# taz.de -- Auf dem Weg zur Fußball-EM nach England: Unsichtbar im Testosteron… | |
> Die Anreise zur EM ohne Flugzeug ist so beschwerlich wie begegnungsreich. | |
> Aber das Frauenturnier selbst ist nirgends ein Thema. | |
Bild: Das letzte Stück mit der Fähre: Keiner redet über Frauenfußball | |
Europa muss wohl doch ein Sportkontinent sein. Der Park am Busbahnhof von | |
Paris ist ein Wimmelbild demokratischen Sporttreibens. An den Recks, | |
Boxsäcken und Gewichten trainieren vor allem migrantische junge Männer zu | |
französischem HipHop, Kinder spielen Frisbee und Inliner, ein junger Mann | |
dreht Salti und es dröhnt aus den Boxen: „Das Gegenteil von Armut ist nicht | |
Reichtum, das Gegenteil von Armut ist Gerechtigkeit.“ Sie tragen die | |
Outfits des internationalen Fußballmarkts, Man City, Barcelona, Olympique | |
Marseille. Und keine Frau ist dabei, wie immer. Ihre Körper bleiben | |
unsichtbar im öffentlichen Testosteronraum. | |
Die Stunden am Pariser Bahnhof auf dem Weg zur EM schenkt mir Interrail, | |
das fahre ich wegen Klima und so. „Klima und so“ verkauft seinen | |
Heiligenschein teuer: Drei Tage statt zwei Stunden unterwegs, kaum Schlaf | |
und das katastrophale europäische Verkehrssystem – mein Bus kommt 7 Stunden | |
verspätet an. Das billigste Interrailticket für einen Monat kostet 500 | |
Euro. Wer kann das zahlen? Und wer bekommt vom Arbeitgeber die Zeit? Dabei | |
hat die Langsamkeit wilde Romantik. Spuren der EM begegne ich nie, es ist | |
ein Frauenturnier, unsichtbar. Aber an allen Ecken treffe ich die Welt. | |
„Kann ich mich zu dir setzen, meine Schwester?“, so begrüßt mich ein | |
Algerier in Paris. Er ist nur zu Besuch hier, arbeitet sonst als | |
Pizzabäcker im Süden Frankreichs. Wir reden lange: Über seine Kindheit in | |
Algier, die drei Ehefrauen des Vaters und seine 13 Brüder, den | |
Motorradunfall, wegen dem er nicht mehr Fußball spielen kann, den Rassismus | |
in Paris. Am Ende steht eine Einladung nach Algerien. | |
Stunden später, Dunkelheit: Seinen Konversationsplatz nimmt eine kaum | |
20-Jährige ein, „ich bin Model aus Mailand“. Bald wird klar, dass es nicht | |
ganz so ist. Sie kommt aus Kolumbien, wo sie kommerzielle Mode modelte, in | |
Mailand dagegen geht es um High Fashion. Sie hat keinen Auftrag dort, sie | |
kam, wie andere nach Hollywood gehen, „to live my dream“. Und als sie im | |
Bus sitzt, nimmt ihren Platz ein Mann ein, der seinen Albtraum lebt. Er ist | |
aus Pakistan geflüchtet, seit drei Tagen ohne Schlaf. Er spricht nicht | |
viel, er wollte das nur mal gesagt haben. | |
Ich bin eigentlich längst zu müde zum Begegnen, da verlaufe ich mich | |
glücklich. Auf der Fähre lande ich im Trucker-Restaurant, ein | |
rumänisch-bulgarischer Testosteronraum. Den Küchenchef aus Mauritius | |
freut’s. Wir sprechen lange, er ist glücklich hier: „Ich bewirte nur müde | |
Trucker, da gibt’s keinen Stress.“ Am Ende steht eine Einladung nach | |
Mauritius. Wer durch Europa reist, reist um die Welt. Meist erzähle ich | |
dabei auch vom Turnier. Niemand hat Ahnung von Frauenfußball, aber sie | |
nehmen es alle selbstverständlich auf. Immerhin. | |
6 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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