# taz.de -- Woke Bewegung: Die Abkehr | |
> Einige, die bisher von Wokeness profitiert haben, wenden sich jetzt ab. | |
> Das ist eklig-opportunistisch. | |
Bild: Mutter und Tochter auf einer Kundgebung gegen Rassismus in Texas | |
Seit einiger Zeit ist es bei einigen links-liberalen Menschen Trend | |
geworden, sich medienwirksam von der sogenannten [1][woken Bewegung] | |
abzuwenden. Dass die Springer-Presse und alle von konservativ bis rechts | |
auf die „Wokisten“ einschlagen, gehört ja schon länger zum guten Ton und | |
ist sogar ein lukratives Geschäftsmodell geworden. Neu ist aber die Abkehr | |
von einigen, die sich bislang sogar selbst zu den Woken zählten. | |
Woher kommt dieser Gegenwind? Hat die woke Bewegung es wirklich | |
übertrieben? Oder hat woke als Selbstvermarktungstool ausgedient? Ich | |
versuche es mal zu erklären: | |
Bevor Wokeness zum Gespött gefühlt aller wurde, stand der Begriff für ein | |
Bewusstsein für rassistische Diskriminierung. Dafür, dass man nicht mehr | |
die Augen vor Missstände verschließt und erwacht. Klingt vielleicht ein | |
bisschen nach [2][Zeugen Jehovas], aber grundsätzlich ist es richtig, oder? | |
Für mich jedenfalls. Dann kam der Begriff nach Deutschland und wurde wie | |
viele andere Ausdrücke aus der afroamerikanischen Bewegung (z.B. das Wort | |
Shade, RIP) missverstanden und so durch den Dreck gezogen, dass es | |
inzwischen fast nur noch richtig negative Konnotationen hat. | |
Es ist naheliegend, dass Konservative bis Rechte den Begriff | |
sinnentleerten, mit Wahnvorstellungen füllen und als Vermarktungstool für | |
ihre schlechten Bücher und noch schlechteren Debatten verwenden. Aber es | |
hat was Eklig-Opportunistisches, wenn Menschen, die von der Aufklärung, die | |
die sogenannte woke Bewegung nach Deutschland gebracht hat, profitiert | |
haben, sich jetzt von ihr abwenden und darüber Kolumnen und Bücher | |
schreiben. | |
Als Wokeness und Diversität noch angesagt waren, wurde der | |
Migrationshintergrund in den Vordergrund gezerrt, wurden die | |
Diskriminierungsgeschichten aus der Schule ausgegraben und Podcasts damit | |
gefüllt. Jetzt hat das alles ausgedient und ist zu viel, zu laut, zu | |
unbequem geworden, also weg damit. Das geht nur für ganz bestimmte | |
Menschen. Die, die leicht von der einen in die andere Gruppe wechseln | |
können. Meine Hautfarbe macht es mir schwer – nicht, dass ich diese | |
Ambitionen hätte. | |
Nicht falsch verstehen: Jede Bewegung hat ihre Kritikpunkte und wir sollten | |
uns damit auseinandersetzen, was in der sogenannten woken Bewegung | |
schiefläuft. Wir können über den Ton, die Gewichtung der Themen, den | |
Übereifer sogenannter Allies, das bewusste Missverstehen und die manchmal | |
fast krankhafte Fokussierung auf Begriffe streiten, aber das alles passiert | |
nicht wirklich. Stattdessen wird Wokeness in die Ecke gepfeffert und für | |
Applaus aus konservativ-rechten Kreisen lauthals kritisiert. Riecht alles | |
sehr nach Pick Me. | |
Aber wie sagt man so schön: Reisende soll man nicht aufhalten. Wenn euch | |
die Konservativ-Rechten wieder ausspucken und ihr Soli braucht, bin ich auf | |
die nächsten mentalen Akrobatiken gespannt, die die Rückkehr zum Woke-Sein | |
erklären. Bis dahin: Alles Gute! | |
4 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Vorwurf-der-Wokeness/!5859546 | |
[2] /Ehemaliges-Sektenmitglied/!5729297 | |
## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
## TAGS | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
Diversity | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Diskriminierung | |
IG | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
Diversität | |
Kolumne Poetical Correctness | |
Sprache | |
Anti-Rassismus | |
BILD | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Letzte Kolumne „Bei aller Liebe“: Das Ende einer Reise | |
Ob Ungerechtigkeiten, den Genozid an den Tuts oder TK-Pizzen, in dieser | |
Kolumne ging es immer mehr als nur ums Daten. Nun ist Zeit für eine | |
Auszeit. | |
Mangelnde Diversität in deutschen Medien: Faule Repräsentation | |
Der Autorin Sophie Passmann wird vorgeworfen, die Stimmen von BIPOC nicht | |
ernst zu nehmen. Doch sie hat Recht mit Kritik an Medien und Redaktionen. | |
„Die Woken“ als vermeintliche Gruppe: Ich spiele dieses Spiel nicht mehr | |
Wenn abfällig über „die Postkolonialen“ oder „die Woken“ geredet wird, | |
fühlt sich unsere Kolumnistin mitgemeint. Obwohl sie kein Gruppenmitglied | |
ist. | |
Vorwurf der Wokeness: Zwischen den Stühlen | |
Fynn Kliemann schimpft angriffslustig über die „woke Szene“. Damit ist er | |
nicht allein. Aber was meint er eigentlich? | |
Rassismus in Kinderbüchern: Das ZDF sollte sich entschuldigen | |
Debatte um Kinderlied „Wer hat die Kokosnuss geklaut“: Vor lauter Wokeness | |
hat das ZDF auf Instagram schwarze Menschen mit Affen gleich gesetzt. | |
Neues von Julian Reichelt: Achtung, fragile Männlichkeit | |
Julian Reichelt gibt der „Zeit“ das erste Interview seit seiner Entlassung | |
und sieht sich als Opfer der Cancel Culture. Widerspruch erhält er kaum. |