# taz.de -- Die Wahrheit: Am Tresen brodelt es | |
> Vor vierzig Jahren wurden zwei Frauen aus einer Londoner Bar geworfen, | |
> weil das „besser für die Frauen“ sein sollte. Ein Eklat mit Folgen. | |
Bild: Verschwindet er doch nicht ganz von der Bildfläche? Boris Johnson deutet… | |
Frauen alleine im Pub? Bis 1982 war das in Großbritannien nicht unbedingt | |
möglich. Zwar hatte man 1975 das Anti-Diskriminierungsgesetz verabschiedet, | |
aber sonderlich wirksam war es nicht. Frauen durften zum Beispiel das El | |
Vino, ein Wirtshaus in der Londoner Fleet Street, wo viele Zeitungen | |
produziert wurden, nur in männlicher Begleitung betreten. Sie mussten an | |
einem Tisch sitzen und geduldig warten, bis ihnen ihr Begleiter ein Getränk | |
brachte. | |
Vor genau 40 Jahren, also im Juli 1982, kam es zum Eklat. Die | |
Rechtsanwältin Tess Gill und die Journalistin Anna Coote lungerten mit | |
ihren Kollegen verbotenerweise an der Bar des El Vino herum, weshalb ihnen | |
Hausverbot erteilt wurde. Der Wirt Frank Bower, der Männer nur hereinließ, | |
wenn sie Anzüge und Krawatte trugen, behauptete, das Tresenverbot sei im | |
Sinne der Frauen, denn nur dadurch werde die Ritterlichkeit | |
aufrechterhalten. | |
So ähnlich hatte Lord Denning, ein widerliches Exemplar eines Richters, | |
gegen das Gleichberechtigungsgesetz gewettert: Es würde die Galanterie der | |
Männer gegenüber Frauen auslöschen. Derselbe Klotzkopf sagte über die | |
Birmingham Six, sechs Iren, die 17 Jahre unschuldig im Gefängnis saßen, man | |
hätte sie gleich hängen sollen, denn dann hätte es keine Kampagne für ihre | |
Freilassung gegeben. Denning starb 1999, viel zu spät, im Alter von 100 | |
Jahren. | |
Die beiden Frauen pfiffen auf Ritterlichkeit, zogen vor Gericht und | |
gewannen. Lordrichter Griffiths, ein Stammkunde im El Vino, begründete das | |
Urteil aber nicht mit der Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern | |
erklärte, das El Vino sei bei Journalisten beliebt, weil dort die | |
Gerüchteküche brodelte. Dürften Reporterinnen nicht an den Tresen, würden | |
sie das Gerücht des Tages verpassen und wären beruflich benachteiligt. | |
## Chaos im El Vino | |
Am nächsten Tag war die Kneipe voll. Ein verzweifelter Barkeeper rief: | |
„Jetzt sind mehr Frauen als Männer am Tresen, es herrscht Chaos!“ Die | |
beiden Frauen, die ihren Sieg im El Vino feiern wollten, wurden jedoch | |
erneut hinausgeworfen. | |
Der damalige Geschäftsführer berief sich auf ein obskures Gesetz, das es | |
Wirtsleuten erlaubt, „Störenfriede“ aus dem Laden zu verweisen. Er sagte, | |
er würde alle Frauen bedienen, die „wirklich ein Getränk“ wollten, aber | |
nicht jene, die „Ärger machen und eine feministische Agenda verfolgen“. | |
Gill und Coote hätten jedenfalls lebenslanges Hausverbot, fügte er hinzu. | |
Das war jedoch nicht das letzte Wort. Die Zeitungsverlage sind längst aus | |
der Fleet Street verschwunden, das El Vino aus dem Jahr 1879 gibt es immer | |
noch. | |
2017, zum 35. Jahrestag des Gerichtsurteils, lud der neue Geschäftsführer | |
Mark Fuller die beiden Frauen Gill und Coote als Ehrengäste ein. Champagner | |
und belegte Schnittchen wurden serviert, der Erlös ging an die Fawcett | |
Society, die sich für Frauenrechte einsetzt. | |
25 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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