# taz.de -- Neues Album von Soul-Sängerin Lizzo: Ready 2 Be Loved | |
> Lizzo sieht: Es geht vielen nicht gut. Auf ihrem neuen Album „Special“ | |
> setzt die Soul-Queen auf Ablenkung und Heilung. Es handelt von Liebe. | |
Bild: Ihr Album will von der Stärke erzählen, die entsteht, wenn die Arbeit d… | |
Mit „Hi motherfucker, did you miss me?“, begrüßt uns Lizzo auf ihrem neuen | |
Album „Special“ und gibt sofort die Richtung vor, in die ihre vierte Platte | |
gehen soll: „I’ve been home since 2020 / I’ve been twerkin’ and makin’ | |
smoothies / It’s called healing“, singt sie im Opener „Sign“. Lizzo wird | |
gleich zu Beginn eine von uns: Auch sie, der womöglich wichtigste Popstar | |
unserer Zeit, saß zwei Jahre nur zu Hause rum, hat Obst püriert und | |
versucht in Form zu bleiben. Aber jetzt geht es ans Heilen. | |
Ob mit ihrer Flöte im Big-Band-Style oder als Soul-Queen mit | |
Vokalakrobatik, spätestens seit [1][„Cuz I Love You“] von 2019 dominiert | |
Melissa Jefferson alias Lizzo nicht nur die Playlisten, sondern mit ihren | |
selbstironischen Videos auch alle Social-Media-Plattformen. | |
Die Musikerin, die vor gut zehn Jahren in Minneapolis ihre ersten Songs | |
aufnahm, ist jetzt auf dem (bisherigen) Höhepunkt ihrer Karriere. Als sie | |
im April ihre neue Solo-Single „About Damn Time“ veröffentlichte, wurde | |
dazu weltweit getanzt. Es war höchste Zeit und doch war die 34-Jährige nie | |
wirklich weg. Eine eigene Mode-Linie, [2][eine Emmy-nominierte | |
Reality-Show] und Auftritte überall auf der Welt haben ihre Songs und | |
Botschaften auf die Titelseiten katapultiert. Und das zu Recht. Lizzo ist | |
eine Ikone. | |
Und: Lizzo ist eine Schwarze, dicke Frau in einer Welt voller Rassismus, | |
fatphobia und Misogynie. Auch die popkulturelle Öffentlichkeit hat sich | |
[3][noch nicht an dicke Frauenkörper gewöhnt], das zeigt nicht zuletzt die | |
Steifheit (oder erzwungene Lockerheit), mit der über Lizzo berichtet wird. | |
## Eine Botschaft, perfekt um zitiert zu werden | |
Mut machen, das möchte Lizzo, so wie ihr vor fünfzehn Jahren die Songs von | |
Beyoncé Hoffnung gegeben hat: „In case nobody told you today / You’re | |
special“, singt sie in „Special“ auf einen HipHop-Beat und ein souliges | |
Bett aus Bläsern, Keys und Streichern. Sloganhaft und perfekt, um im | |
Internet zitiert zu werden, klingt diese Botschaft. Doch Lizzo deutet an, | |
wohin es gehen kann, wenn einen Hater vom Gegenteil überzeugen wollen: „I’m | |
so glad you’re still with us / Broken, but damn, you’re still perfect.“ In | |
den Strophen resümiert sie dann, welcher Gegenwind auch ihr nach wie vor | |
entgegen weht: „If it wasn’t me, then would you even get offended or / Is | |
it just because I’m black and heavy? Y’all don’t hear me though.“ | |
Solche sozialkritischen Reflexionen bleiben allerdings die Ausnahme auf | |
„Special“. Lizzos vierte Platte, drei Jahre nach ihrem Debüt auf einem | |
Major-Label, ist ein Album über die Liebe. „Bisher ging es in meiner Musik | |
immer um den Versuch, sich selbst zu lieben. Dieses Album drückt nun die | |
Sicherheit aus, die daraus resultiert. Die Stärke. Ich habe dafür | |
gearbeitet, und nun seht alle, was ich dafür bekomme“, definiert Lizzo ihr | |
Album. Die lästige Selbstliebe-Arbeit, die wir uns so lange beigebracht | |
haben, soll sich also endlich auszahlen. „I did the work“, singt sie so | |
auch in „Am I Ready (2 Be Loved)“. | |
Liebe bedeutet bei Lizzo allerdings nicht nur romantische | |
Zweierbeziehungen, sondern auch Freund:innenschaft und die Wertschätzung | |
für ihre Community. „Where my girls at?“, singt sie und lädt zu einer | |
großen Party ein. Der Song „Grrrls“ kam schon vor einem Monat heraus. Weil | |
sie darin ein ableistisches Wort benutzte, gab es Kritik von ihren Fans. | |
Lizzo reagierte prompt, entschuldigte sich, löschte den Song von allen | |
Plattformen und brachte ihn in einer neuen Version heraus. Würden alle | |
Menschen, die sich öffentlich äußern, diese Art, mit Kritik umzugehen, | |
besitzen – die Welt wäre ein besserer Ort. | |
## Jeden Tag ein Grund zu feiern | |
Auch in „Birthday Girl“ arbeitet Lizzo ihre Community ein, mit Sprachmemos | |
ihrer Fans, die erzählen, wann sie Geburtstag haben. So gibt es jeden Tag | |
Grund zu feiern. Musikalisch wird das von Bläsern, Claps, Effekten und | |
einem Beat vorangetrieben, der sich zum Refrain immer schneller steigert. | |
Und dann ist da Lizzos Stimme, die eigentlich so glamourös und kraftvoll | |
ist, auf „Special“ aber immer wieder süßlich im Hintergrund versinkt oder | |
fast bis zur Unkenntlichkeit geputzt wird. | |
Denn – so schade das ist – musikalisch reiht Lizzo mit ihrem | |
Produzententeam auf „Special“ zwölf generische Pop-Knaller aneinander. Die | |
Songs klingen schablonenhaft und glatt, Lizzos mitreißender | |
Empowerment-Sound wird zum handzahmen Feel-Good-Pop. Nur ganz selten | |
blitzen kleinere Winks an Funk und Soul durch. Die Gitarre aus „Break Up | |
Twice“ etwa könnte von Shuggie Otis stammen, während Lizzo mit den Worten | |
„Boy, you better watch out“ einen Gruß an Lauryn Hill sendet. Eine Orgel | |
bestimmt für wenige Sekunden das Intro von „Am I Ready (2 Be Loved)“, bevor | |
der nächste austauschbare Pop-Beat das Tempo für den Mitsing-Refrain | |
einloggt. | |
Das ist bedauerlich, denn wenn die unverkennbare Lizzo-Power dann doch mal | |
durchscheint, wirken ihre Botschaften genauso überzeugend wie zuvor auf | |
Hits wie „Good As Hell“ oder „Truth Hurts“, wo ihre Energie manchmal ih… | |
Stimme überschlagen ließ und sie in Sekunden Gänsehaut erzeugte. | |
Lediglich der letzte Song mit dem Titel „Coldplay“ sorgt für eine kleinere | |
Überraschung. Er beginnt mit verzerrten Vokal-Sample von – ausgerechnet – | |
Coldplay. Musikalisch grenzwertig, aber wenigstens geht Lizzo hier dank des | |
Stimmeffekts einmal über den Wohlfühlpunkt hinaus, lässt kurz aufhorchen, | |
bevor der Song zu einer ziemlich ereignisarmen Liebesnummer wird. Sogar die | |
Bekundungen der Romantik scheinen dabei zigfach gehört: „Goin’ to sleep, | |
holdin’ hands at the sunrise / Wakin’ up, holdin’ hands in the rain“, | |
croont sie. | |
## Herzblut und Trauma | |
Angeblich hat Lizzo über 170 Songs für dieses Album geschrieben, drei Jahre | |
lang daran gearbeitet, jede Menge Herzblut reingesteckt. „Es war mir klar, | |
in welcher Zeit ich dieses Album veröffentlichen würde“, so die 34-Jährige. | |
„Wir haben gerade ein großes Trauma hinter uns. Wahrscheinlich müssen wir | |
uns für das nächste Trauma wappnen. Aber wenn meine Musik nicht auf | |
irgendeine Weise Leuten helfen würde, ihr Trauma zu verarbeiten oder ihrem | |
Trauma zu entkommen – dann müsste ich mich fragen: Warum bin ich überhaupt | |
Künstlerin, wenn ich nicht unsere Zeit reflektiere?“ | |
Diese künstlerische Pflicht, das Zeitgeschehen zu kommentieren, formulierte | |
vor über 50 Jahren schon Nina Simone ähnlich: „An artist duty is to reflect | |
the times. How can you be an artist and not reflect the times?“ | |
Welches Trauma Lizzo genau meint, verrät sie dabei nicht. Die Pandemie mit | |
ihren Auswirkungen auf die mentale Gesundheit, Polizeigewalt und Rassismus | |
oder das Urteil des Supreme Court im US-amerikanischen Abtreibungsrecht – | |
Lizzo sieht: Es geht vielen nicht gut. Aber anstatt in expliziten Worten zu | |
kommentieren, was schiefläuft, versucht sich Lizzo auf „Special“ an einem | |
Ausweg oder gar einer Ablenkung von dem, was uns belastet. | |
Zeit zum Heilen also. „We can take our masks off“, singt sie erleichtert – | |
und mehrdeutig – in „Everybody’s Gay“, noch eine Disko-Nummer, die vom | |
entspannten Feiern an einem safe space erzählt. Von Bläsern angestachelt | |
singt sie da „Let’s dance the night away“. Lizzo will uns helfen, unsere | |
Schultern, die wir zwei Jahre lang bis zu unseren Ohren hinaufgezogen | |
haben, endlich wieder locker zu lassen. Und zu feiern, wer wir sind, hinter | |
all den Masken. Das ist nicht nur ein legitimer Wunsch, das sollte uns alle | |
dankbar machen. Warum sie dabei auf so spannungslose, generische | |
Arrangements setzt, muss allerdings ein Rätsel bleiben. Ob wir sie trotzdem | |
lieben? Aber selbstverständlich. | |
28 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
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