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# taz.de -- Die AfD und der Krieg: Angst und Wut sind zurück
> Die AfD will inhaltlich mit der Inflation punkten. Auf der Suche nach
> Sündenböcken klammert die rechte Partei den russischen Angriffskrieg aus.
Bild: Fragwürdiger Ort für die Premiere der AfD-Sozialreportage über Betroff…
Berlin taz | Der Veranstaltungsort ist Programm: Ausgerechnet ins
„Russischen Haus“ in der Berliner Friedrichstraße lud die
AfD-Bundestagsfraktion zur Premiere einer Dokumentation, die das nächste
Großthema für die angeschlagene Partei abstecken soll: die Inflation.
Den Film mit dem dramatischen Titel „Teuro Total – Deutschland am Limit“
hat die Fraktion selbst gedreht und zeigt damit, auf welche Themen sie und
die ganze Partei in den kommenden Monaten setzt: Mit einer Mischung aus
Verschwörungserzählungen und rassistischen Neiddiskursen will die AfD
vorhersehbare und bestehende Preissteigerungen und Wohlstandsverluste
ausnutzen. Die in der AfD ohnehin präsente Untergangsrhetorik soll dabei an
tatsächlich zunehmende Existenznöte anknüpfen – denn schließlich stimmt e…
dass Gasnachzahlungen kommen werden und in der Mittelschicht die
Abstiegsangst umgeht.
Deutlich wird die AfD-Strategie in den monokausalen Erklärungen, die der
als Sozialreportage angelegte Film anbietet – offenbar mit freundlicher
Unterstützung des größten Veranstaltungs- und Kulturzentrums, das
[1][Russland im Ausland betreibt]. Der Sprecher der Bundestagsfraktion
sagte der taz zwar, dass der Ort rein zufällig gewählt sei und nichts mit
dem Inhalt des Films zu tun habe. Aber es ist auffällig, wie die AfD die
geopolitische Lage bewusst ausklammert. So kommt eine der Hauptursachen der
Inflation im Film nicht zur Sprache: der russische Angriffskrieg gegen die
Ukraine.
Denn vor allem der Ukrainekrieg ist nach Ansicht vieler Expert*innen
einer der Haupttreiber der Inflation – neben den Folgen der Coronapandemie
und [2][unterbrochenen Lieferketten nach dem strikten Lockdown in China].
Statt aber analytisch darauf einzugehen, sucht der auch als
Verschwörungsideologe bekannte AfD-Haushaltspolitiker und stellvertretende
Bundessprecher Peter Boehringer in dem Film die Schuld bei der europäischen
Zentralbank EZB und deren Geldpolitik.
## Kriege sind Inflationstreiber
Die aber sei nicht verantwortlich für die derzeitige Inflation, sagt etwa
Peter Bofinger, der bis 2019 im Expertenrat der sogenannten
Wirtschaftsweisen saß. Der Inflationsschub liegt ihm zufolge klar am
Ukrainekrieg, wie er [3][im Handelsblatt] schreibt. Die Geschichte zeige,
dass Kriege die Inflation steigen ließen, so Bofinger: in den Weltkriegen,
im Koreakrieg, im Jom-Kippur-Krieg mit der ersten Ölkrise sowie im
Irak-Iran-Krieg mit der zweiten Ölkrise. Russland und die Ukraine seien
Exporteure von Rohstoffen und Weizen – entsprechend stiegen nicht nur
Preise für Energie, sondern auch für Metalle und Nahrungsmittel.
Neben der einseitigen Schuldzuschreibung zeigt die Doku auch, wen die AfD
mit ihrer Mobilisierung erreichen will: In dem vermeintlich
sozialkritischen Film kommen Protagonist*innen zu Wort, die besonders
von Inflation und Wohlstandsverlusten gebeutelt sind: eine Taxifahrerin aus
Eberswalde, ein Koch aus Garmisch-Partenkirchen und eine Frührentnerin aus
Wiesbaden.
Als Sündenböcke werden neben Menschen mit Migrationsgeschichte auch schon
Regierungsvertreter in Position gebracht: AfD-Sozialpolitiker René Springer
spricht davon, dass Preissteigerungen „zu guten Teilen nicht zufällig“,
sondern „von der Politik gewünscht“ seien. Boehringer nennt die Inflation
gar eine „heimliche Steuer, erzeugt von der Regierung und der Zentralbank
samt anhängendem Bankensystem“. [4][Angst und Wut] auf das System sollen
also wieder für Zulauf sorgen und so der derzeit deutlich spürbaren
Abwärtsspirale der extrem rechten Partei entgegenwirken – so die Hoffnung
der AfD-Politiker.
## Neoliberale Programmatik
Die in der Doku empathisch angesprochenen sozialen Problemlagen sollen wohl
zugleich darüber hinwegtäuschen, dass weite Teile der AfD-Programmatik
stets neoliberal und arbeitnehmerfeindlich geprägt waren. Gegen soziale
Ungleichheit will die AfD laut ihrem Grundsatzprogramm wenig unternehmen:
Gefordert wird die Abschaffung der Erbschafts- und Vermögenssteuer;
Gewerbesteuern sollen „überprüft“ werden. Expert*innen bewerteten das
jüngste Wahlprogramm zu Arbeits- und Sozialpolitik [5][aus
Gewerkschaftssicht] als „substanzlos“ und fassen es so zusammen: „Viel
Markt, wenig Staat, flexibles Arbeitsrecht.“ Für die im Film gezeigten
Protagonist*innen hat die AfD also keine nachhaltigen Lösungen zu
bieten.
Dennoch ist die Situation angesichts der wirtschaftlichen Lage vor allem
mit Blick auf Ostdeutschland fragil, wie Rechtsextremismus-Experte David
Begrich sagt: „Ich befürchte, dass insbesondere in den Regionen, wo es
größere Pegida- und Coronaproteste gab, die Inflation das demokratische
Bewusstsein weiter auffressen wird.“ Gleichwohl sei das nicht
vorprogrammiert, sagt Begrich: „Die AfD würde gerne von Wohlstandsverlusten
profitieren, aber das ist kein Automatismus – bei Corona hat sich die AfD
auch viel erhofft, das ist aber am Ende nicht eingetreten.“
Der Mobilisierungserfolg der AfD hänge vor allem davon ab, wie die Politik
mit den multiplen Problemlagen umgeht, so Begrich. „Wenn die extreme Rechte
profitiert, tut sie das nicht, weil sie super vorbereitet ist oder das
Antlitz der Unbesiegbarkeit hat, sondern weil ihr bestimmte Entwicklungen
in den Schoß fallen, denen nichts entgegengesetzt wird.“ Insbesondere
„neurechte“ Ideologen um Björn Höcke bereiteten sich seit Langem auf einen
„Ausnahmezustand“ vor – mit bewusster begrifflicher Anlehnung an den
autoritären Vordenker und NS-Juristen Carl Schmitt, wie Begrich betont.
Kommunikativ werde die AfD dabei vor allem auf die Inbetriebnahme der
sanktionierten deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 pochen, glaubt
Begrich.
Wie zum Beweis redet vor allem der völkische Flügel um Höcke unterdessen
apokalyptische Zustände und damit den herbeigesehnten Zusammenbruch des
Staates herbei. „Wir werden durch Unfähigkeit in den wirtschaftlichen
Abgrund gerissen“, behauptete der Rechtsextremist am Donnerstag auf seinem
Telegramkanal und spricht sich für den Import von russischem Gas und eine
Inbetriebnahme von Nord Stream 2 aus. Am Mittwoch schrieb er gar von einem
„Rückfall in ein vorindustrielles Zeitalter“. Den [6][Schulterschluss mit
dem rechtsextremen Vorfeld] hatte Höcke zuletzt ganz ungeniert auf dem
Parteitag demonstriert.
Hinweis: Der Text wurde nachträglich gekürzt, 15.7.22.
12 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.rnd.de/politik/russisches-haus-in-berlin-mit-gagarin-und-dostoj…
[2] /Internationale-Lieferketten/!5863819
[3] https://amp2.handelsblatt.com/meinung/gastkommentar-homo-oeconomicus-die-eu…
[4] https://www.rnd.de/politik/neue-kampagne-der-afd-wie-die-partei-das-inflati…
[5] https://gegenblende.dgb.de/artikel/++co++8d33118a-01a5-11ec-a02d-001a4a1601…
[6] /AfD-Parteitag-in-Riesa/!5859327
## AUTOREN
Gareth Joswig
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