| # taz.de -- Schriftstellerin Nora Bossong: „Es soll immer alles gehen“ | |
| > Die Schriftstellerin Nora Bossong über die Generation der 40-Jährigen und | |
| > ihren gehetzten Versuch, alles nebeneinander hinzukriegen. | |
| Bild: „Was Frau Baerbock aufwärmt, ist sehr konservativ“, sagt Nora Bossong | |
| taz am wochenende: Sie haben früher an linke Utopien geglaubt, heute nicht | |
| mehr. Was hat Sie umdenken lassen, Frau Bossong? | |
| Nora Bossong: Ich stand mal einem aktivistischen Künstler nah, der für | |
| seine Utopien gefeiert wird. Diese Zeit hat mich extrem ernüchtert. | |
| Natürlich ist es schwierig, von einem narzisstischen Utopievermarkter auf | |
| Utopien als solche zu schließen. Aber ich habe selten so viel Zynismus und | |
| Ausnutzung anderer erlebt wie in dieser Zeit, als ich da hinter die | |
| Kulissen blickte. | |
| In unseren linksliberalen Milieus galt das realitätsferne Feiern von | |
| Utopien bis eben noch als ein Zeichen von moralischer Exzellenz. Russlands | |
| Angriffskrieg auf die Ukraine ist ein Bruch unserer Zeit. Welche Utopien | |
| sollten gerade die 40-Jährigen schleunigst vergessen, über die Sie ein Buch | |
| geschrieben haben? | |
| Grundsätzlich glaube ich eher, dass man sehr früh verzagt ist, was die | |
| Umsetzung von Wandel angeht. Dass man zu schnell klein beigegeben hat, zu | |
| angepasst war, also nicht genügend rebelliert hat gegen die Älteren oder | |
| die, die am „Weiter so“ interessiert waren. | |
| Wie kommt das? | |
| Es hat vor allem auch an einem Mangel an Fantasie gelegen. Das ist mir | |
| gestern durch den Kopf gegangen, als ich mal wieder „Die Enden der Parabel“ | |
| von Thomas Pynchon las, bei dem die Fantasie wirklich überbordend ist. Das | |
| Buch hat eine unfassbare Vorstellungskraft. Ein einziger LSD-Rausch! Die | |
| Literatur von heute hat im Vergleich dazu den Fantasie-Überschuss | |
| eingehegt. Wenn man das auf die Politik überträgt, dann ist man vielleicht | |
| auch hier versucht, eine glatte Oberfläche zu schaffen. | |
| In Ihrem Buch „Die Geschmeidigen“ analysieren Sie, dass jene 40-Jährigen, | |
| die jetzt in der ersten Reihe stehen oder dahin drängen, einerseits | |
| kompromissbereiter und fantasieloser daherkommen als klassische 68er- und | |
| Boomer-Politiker, sich andererseits aber für die Größten halten. Ich denke | |
| da sofort [1][an Christian Lindner], Jahrgang 1979, [2][und Annalena | |
| Baerbock], Jahrgang 1980. | |
| Also, was diese Jüngeren in der Regierung auf jeden Fall nicht auszeichnet, | |
| ist ein Übermaß an Demut. Sie sind nicht mehr superjung, aber für eine | |
| politische Spitzenposition schon sehr jung, und sie glauben, dass sie die | |
| Dinge viel besser können als die Leute, die noch vor ihnen und altersmäßig | |
| über ihnen stehen. Das ist natürlich eine gewisse Anmaßung, aber im | |
| Auftritt viel sanfter, als es die 68er waren. Die haben sich überhaupt | |
| nicht angepasst, sondern den offenen Zwist mit der Nazigeneration vor sich | |
| eröffnet. Die Klimajugend hat jetzt wieder ähnliche Narrative, auch von der | |
| Wortwahl her. Ich saß neulich auf diesem Podium mit Olaf Scholz, bei dem | |
| Luisa Neubauer [3][einen Nazivergleich des Kanzlers herauszuhören meinte]. | |
| Das scheint mir viel über Neubauer zu sagen, weil sie gar keine andere Zeit | |
| als Vergleichsmöglichkeit in Erwägung zu ziehen scheint. | |
| Mit welcher Zeit hat Scholz denn Ihrer Deutung nach die schwarzgekleideten | |
| Aktivisten verglichen? | |
| Ich glaube, er hat die 70er gemeint, also die Linksradikalen, die dann ja | |
| auch zur Zersplitterung der Linken geführt haben. Jedenfalls agieren die in | |
| den 80ern Geborenen anders als die Klimajugend. Natürlich sind sie alle | |
| unterschiedlich, aber es eint sie ein gewisser Pragmatismus und dass sie | |
| auf eine leisere und scheinbar angepasste Art und Weise das Zepter zu | |
| übernehmen versuchen. Da wird keine Palastrevolte angezettelt; es ist eher | |
| so ein Wegnicken der Älteren. | |
| Teile dieser Alterskohorte sind international ausgebildet, haben liberale | |
| und solvente Eltern, die sie gefördert haben, und bekamen den Eindruck | |
| vermittelt, dass die ganze Welt ihnen offensteht. | |
| Ja, aber sie haben auch ein gehetztes Leben, weil sie in einer Spirale der | |
| Übererfüllung von unterschiedlichen Anforderungen sind. Da ist ja Anne | |
| Spiegel … | |
| … die [4][kurzzeitige Familienministerin der Grünen], Jahrgang 1980 … | |
| … ein, in Anführungszeichen, gutes Beispiel. Eine Politikerin, die versucht | |
| hat, familiär wie beruflich Dinge überzuerfüllen, Großfamilie und diverse | |
| Spitzenpositionen in der Politik, in einer Phase ihres Lebens, in der alles | |
| so auf Kante genäht ist, dass es nur funktionieren kann, wenn nicht | |
| irgendein Schicksalsschlag dazwischenkommt. | |
| Dann kam der Schlaganfall ihres Mannes. | |
| Es hätte auch irgendwas anderes sein können. Vielleicht ist es ja das, was | |
| man als die Utopie der 40-Jährigen bezeichnen könnte: Die Übererfüllung von | |
| allen Möglichkeiten, die uns das Leben bietet. Das Problem ist, dass man in | |
| diesem Modus der Übererfüllung nicht mehr sagen kann: Ich schaffe das alles | |
| jetzt nicht mehr. Denn dann müsste man sich das Scheitern dieser Utopie | |
| eingestehen. | |
| Man muss als um 1980 geborene neue Mittelschicht verstehen, dass man alle | |
| Möglichkeiten hat, aber nicht alle gleichzeitig haben kann? | |
| Ich glaube nicht, dass man alle Möglichkeiten hat. Man sollte vielleicht | |
| besser verstehen, dass eine Möglichkeit sich nur realisieren lässt | |
| zuungunsten anderer Möglichkeiten. Die 40-Jährigen sind eine Generation, | |
| die politisch sehr kompromissfähig ist, aber überhaupt nicht, was die | |
| eigene Selbstverwirklichung angeht. | |
| Da gilt der Verzicht appellativ und das Gerede von „Weniger ist mehr“ | |
| gerade bei den Grünen überhaupt nicht. | |
| Es soll immer alles gehen, und das Mittel ist Optimierung. Genau dadurch | |
| macht die Generation sich aber das Leben auch extrem schwer. | |
| Also entweder Spitzenpolitiker oder Spitzeneltern? | |
| Nach dem Rücktritt von Anne Spiegel flammte kurz in den sozialen Medien | |
| eine Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf. Ich finde | |
| es gut und wichtig, darüber zu reden. Nur weiß ich nicht, ob man das | |
| unbedingt anhand von politischem Spitzenpersonal diskutieren sollte oder | |
| vielleicht besser anhand der Pflegerin mit zwei Nebenjobs? Als Annalena | |
| Baerbock im Wahlkampf sinngemäß sagte, wenn sie Kanzlerin sei, werde es | |
| Momente geben, in denen sie bei ihren Kindern sein werde und nicht im | |
| Kanzleramt; das hat nicht dazu geführt, dass ich unbedingt gewillt war, sie | |
| zu wählen. | |
| Nein? Einigen Leuten ging das Herz auf. | |
| Ich dachte, es ist natürlich total schön, dass sie bei ihren Kindern sein | |
| will, aber wenn es hart auf hart kommt, hätte ich gern die Kanzlerin im | |
| Amt. Letztlich sagt der Satz vor allem etwas darüber, wie leicht Frauen in | |
| Deutschland als Rabenmütter abgestempelt werden. Dem wollte sie, glaube | |
| ich, zuvorkommen. | |
| Sie gehören zu den wenigen linksliberalen Frauen, die die Außenministerin | |
| nicht als Rollenmodell einer emanzipatorischen Politikerin feiern. [5][Im | |
| Tagesspiegel haben Sie] ihr eine „reaktionäre“ identitätspolitische | |
| Zuspitzung auf das eigene Erleben als Frau und Mutter attestiert, weil sie | |
| eine Aufforderung zum „Härtetest“ mit täglichem Wodkatrinken von Russlands | |
| Außenminister mit den Worten ablehnte: „Ich habe zwei Kinder geboren.“ | |
| Die Argumentation ist, als ob ich sagen würde: Ich habe Geburtswehen | |
| überstanden, deswegen bin ich eine gute Schriftstellerin. Oder deswegen bin | |
| ich top in Sicherheitspolitik. | |
| Wenn Kinderkriegen ein Kriterium politischer Qualifikation sei, sagten Sie, | |
| „dann wäre ja Magda Goebbels eine ganz starke Politikerin gewesen“. Was | |
| Annalena Baerbocks Verteidiger sehr empörte, weil sie mit dem Satz | |
| irrelevante Männlichkeitsgesten entlarvt habe. Wie sehen Sie das | |
| inzwischen? | |
| Sie hat unpassende Männlichkeitsgesten ja nur durch ebenso unpassende | |
| Weiblichkeitsgesten ersetzt. Das Biologische kommt da in einem Maße wieder | |
| in einen politischen Kontext rein, in dem es wirklich nichts zu suchen hat. | |
| Es freut mich für Frau Baerbock, dass sie zwei Kinder hat. Punkt. Aber das | |
| ist keine Qualifikation für ihr Amt als Außenministerin, genauso wenig wie | |
| es eine Disqualifikation von Angela Merkel war, dass sie keine Kinder hat, | |
| wie das anfangs aus reaktionären Kreisen gegen sie angeführt wurde. Was | |
| Frau Baerbock hier wieder aufwärmt, ist genau das Gleiche. Sie tut nur so, | |
| als wäre es progressiv, weil sie von links zu kommen scheint. Aber es ist | |
| sehr, sehr konservativ. | |
| Wen fanden Sie denn bei Ihren Treffen mit den Spitzenpolitikern dieser | |
| Generation am interessantesten, sei es nun positiv oder negativ? | |
| Sehr gut klar kam ich [6][mit Katja Kipping], die Spitzenpolitikerin war, | |
| aber eben nicht mehr an der Spitze der Linkspartei steht. Bei ihr hat mir | |
| die Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung sehr imponiert, ihre nicht | |
| aufgesetzte Normalität und intellektuelle Neugier. Kipping war auch die | |
| einzige Politikerin, die mir Fragen gestellt hat, anstatt nur meine Fragen | |
| zu beantworten. | |
| Was ist mit unserem Finanzminister? Er könnte doch ein Role Model sein für | |
| 40-Jährige, die auf verdrucksten Sozialdemokratismus und grünes | |
| Gouvernantentum allergisch reagieren – und erst Recht auf Lindner-Hass? | |
| Christian Lindner kenne ich, seit er FDP-Generalsekretär war. Also, ich | |
| hasse ihn nicht. Aber mir fällt schon auf, dass er sehr viel Hass auf sich | |
| zieht, stärker als andere Politiker in gleichrangigen Positionen. Was ihn | |
| wiederum eint, beispielsweise auch mit Baerbock, ist eine bestimmte Art der | |
| Performance, die sich etwa auf [7][dem Viererselfie mit Wissing und Habeck] | |
| kurz nach der Wahl zeigt. Selbstvermarktung, Selbstbewusstsein, und, wie | |
| die FAZ schrieb: Strategie hat Ideologie abgelöst – und die Kellner den | |
| Koch. | |
| Emmanuel Macron, Jahrgang 1977, gefällt Ihnen besser als Lindner? | |
| Literarische Bildung hat für Macron einen Stellenwert. Ich glaube, das wird | |
| in der deutschen Politik von fast allen unterschätzt. Und dann sind sie | |
| überrascht, wie toll Habeck reden kann. | |
| Sie zitieren in Ihrem Buch einen pompösen Satz von Christian Lindner. Er | |
| sagt über seine Generation: „Was manchen möglicherweise fehlt, das ist die | |
| charakterliche Härte, wie sie die Generation der Kriegsteilnehmer besaß.“ | |
| Der Satz wurde bei der Autorisierung noch ein bisschen zugespitzt. Gerhart | |
| Baum … | |
| … sozialliberaler FDP-Grande und Lindners Nemesis … | |
| … war ja bei meiner Buchpremiere. Danach sagte er: „Na ja, die Härte, die | |
| hat er ja, der Lindner. Und den Krieg jetzt auch.“ | |
| Die „ausgestellte Authentizität meiner Generation“, schreiben Sie, | |
| „verhindert wirkliche Tiefe“. Was meinen Sie damit? | |
| Wenn Andreas Scheuer oder Dorothee Bär oder wegen mir auch Christian | |
| Lindner uns über soziale Medien mitnehmen, um ihnen am Sonntagnachmittag | |
| zuzugucken, wie sie Fahrrad fahren oder angeln, dann tun sie so, als ließen | |
| sie uns ganz nah ran. Aber es ist natürlich eine vollkommen kontrollierte | |
| Oberflächendarstellung. | |
| Ist das denn bei Vizekanzler Robert Habeck anders? | |
| Ja, ist es. Wir schauen nicht nur zu, wie er Fahrrad fährt, sondern wie er | |
| Zweifel und Selbstkritik sehr transparent offenlegt, wir schauen in die | |
| Dynamik eines politischen Abwägungsprozesses hinein. Ob das nun ein Trick | |
| ist oder nicht, jedenfalls schafft er das Gefühl von nichttrivialer | |
| Teilhabe. | |
| Habeck spricht anders als alle anderen Politiker. Wie beurteilen Sie als | |
| Schriftstellerin seine Sprache? | |
| Die langjährige Beschäftigung mit Literatur verschafft einem schon ein | |
| Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten, das man vielleicht nicht | |
| erlernt, wenn man vom Politikwissenschaftsstudium direkt ins Parlament und | |
| dann auf die Regierungsbank poltert. Im Vergleich mit Spiegel und Baerbock | |
| hat er sich mehr Zeit gelassen für Dinge jenseits der Politik. | |
| Er war sechs Jahre Landesminister. | |
| Aber trotzdem hat er im Vergleich zu Baerbock und Spiegel länger gebraucht. | |
| Diese zehn, elf Jahre unterscheiden ihn auch insofern, als er eben nicht | |
| direkt vom ersten Praktikum an einen schnurgeraden Weg gegangen ist, | |
| sondern ein bisschen Leben angesammelt hat. | |
| Die Frage ist, ob man als Teil der Erasmus-Generation überhaupt noch diese | |
| Lebensbrüche haben kann? | |
| Als ich an der Uni war, gab es Demonstrationen gegen die Umstellung von | |
| Magister auf Bachelor und Master. Viele, die es betraf, waren überzeugt | |
| gegen diese Umstellung, haben aber bei den Demos nicht teilgenommen, weil | |
| sie Angst vor den Konsequenzen hatten, wenn sie im Seminar fehlten. Das | |
| bringt es auf den Punkt. | |
| Wie war das bei Ihnen? | |
| In der Schule wurde uns nahegelegt, uns ehrenamtlich zu engagieren. Da ging | |
| es aber nicht in erster Linie darum, dass es einen glücklich macht oder | |
| anderen hilft; das war meist auf den Lebenslauf, das Stipendium, die | |
| Berufschancen hin orientiert. Was ja okay ist, aber trotzdem die | |
| Verschiebung auf den Lebenslauf hin zeigt. Das markiert auch den | |
| Unterschied zwischen Baerbock und ihrem Grünen-Vorgänger: Joschka Fischer | |
| warf in seiner Jugend Pflastersteine gegen den Staat; sie dagegen stolpert | |
| bei ihrer Kanzlerkandidatur als Erstes über falsche Angaben in einem | |
| aufgebauschten Lebenslauf. Der eine hat gewaltsam aufbegehrt gegen eine | |
| bestimmte Ordnung und die andere stolpert, weil sie die Ordnung eigentlich | |
| noch toppen will. | |
| Wieso toppen? | |
| Sie will sich so gut einfügen in die Erwartung, die man an sie haben kann, | |
| dass sie gar nicht mehr hinterherkommt und Spenden zu ehrenamtlichem | |
| Engagement anwachsen müssen oder ein einjähriger Studienaufenthalt in | |
| London wie ein vollständiges Jurastudium wirken soll. | |
| Die 40-Jährigen sind aufgewachsen in den 90er-Jahren. Liberale Demokratie | |
| hatte nach unserer Deutung gesiegt, nun schien es nur noch um mehr | |
| Wohlstand, Freiheit, Emanzipation, Weltbürgertum zu gehen. Zitat: „Große | |
| Herausforderungen schien es für uns nicht mehr zu geben. Wir meinten, uns | |
| nur um das Kleingedruckte kümmern zu müssen.“ Ist das ein zentraler Satz? | |
| Es ist ein zentraler Satz, aber zunächst einer, den man auch abschwächen | |
| muss, weil das nicht alle einschließt. Die 90er Jahre als besonders heil | |
| und sorglos empfunden zu haben, gilt sicher nicht für viele Jugendliche, | |
| [8][die in Ostdeutschland aufgewachsen] oder [9][aus dem ehemaligen | |
| Jugoslawien nach Deutschland geflohen] sind. Das meint eher eine | |
| bundesrepublikanische Gesamtnarration, die über das problematische | |
| Zusammenwachsen der beiden deutschen Teile gedeckt wurde, um ein schöneres | |
| Bild zu malen, als das, was wirklich war. | |
| Aber? | |
| Als in Westdeutschland Aufgewachsene nehme ich es ernst, wenn mir | |
| Ostdeutsche sagen: Die 90er Jahre waren ziemlich schlimm. Aber wie schön | |
| wären sie denn gewesen, wenn die DDR noch bestanden hätte? Im Vergleich zur | |
| Bedrohung des Kalten Krieges ist da insgesamt ein Aufatmen und ein Abfall | |
| von Druck und Stress. | |
| Wenn wir das als Rahmen und Einschränkung nehmen, so würde ich doch sagen: | |
| Die heute 40-Jährigen sind in einer liberalen, emanzipatorisch bemühten | |
| wohlhabenden Gesellschaft aufgewachsen, wie es keine zuvor gab. Kein | |
| Wunder, wenn sie sich für die Krone der Schöpfung halten. | |
| Ich will ja nicht ständig Frau Baerbock als Beispiel nehmen, aber hier | |
| passt das. Sie verwendet ja die Floskel von der historischen Verantwortung | |
| so oft, dass man schon denkt, dass es bei ihr ein sprachliches Füllsel ist | |
| wie „aber“ oder „äh“. | |
| Sie spürt sie vielleicht einfach? | |
| Während Robert Habeck im letzten Sommer Defensivwaffen forderte, hat sie | |
| noch im Januar die historische Verantwortung als Grund gesehen, warum man | |
| der Ukraine keine Waffen liefern darf. Sechs Wochen später sieht sie die | |
| historische Verantwortung als Grund, warum man der Ukraine Waffen liefern | |
| darf und auch muss. | |
| Ich sehe dieses spezielle Umdenken bei den Grünen als Fortschritt auf dem | |
| Weg in die unangenehme Realität. | |
| Ja, gut, das ist Ihre Hoffnung. Dann hoffen wir mal, dass es nicht doch | |
| beliebig ist und genauso wieder zurückschwenken kann. Jedenfalls überhöht | |
| sich eine Sprecherinstanz natürlich ständig selbst mit dieser | |
| Verantwortungsfloskel. Sie bringt die gesamte Schwere der deutschen | |
| Geschichte ins Spiel und stellt sich drauf, um besser gesehen zu werden. | |
| Und ist das jetzt repräsentativ oder speziell Baerbock? | |
| Sie ist insofern singulär, als sie die sichtbarste Position hat. Aber die | |
| Rolle ist auch repräsentativ für unsere Generation. Wir sind die, die | |
| „wirklich“ aus der Geschichte gelernt haben. Wir sind nicht mehr wie unsere | |
| 68er-Eltern, die Steine schmissen und am Ende womöglich noch mit der RAF | |
| sympathisierten. Wir sind geläutert, wir haben den nötigen Abstand. Wir | |
| sind diejenigen, die jetzt wirklich die historische Verantwortung | |
| Deutschlands wie einen leuchtenden Kelch vor uns hertragen. | |
| 18 Jul 2022 | |
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