollten nur das Beste und haben am Ende Gewa…
Dies ist ein trauriges Buch. Nicht nur wegen des Todes von Tim H., hinter
dem sich der [1][englische Fotograf Tim Hetherington] verbirgt, der im
libyschen Bürgerkrieg 2011 während eines Feuergefechts starb.
Traurig auch deshalb, weil in Gabriele Riedles Roman „In Dschungeln. In
Wüsten. Im Krieg.“ die Erzählerin nicht mehr an eine geschichtliche
Entwicklung hin zu einer besseren Welt glauben kann, nicht mehr an jenen
„Weltgeist vom Hegelplatz in Berlin“, wie sie Hegels optimistische
Geschichtsphilosophie sarkastisch nennt. Einen Glauben, den die Erzählerin
in den Kriegen, den Vertreibungen und den Massenmorden verloren hat, über
die sie als Journalistin berichtet hat.
[2][Riedle selbst ist wie ihre Erzählerin Kriegsreporterin] gewesen, die
lange Jahre Reportagen aus den Krisenregionen der Welt geschrieben hat. Sie
selbst würde sich nie so bezeichnen, weil sie das für verlogen hält.
Ungefährlich ist ihre Aufgabe dennoch nicht.
Die Weltregionen, in die sie die „Chefredakteure in Hamburg und Manhatten“
schicken, sind von einem Frieden wie in Europa lange Zeit weit entfernt.
Aus dem Dschungel in Neuguinea berichtet sie über den erfolglosen Kampf der
Ureinwohner gegen die Rodung des Urwalds. Nach Afghanistan reist sie nach
dem „Sieg“ der USA, den „Aliens“, wie sie sie nennt – Aliens, die Fri…
Demokratie und Frauenrechte bringen wollten, aber keine Ahnung hatten von
dem Land am Hindukusch und nach geschätzten 240.000 Kriegstoten zwanzig
Jahre später von einem Tag auf den anderen wieder verschwanden.
## Das Spektakuläre als Ware
Gabriele Riedle geht es in ihrem Roman um die Absurdität und Monstrosität
dessen, worüber sie berichten soll. Und um die Verlogenheit eines
Journalismus, der das Ziel, mit spektakulären Reportagen und Bildern die
Auflage zu erhöhen, mit edlen Idealen kaschiert.
Beispielhaft hierfür ist ihre Reise in das westafrikanische Liberia, wohin
sie nach dem Ende des letzten Bürgerkriegs geschickt wird. Dort lernt sie
auch Tim H. kennen. Für sie ging es bei dem Auftrag nur darum, zur Erhöhung
der Auflage den Voyeurismus der Leser zu bedienen. Was hatte es sonst für
einen Sinn, über Jewel Howard-Taylor, die Ex-Frau des wegen
Kriegsverbrechen in Den Haag zu fünfzig Jahren Gefängnis verurteilten
Ex-Präsidenten Charles Taylor, zu berichten und Fotos von ihr zu machen?
Jener Frau, die heute Vizepräsidentin Liberias ist.
Von der sich Tim H. in ihrem Roman fragt, „wo war Madame … wenn der
Hausherr im Wohnzimmer einmal ungestört jemanden vergewaltigen oder
aufschlitzen wollte oder beides, wahrscheinlich hielt Madame so lange“,
vermutet er „im berühmten John F. Kennedy Medical Center, von dem sie
ständig sprach, irgendjemand die Hand …“. Sie liebe ihren Mann immer noch,
hatte sie gesagt. Und „das Schlimmste war“, sagt die Erzählerin, „dass w…
dieses Juwel von einer treuen Gattin beide trotz allem mochten, aber so war
das einfach, es war eben so, ein reizender, aber ganz und gar monströser
Vormittag“.
Die Erzählerin fühlt sich einerseits von diesem Leben „on the road“
angezogen, sodass sie es zu Hause nie lange aushält; andererseits schreckt
es sie ab, weil ihr der Horror zusetzt und sie die glatte „Story“ für die
Auflage, die sie über diesen Horror schreiben soll, für immer absurder
hält. Ein Leben, das sie beschädigt und an manchen Stellen des Buches
zynisch werden lässt. Ein Leben auf der Flucht, dass nichts anderes will,
als anzukommen.
## Sog der Schreibweise
Genau das aber gelingt ihr nicht und schlägt sich in der Schreibweise des
Buches nieder. Sie ist der eigentlich Grund, warum man diesen Roman lesen
sollte. Es sind lange, ruhelose Sätze, mit denen Riedle ihre Erzählerin
erzählen lässt. Die Wiederholung bestimmter Phrasen, wie „die
Chefredakteure in Hamburg und Manhattan“, die sie immer von Neuem auf
Reisen schicken, oder das verlogene „Nie wieder“, mit dem diese
Chefredakteure noch die fragwürdigste Kriegsberichterstattung begründen,
sind negative Bezugspunkte. Sie haben etwas Schicksalhaftes und sind im
ruhelosen Erzählfluss mehr Form als Inhalt.
Man könnte fragen, warum hat sie dieses Leben nicht geändert, nicht Nein
gesagt zu dem einen oder anderen Auftrag oder den Beruf gewechselt? Aber
wer kann das schon, wer kann von sich sagen, dass er die richtigen
Entscheidungen zur richtigen Zeit getroffen hat, dass er auf den richtigen
Weg ist?
Am Ende bleibt die Trauer, das Gefühl der Vergeblichkeit, die für die
Erzählerin auch jene amerikanischen GIs einschließt, von denen Tim in
Afghanistan Fotos gemacht hatte. Auch sie wollten nur das Beste und haben
am Ende Gewalt und Tod gebracht und ein paar Jahre Freiheit für einen
kleinen Teil der afghanischen Bevölkerung. Unauflösbare Widersprüche, die
„In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg.“ zu einem melancholischen Roman
machen. Melancholisch auch wegen der vergeblichen Liebe der Erzählerin zu
Tim H. – nicht nur, weil er viel zu früh gestorben ist.
5 Aug 2022
## LINKS
[1] /Tote-Kriegsreporter/!5122179
[2] https://gabriele-riedle.de/
## AUTOREN
Fokke Joel
## TAGS
Krieg
Journalismus
Roman
Schwerpunkt Afghanistan
Literatur
Fotografie
Filmrezension
Belarus
Interview
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