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# taz.de -- Osteuropäische Lücke bei der EM: Das Tor im Osten treffen
> Bei der Europameisterschaft in England fehlt ganz Ostmitteleuropa. Aber
> das Aufholen hat mittlerweile begonnen.
Bild: Sylwia Matysik hat Verbesserungsvorschläge für das polnische Spiel
Nur zwei Punkte waren es am Ende, die den Polinnen zur EM-Quali fehlten.
Das Ergebnis aber war dasselbe wie üblich: Noch nie konnten die Polinnen an
einer EM teilnehmen. Sie sind damit nicht allein. Europameisterschaften der
Frauen sind seit ihrer Einführung meist ein Privatvergnügen des Westens und
des Nordens. Wer auf das diesjährige Tableau schaut, findet erneut keine
Mannschaft von jenseits des einstigen Eisernen Vorhangs oder aus
Ex-Jugoslawien, obwohl viele der Länder eine große Tradition im
Männerfußball haben. Warum? Und: Wie lange noch? Denn in die so heterogene
und oft herabgewürdigte Fläche namens Ostmitteleuropa ist Bewegung geraten.
Es herrscht zarte Aufbruchstimmung.
Tschechien scheiterte erst im Elfmeterschießen an der Schweiz, die Ukraine
in den Play-offs an Nordirland. Serbien siegte in der WM-Qualifikation
überraschend mit 3:2 gegen Deutschland, zwei Tore erzielte die
Bayern-Stürmerin Jovana Damnjanović. Und überhaupt, die Spielerinnen. Mit
Ewa Pajor stellt Polen eine der besten Stürmerinnen der Welt, die Tschechin
Barbora Votíková hütet das Tor von Paris Saint-Germain. In der Bundesliga
ist mittlerweile das halbe polnische Nationalteam unterwegs, und auch die
Leistungsspitze wird diverser: Die Sloweninnen Sara Agrež und Lara
Prašnikar, die wuchtige Bosnierin Milena Nikolić und natürlich Pajor.
Müsste da nicht mehr möglich sein für die Nationalteams?
Die polnische Mittelfeldspielerin Sylwia Matysik ist eine aus dieser neuen
Generation, bei Bayer Leverkusen unter Vertrag, früher undenkbar. „Ich
finde es wichtig, dass im Moment viele polnische Nationalspielerinnen im
Ausland spielen“, sagt sie. „Das bringt uns auch in der Nationalmannschaft
weiter. Der Frauenfußball in Polen hat sich erst in den letzten Jahren
richtig entwickelt.“ In der EM-Quali hätten dem Team „noch ein paar Prozent
gefehlt“, aber 2025, sagt Matysik, wolle man endlich dabei sein. Und auch
im Turnier eine Rolle spielen.
Die Blüte kommt nicht völlig überraschend: Matysik gehört zu jener goldenen
Generation [1][um Ewa Pajor,] die 2013 schon U-17-Europameisterin wurde.
Die polnische Ex-Nationalspielerin Marta Stodulska bestätigt diese
Beobachtung: „Früher hatten junge Spielerinnen noch Angst, ins Ausland zu
gehen, das war die ferne weite Welt für uns Kleine aus Polen. Heute ist der
Rückstand viel geringer.“
## Aktzeptanz teils höher als in Deutschland
Die Bedingungen seien mittlerweile auch in Polen hervorragend. Die
Spielerinnen hätten gute Verträge oft inklusive Wohnung, im Gegensatz zu
Deutschland werde jeden Spieltag eine Partie live im linearen Fernsehen
übertragen, und die Akzeptanz sei teils höher. Der Verband möchte die
nächste EM ausrichten. Und die neue Trainerin Nina Patalon habe mehr Frauen
in die Strukturen geholt. Auch Stodulska ist sich sicher: Beim nächsten
Turnier ist Polen dabei.
Dass das so lange gedauert hat, ist womöglich nicht erstaunlich. Neben
vielen Unterschieden gibt es eine gemeinsame historische Erfahrung vieler
Nachzüglerinnen in Ostmitteleuropa: Staatssozialismus. „Es gab eine
offizielle Gleichstellung der Frau vor allem in der Erwerbswelt, Frauen
haben sich als Teil der Gesellschaft gefühlt“, sagt die
Osteuropa-Historikerin Anke Hilbrenner, die sich unter anderem mit
sowjetischem Frauenfußball beschäftigt hat. „Dafür gab es keine zweite
Welle der Frauenbewegung. Deshalb existiert in vielen dieser Staaten
weiterhin ein sehr auf Weiblichkeit festgelegtes Frauenbild.“
Das erschwere den Zugang zum Fußball. Und sorge für eine schwierige
Kommunikation zwischen Frauen im Osten und im Westen. „Westeuropäische
Frauen treten osteuropäischen Frauen häufig mit einer Mischung aus Ignoranz
und Desinteresse entgegen, weil die ein anderes Frauenbild verkörpern.
Diese Sprachlosigkeit wird als Geringschätzung empfunden.“
Auch eine postkoloniale Struktur. Westeuropa und seine Idee von
Frauenfußball als vermeintliches Vorbild und Endziel, der Westen macht die
Regeln. Hinzu kommt ein schlechtes Timing. Der Historiker Dirk Suckow,
Herausgeber des Buches „Der Osten ist eine Kugel. Fußball in Kultur und
Geschichte des östlichen Europa“, sagt: „Die erste Phase größerer
internationaler Sichtbarkeit des Frauenfußballs, ablesbar etwa an den ab
1991 ausgetragenen offiziellen Frauen-WMs, fällt historisch zusammen mit
dem Kollaps des Staatssozialismus.
Unter dieser Transformation in einem Sportbereich strukturell aufzuholen,
in dem man schon bis dahin nicht zu den führenden Ländern zählte, war umso
schwieriger.“ Westeuropa herrscht wirtschaftlich – und institutionell: Noch
nie fand eine Frauen-EM in Ostmitteleuropa statt. Dass Frauenfußball nun
aber zunehmend weiblicher Mainstream wird und die viel geschmähten Fifa und
Uefa Druck ausüben, macht es Frauen hier in einigen Ländern leichter. Auch
in der Ukraine, die die Qualifikation knapp verpasste.
„[2][Der ukrainische Frauenfußball] war gerade dabei, besser zu werden, als
der landesweite Krieg begann“, erzählt die ukrainische Sportjournalistin
Kateryna Makarevska, die als eine der wenigen Journalistinnen über
Frauenfußball berichtet. Der Sexismus sei enorm. Und doch gebe es
vorsichtigen Aufbruch. Unter anderem habe der Verband in der letzten Saison
eine neue Regel eingeführt: Männerklubs wurden verpflichtet, ein Frauenteam
zu haben. Großklubs wie Schachtar Donezk und Dynamo Kiew gründeten
Frauenteams, immer mehr Mädchen kickten. Dann kam der Krieg, fast alle
Spitzenspielerinnen sind ins Ausland gewechselt. „Individuell könnten sie
sportlich davon sogar profitieren“, sagt Makarevska, „aber für den
ukrainischen Sport ist es ein massiver Schaden. Ich weiß nicht, ob man die
Spielerinnen überhaupt wieder zusammenbekommt.“
Manche Ligateams wie das aus Mariupol wurden völlig zerschlagen, einige
Spielerinnen seien gegen ihren Willen nach Russland deportiert worden.
Makarevska ist, was die Akzeptanz des Frauenfußballs angeht, auch für die
Ukraine vorsichtig optimistisch. Es gebe Fortschritte. Aber: „Vor allem im
Teamsport der Frauen hat der Krieg viel zerstört. [3][Und viele Frauen sind
mit Kindern geflohen], was wiederum Einfluss auf den Mädchensport hat, der
so essenziell ist für die Entwicklung. Das ist ein schwerer Schlag. Es wird
schon harte Arbeit werden, allein an den Punkt zurückzukommen, wo wir mal
waren.“ Bei manchen fand der Frühling des Frauenfußballs ein jähes Ende.
9 Jul 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ewa_Pajor
[2] /Frauenfussball-in-der-Ukraine/!5092196
[3] /Ukrainische-Fussballerinnen-in-Koeln/!5840417
## AUTOREN
Alina Schwermer
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