# taz.de -- Wandertheaterkomödie „Mond“: Ins bedrängte Herz hinein | |
> Das Jahrmarkttheater Bostelwiebeck lässt das Publikum in seinem neuen | |
> Stück dem Mond hinterherlaufen. Das ist charmant, kauzig und tröstlich. | |
Bild: Hinreißend schöne Schlussszene: Mond, Ensemble und Windräder im Abendl… | |
Im Logo des Jahrmarkttheaters prangt seit jeher eine Mondsichel, als | |
Zeichen für die vom Tageslärm verschonten, meist sehr lustigen und zart | |
poetischen Aufführungen. Nun ist die Zeit gekommen, ihm ein ganzes | |
Theaterstück zu widmen, zieht der Erdtrabant doch nicht nur Wasser an, | |
sondern auch Inspiration suchende Künstler:innen, wenn er unermüdlich auf | |
seiner krummen Bahn die viermal größere Erde umkreist und tapfer | |
Sonnenstrahlen reflektiert. | |
Und so kommt dieses Jahr die Wandertheaterkomödie „Mond“ zur Uraufführung. | |
Wird Autor / Regisseur Thomas Matschoß die Mythenmaschine anschmeißen, die | |
[1][Steinwüsten-Kugel] bedeutungsschwer aufladen? Darf sie mal wieder | |
Liebende ins strahlende oder Schauplätze des Verbrechens ins fahle Licht | |
hüllen, Werwölfe gebären oder als Projektionsort schweifender Sehnsüchte | |
agieren? | |
Also auf nach [2][Bostelwiebeck], Hausnummer 24, einem bullerbüschen | |
Bauernhof-Areal in einem winzigen Dörfchen zwischen Lüneburg und Uelzen. | |
Mit dem ersten Aperol Spritz des Abends feiern viele Besucher ihr Ankommen | |
im Landlust-Idyll. | |
Prachtvoll befederte Hühner durchschreiten das Aperitif-Szenario. Nur | |
Schauspieler Martin Greif stört schimpfend die Gemütlichkeit. Das bleibt | |
seine Stimmlage. Überzeugend gibt er so den jähzornigen Jens-Uwe. | |
Auch die weiteren Rollen sind eher eindimensional angelegt: Sophie Aouami, | |
Robin Bongarts und Anna Sinkemat spielen die fröhliche Francesca, den | |
magischen Mäx und die depressive Denise. Nur eine gewisse Ingrid Lubanski | |
(Kristina Brons) verweigert sich jedweder Zuschreibung, was sie büßen wird | |
und dafür andere büßen lässt. | |
Allesamt sind sie Animateur:innen des vielgestaltigen Abends, für den | |
das Publikum als Teilnehmer:innen des Workshops „Entdecke den inneren | |
Clown in dir“ begrüßt wird. Jene Seite der Persönlichkeit soll gesucht | |
werden, die sich durch Freude, Neugier, Spaßwillen auszeichnet. Der Zugang | |
dazu könne versteckte kreative Kräfte lösen, so annoncieren professionelle | |
Anbieter entsprechende Offerten. | |
Im Jahrmarkttheater scheitern die aber schon im Ansatz: Die Schauspielenden | |
treten aus ihren Rollen und erklären, dass ihre komplette Ausstattung, auch | |
die Bühne und alle Texte sich in Luft aufgelöst hätten. Wer dahinter | |
stecke, müsse nun erkundet werden. Ein Spiel startet mit der dunklen Seite | |
des Mondes – als einer Chiffre für unbeherrschbare Abgründe und kollektive | |
Ängste. | |
Also Schluss mit der Parodie auf modische Anti-Stress-Angebote, | |
Trekking-Schuhe geschnürt und auf geht’s mit Kopfhörern auf den Ohren zum | |
Audiowalk durchs menschenleere Dorf. Vielstimmig verkünden | |
Sprecher:innen eine Liste der verlorenen Dinge. Im reizvoll | |
nachdenklichen Assoziationsmix wird an Pubertät, Franz Josef Strauß, | |
Ozonloch,Telefon mit Wählscheibe erinnert oder auch an Frieden in der | |
Ukraine, Kaugummiautomat und Kinderwunsch. In den Chor mogeln sich zudem | |
Anmerkungen, was man gern verschwinden sähe – etwa Eventgastronomie und | |
Corona. | |
Unterbrochen wird die Aufzählung von kleinen Rätselspielszenen des | |
Schauspielquartetts und einigen Helfershelfern. Sie tanzen Buchstaben, | |
entblößen Silben, lassen ganze Worte erraten oder zeigen einfach eine | |
Akrobatik-Nummer am Vertikaltuch zwischen Bäumen an der alten | |
Feuerwehrgarage. Zurück auf dem Hof nimmt das Publikum dann Platz vor der | |
Leinwand am Scheunentor. Open-Air-Kino als Raum- und Zeitreisejux. | |
Denn die Mimen können sich in den Film beamen und wieder | |
herausteleportieren lassen. So nebenbei enttarnen sie die Bösewichtin, die | |
die ganze Welt zum Teufel jagen will. Aber es hebt keine | |
James-Bond-Persiflage an, auch dieser Handlungsansatz wird einfach gekappt. | |
Erhebend und beruhigend kommt die helle Seite des Mondes ins Spiel. Das | |
Ensemble musiziert zwischen Mondlaternen (Ausstattung: Anja Imig) auf der | |
Hofmauer „Alone With The Moon“ von den Tiger Lillies, während hinter ihnen | |
sechs Windräder ruhen und der Sonnenuntergang farbenprächtig die | |
Himmelsleinwand ausmalt. | |
Verstohlen geht der Mond auf in dieser hinreißend schönen Szene. In die | |
groovt ein schlagerseliges Liedchen hinein – und wertet die Moral der | |
Geschichten zur Ode an die Vergänglichkeit auf: Nicht traurig sein, wenn | |
etwas oder irgendwer verschwindet, das Leben sei ein Kommen und ein Gehen | |
man solle Frieden schließen damit. Alle summen sich in friedvolle | |
Melancholie hinein, wie es Clownssucher-Workshops versprechen. Dass keine | |
stringente Dramaturgie zu dieser Wohlfühl-Erkenntnis geführt hat, nur | |
diverse unterhaltsame Ansätze lose verknüpft sind, ist kein Manko dieses | |
bunten Abends. Es macht seinen kauzigen Charme aus. | |
20 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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