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# taz.de -- Livekonzerte und das Coronavirus: Virustechnisch unvernünftig
> Die Konzerte der Stars werden nach der Lockdown-Zeit als größere
> Ereignisse wahrgenommen, als das noch vor der Pandemie der Fall war. Ein
> teurer Spaß.
Bild: The Rolling Stones fliegen bald in Berlin ein (hier landen sie gerade in …
Die Rolling Stones kommen nach Berlin! Zwar erst Anfang August, doch der
Ticketvorverkauf hat eben begonnen. Wer dabei sein will, muss zwischen 290
und 560 Euro bezahlen. Irrsinnige Preise, aber wahrscheinlich kriegen die
Rock-Opas die [1][Waldbühne], in die 22.000 Zuschauer passen, trotzdem
voll. Nach den zähen und öden Coronamonaten sind die Leute dazu bereit,
tief in die Tasche zu greifen, um mal wieder etwas zu erleben. Und das
trotz steigender Energiepreise und Inflation.
Derzeit gibt es Großkonzerte bis zum Abwinken. Jeder Popstar will zeigen,
dass er Corona überlebt hat. Und die meisten von ihnen dürfen mit einem
dankbaren Publikum rechnen. Udo Lindenberg konnte eben zweimal
hintereinander die Waldbühne ausverkaufen, Ende dieser Woche spielen
Coldplay im [2][Olympastadion], in das bis zu 60.000 Fans passen. Das
Konzert ist so gut wie ausverkauft.
Teuer ist es dabei fast überall. Alicia Keys, die vor Kurzem in der
Mercedes-Benz-Arena auftrat, fand 200 Euro als Ticketpreis angemessen, um
sie erleben zu dürfen. Und selbst die Ärzte, die doch eigentlich ein
intaktes soziales Gewissen haben sollten, zumindest gemäß ihrem Image,
wollen über 70 Euro Eintrittsgeld haben für ihr Riesenkonzert im August auf
dem Tempelhofer Feld.
Aber wahrscheinlich läuft das eben so beim kapitalistischen
Angebot-Nachfrage-Prinzip: Steigt der Bedarf, steigen auch die Preise. Die
Konzerte der Stars werden nach der Lockdown-Zeit als größere Ereignisse
wahrgenommen, als das noch vor der Pandemie der Fall war, und viele wollen
mit dabei sein.
## Richtig geil ist genau das
Ich kriege das überall mit. Bekannte, die ich eigentlich nie als große
Konzertgänger wahrgenommen habe, berichten stolz davon, auf welchem
Festival oder sonstigem Live-Event sie nun schon wieder waren. Ein Stück
weit wird der Besuch großer Shows wahrscheinlich auch als endgültiger
Ausbruch aus dem Coronakorsett gefeiert, den man nun endlich mal wagen
muss. Virustechnisch unvernünftiger geht es ja eigentlich kaum, als sich
gemeinsam mit zigtausend anderen ohne Maske und sonst was vor einer
Konzertbühne zu drängeln. Aber richtig geil ist genau das halt auch.
Die Stones werden ihre überteuerten Tickets los. Nicht nur, weil sie halt
die Stones sind, die ja wirklich mal jeder live erlebt haben will. Sondern
auch, weil sie Geschichtsbewusstsein demonstrieren. Bestimmt hätten auch
sie das Olympiastadion vollbekommen, wenn Coldplay das schon schaffen. Das
muss der natürliche Anspruch der berühmtesten aktiven Band der Welt sein.
Aber vielleicht wollten sie ja gar nicht in irgendeiner Berliner Location
auftreten, in die halt möglichst viele Menschen passen. Sondern dezidiert
in der Waldbühne. Und da, so erinnern sich zumindest die Älteren, war doch
mal was. Und zwar im September 1965, beim ersten Konzert der Stones in
Berlin überhaupt. Der Auftritt damals ging in die Geschichte ein, und
Bilder davon dürfen heute bei keinem Rückblick des RBB auf die Sechziger
fehlen. Man sieht auf diesen Tausende Jugendliche, die alles zerdeppern,
was ihnen unter die Finger kommt, und die Waldbühne regelrecht zerlegen. So
aggressiv war die rebellische Jugend damals, heißt es dann beim RBB.
Und nun? Werden Mick Jagger und Keith Richards, die beide im nächsten Jahr
80 werden, gar ein Reenactment ihres berühmten Waldbühnen-Konzerts
aufführen? Wahrscheinlich eher nicht. Die Fridays-for-Future-Jugend
interessiert sich nicht so für alte weiße Opas. Außerdem könnte sie sich
diese Ticketpreise gar nicht leisten.
5 Jul 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Waldb%C3%BChne
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Olympiastadion_(Berlin)
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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