# taz.de -- Alternative Belarussische Botschaft: Eine Botschaft erhalten als Ku… | |
> Ein Symbol für den Kampf von Belaruss:innen ist die Alternative | |
> Botschaft in Berlin-Treptow. Aktivist:innen bemühen sich um ihr | |
> Fortbestehen. | |
Bild: Die alternative belarussische Botschaft am Treptower Park soll als Symbol… | |
Lina Gabt* rollt eine weiß-rot-weiße Fahne aus und schwenkt das Stück Stoff | |
energisch hin und her, wieder und wieder. „Die ist von Hand genäht von | |
einer belarussischen Mitstreiterin“, erzählt sie, während sie auf dem | |
Vorbau eines kleinen Anhängerwagens steht, der unauffällig zwischen anderen | |
Autos auf dem Parkstreifen am Treptower Park abgestellt ist. „So haben wir | |
während unserer Mahnwachen und Protestaktionen häufig gegenüber der | |
offiziellen Botschaft gestanden, wir haben abwechselnd die Flagge | |
geschwungen.“ | |
Gabt, eine Frau im Rentenalter, trägt ein weißes Kleid und einen weißen Hut | |
mit rotem Band. Wenn man weiß, dass sie 16 Jahre ihres Lebens in Belarus | |
verbracht hat, erkennt man unschwer, dass sie der Protestbewegung gegen das | |
Lukaschenko-Regime angehört. | |
Der Anhänger, auf dem sie steht, ist die „Botschaft der freien Republik | |
Belarus“. [1][Im September 2020 hat der in Berlin lebende belarussische | |
Künstler Taras Siakerka die alternative Botschaft direkt gegenüber der | |
offiziellen belarussischen Botschaft initiiert]: eine kleine Holzhütte auf | |
Rädern, eigentlich eine mobile Sauna. Das Projekt wird heute von einer | |
elfköpfigen Gruppe betrieben, der Lina Gabt angehört. Die Initiative ist | |
zivilgesellschaftlich und privat organisiert, als Verein ist sie nicht | |
angemeldet. | |
Monatelang fanden an dem Wagen Proteste statt. Aktivist:innen | |
demonstrierten gegen Verhaftungen, Repressionen, Folter und Morde an | |
Oppositionellen in Belarus. Der offiziellen Botschaft war der Anhänger ein | |
Dorn im Auge. Weltweit hat diese einzigartige Aktion für Aufsehen gesorgt, | |
Medien in Indien und Taiwan berichteten. | |
Seit dem 24. Februar aber wird die offizielle Botschaft durch eine von der | |
Polizei eingerichtete Sicherheitszone geschützt. Daraufhin mussten auch die | |
Initiator:innen der alternativen Botschaft den Standort räumen. Nun | |
steht der Anhänger gut 500 Meter entfernt auf Höhe des Karpfenteichs. | |
## Existenz des Projekts in Gefahr | |
Doch der Standort ist nicht das einzige Problem. Lina Gabt und Ara Tama*, | |
eine Mitstreiterin ebenfalls im Rentenalter, sehen die Existenz des | |
Projekts in Gefahr. Zum einen fehle es an Geld, erzählen sie, nachdem beide | |
nebeneinander auf dem Vorbau des Anhängers Platz genommen haben: Den | |
Anhänger hat ein deutscher Unterstützer für rund 6.000 Euro gekauft, die | |
Gruppe will ihm die Summe zurückerstatten – verfügt aber nur über 1.000 | |
Euro. | |
Zudem gebe es behördliche Probleme: Der Anhänger hat keine TÜV-Genehmigung | |
mehr, er bekam zunächst eine Sondererlaubnis des Bezirks Treptow-Köpenick, | |
die nun auch ausgelaufen ist. | |
Wie es weitergeht, ist völlig offen: „Wenn wir keine Unterstützung | |
erhalten, wird das Projekt irgendwann einschlafen“, glaubt Gabt. „Wir | |
brauchen mindestens 10.000 Euro, um den Ort erhalten zu können.“ | |
Denn neben den Fixkosten für den Anhänger fielen noch Renovierungskosten an | |
sowie Geld für Demomaterial und künstlerische Arbeiten. „Aus eigener Tasche | |
können wir das nicht bezahlen. Wir hoffen, dass sich eine Firma findet, die | |
das Projekt unterstützen will und das Fahrzeug erst mal durch den TÜV | |
bringt“, sagt Gabt. | |
## Behördliche Hürden überwinden | |
In der Zeitung wollen die beiden Aktivist:innen nur unter Pseudonymen | |
genannt werden, um sich und Angehörige nicht zu gefährden. Gabt stammt | |
gebürtig aus Russland, lebt seit gut vierzig Jahren in Deutschland und hat | |
die prägende Zeit ihres Lebens in Belarus verbracht. Die Belarussin Tama | |
war 2020 bei den Protesten gegen das Lukaschenko-Regime in Minsk dabei, | |
lebt jedoch seit Ende 2020 in Berlin. | |
Die beiden Aktivist:innen hoffen, dass der Bezirk Treptow-Köpenick den | |
Protestwagen als künstlerisches Projekt oder als historisches Denkmal | |
anerkennt, damit es besonderen Schutz genießt. Claudia Leistner (Grüne), | |
zuständige Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, sagt dazu: „Mit den | |
Aktivist:innen habe ich mich darüber ausgetauscht und werde dies mit | |
dem Amt besprechen.“ Ein erster Schritt soll es nun sein, den Infowagen als | |
„Gegenstand“ und nicht als „Fahrzeug“ zu klassifizieren – in dem Fall… | |
immerhin keine TÜV-Plakette mehr notwendig. | |
Grundsätzlich, so Leistner, unterstütze sie das Ansinnen der | |
Aktivist:innen, als Korrektiv der offiziellen belarussischen Erzählung sei | |
die alternative Botschaft „richtig und wichtig“. Es sei entsprechend | |
sinnvoll, wenn der Wagen möglichst nah an der offiziellen belarussischen | |
Botschaft platziert werden könnte. Die Bezirksverordnetenversammlung hat | |
dazu bereits im März einen Beschluss verfasst, dem Projekt soll „eine | |
Sondergenehmigung zur Aufstellung in Sicht- und Hörweite der Botschaft von | |
Belarus (Am Treptower Park 32)“ ermöglicht werden. | |
## Informationen über freie Medien | |
Einen prominenteren Platz hätte der Wagen zweifelsohne verdient: An der | |
Außenwand der Holzhütte prangt ein Tape-Art-Kunstwerk, [2][abgebildet ist | |
ein ikonisch gewordenes Bild zweier DJs, die bei Demonstrationen im August | |
2020 die Fäuste und Finger zum Siegeszeichen der Opposition reckten und | |
verhaftet wurden]. Am Waggon sind zudem Informationen über freie Medien und | |
Berichte über Menschenrechtsverletzungen angepinnt. | |
Auch Dichterlesungen finden hier statt, meist am Wochenende. Drinnen hängen | |
Porträts der Opfer des belarussischen Regimes. Darunter [3][Konstantin | |
Schischmakow, Direktor des militärhistorischen Museums Vaukavysk], der 2020 | |
tot aufgefunden wurde, sowie der 2021 [4][gestorbene Oppositionspolitiker | |
Vitold Ashurak.] „Die alternative Botschaft ist ein Symbol für den Kampf | |
der Belarussinnen und Belarussen für Freiheit, Demokratie und | |
Menschenrechte“, sagt Lina Gabt. | |
Aktuell ist dieser Kampf vielleicht wichtiger denn je, weil die | |
Menschenrechtslage in Belarus während des Ukrainekriegs wenig | |
Aufmerksamkeit erfährt oder Belaruss:innen gar als | |
Unterstützer:innen des Kriegs diffamiert werden. Währenddessen dauert | |
der Terror des Lukaschenko-Apparats gegenüber der Zivilgesellschaft an, die | |
Zahl der politischen Gefangenen steigt weiter. Über 1.200 Oppositionelle | |
sind aktuell inhaftiert, allein im ersten Jahr nach den 2020er-Protesten | |
wurden mehr als 35.000 Menschen festgenommen. | |
Ein besonders hübsches Artefakt hält Lina Gabt gegen Ende unseres Treffens | |
in der Hand: einen alternativen belarussischen Pass. Der Initiator des | |
Wagenprojekts, Taras Siakerka, hatte für Sympathisant:innen solche | |
Dokumente drucken lassen, rote Heftchen mit der Aufschrift: „Pass des | |
Bürgers der freien demokratischen Republik Belarus“. | |
Auch diese Aktion ist eingeschlafen, auch sie kostet Geld, erklärt Gabt. | |
Nicht nur die Pässe, sondern das ganze alternative Botschaftsgebäude | |
erzählen ein wichtiges Stück Widerstandsgeschichte (und -gegenwart!) in | |
Berlin. Für den Erhalt sollten sich nicht nur Belarussinnen und Belarussen | |
einsetzen. | |
*Namen von der Redaktion geändert | |
1 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Im-Kampf-fuer-Demokratie-in-Belarus/!5747704 | |
[2] https://www.intellinews.com/belarus-interior-ministry-threatens-graffiti-ar… | |
[3] https://www.voiceofbelarus.com/de/museum-director-from-vaukavysk-found-dead/ | |
[4] https://www.voiceofbelarus.org/belarus-news/former-prisoner-at-the-penal-co… | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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