# taz.de -- Streik bei weltgrößtem Kupferproduzenten: Jobs versus Umwelt | |
> Chiles linker Präsident will eine umweltschädliche Anlage des staatlichen | |
> Kupferkonzerns schließen. Ein Streik ist nach Jobgarantien zu Ende | |
> gegangen. | |
Bild: Streikende Arbeiter einer Kupfer-Raffinerie in Ventanas am 21. Juni 2022 | |
Buenos Aires taz | Unter [1][Chiles] Bergleuten herrscht Aufregung. | |
Vergangenen Mittwoch hatte die Gewerkschaft der Minenarbeitenden der | |
staatlichen Bergbaugesellschaft Codelco zur unbefristeten | |
Arbeitsniederlegung aufgerufen. Anlass war die von Präsident Gabriel Boric | |
angekündigte Schließung einer Kupferverhüttungsanlage aus | |
Umweltschutzgründen. Bereits tags darauf kam es zu einer Einigung. Was als | |
kurzer Streik um den Betriebsstopp der Schmelzhütte Ventanas erscheint, ist | |
jedoch Teil des harten Ringens um eine von Boric angekündigte Politik, die | |
umwelt- und gesundheitsverträglicher sein soll. | |
Chile ist der weltgrößte Produzent von Kupfer. Entsprechend wichtig sind | |
die Arbeitsplätze und die Einnahmen aus dem Export. Allein die staatliche | |
Corporación Nacional del Cobre de Chile (Codelco) produziert rund 8 Prozent | |
des weltweit abgebauten Kupfers. Die dem 100-prozentigen Staatsunternehmen | |
gehörende Ventanas-Hütte ist eine von vielen Produktionsbetrieben. | |
Die angekündigte Schließung umfasst neben dem Hochofen zur Erzschmelze eine | |
Raffinerie zur Gewinnung von nahezu reinem Kupfer sowie Kohlekraftwerke zur | |
Erzeugung der notwendigen Energie. Die Schließung des Komplexes werde | |
schrittweise erfolgen und „mindestens fünf Jahre“ dauern, so Boric. | |
Zugleich versprach er den rund 350 MitarbeiterInnen eine | |
Weiterbeschäftigung im Unternehmen. „Keine Arbeiterin und kein Arbeiter | |
wird ohne Job bleiben“, so der Präsident. | |
Nachdem Ende vergangener Woche auch der Codelco-Aufsichtsrat mehrheitlich | |
der Schließung zustimmte, schritt der mächtige Gewerkschaftsdachverband FTC | |
ein. Die Federación de Trabajadores del Cobre (FTC) vertritt sowohl die | |
14.000 Codelco-Beschäftigten als auch weitere 40.000 Beschäftigte aus | |
anderen Bergbauunternehmen. Nachdem die Weiterbeschäftigung der von der | |
Hüttenschließung Betroffenen garantiert wurde, verkündete die FTC das | |
Streikende. | |
## Gefahr für Kinder und Senioren | |
Der Hüttenkomplex liegt in der Meeresbucht der Kommunen Quintero und | |
Puchuncaví, rund 50 Kilometer nördlich der Hafenstadt Valparaíso am | |
Pazifik. Immer wieder entweicht das bei der Produktion anfallende | |
Schwefeldioxid oder findet ein zufällig offenes Ventil. In dem offiziell | |
als „Umweltopferzone“ bezeichneten Gebiet entlang der Küste reihen sich | |
Kohlekraftwerke an Raffinerien und Chemie-und Zementfabriken. | |
„Diese Anlage befindet sich in einem Industrie-, Bergbau-, Energie- und | |
Hafenkomplex, dessen Umweltbedingungen zu Vorfällen geführt haben, von | |
denen insbesondere Kinder in Schulen und Kindergärten sowie ältere | |
Erwachsene betroffen sind“, heißt es denn auch in der Begründung des | |
Codelco-Aufsichtsrats. | |
Anfang Juni war es zu einer derart extremen Belastung der Luft gekommen, | |
dass die Regionalregierung den Umweltnotstand über Quintero und Puchuncaví | |
verhängen musste. Dutzende Kinder hatten Vergiftungserscheinungen. „Wir | |
hatten eine Schwefeldioxid-Konzentration, die fünfmal über dem zulässigen | |
Höchstwert lag“, sagte Quinteros Bürgermeister Rubén Gutiérrez. 50 Kinder | |
und 25 Lehrer in mehreren Schulen hätten über Übelkeit, Atembeschwerden und | |
einen metallischen Geschmack im Mund geklagt. „Wir haben dies | |
jahrzehntelang toleriert, aber damit muss jetzt Schluss sein“, hatte | |
Gutiérrez gefordert. | |
Die Belastungen für die lokale Bevölkerung und Umwelt und Gesundheit | |
reichen bis ins Entstehungsjahr der Ventanas-Hütte 1964 zurück. Mehrfach | |
wurde versucht, die Emissionen qua Verordnungen einzudämmen. Erfolglos, | |
auch weil Codelco selbst für die Überwachung der Eindämmungen zuständig | |
war. Und weil einige Emissionswerte in Chile die von der | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) angegebenen Standardwerte um das | |
Dreifache übersteigen dürfen. Dabei geht es nicht nur um die Luft. Im Jahr | |
2000 verbot das Gesundheitsministerium den Verzehr von Schalentieren aus | |
der Bucht wegen der Belastung mit Schwermetallen. | |
„Wir wollen keine Opferzonen mehr“, sagte Präsident Boric bei seiner | |
Schließungsankündigung. Als Umweltopferzonen gelten in Chile jene Gebiete, | |
in denen Chemie-, Verhüttungs- und Industrieanlagen sowie Kohlekraftwerke | |
unter geringen Umwelt- und Gesundheitsauflagen gebaut und betrieben werden | |
dürfen. „Heute sind Hunderttausende von Menschen in unserem Land schweren | |
Umweltzerstörungen ausgesetzt, die wir verursacht oder zugelassen haben und | |
die mich als Chilene beschämen“, sagte der Präsident. | |
24 Jun 2022 | |
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[1] /Chile/!t5009219 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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