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# taz.de -- Macron, Draghi und Johannis in Ukraine: Unterschiedliche Akzente
> Auch in Frankreich, Italien und Rumänien wird der Besuch der Staats- und
> Regierungsoberhäupter nicht nur gelobt. Aber aus unterschiedlichen
> Gründen.
Bild: Mit eigenen Augen: Johannis, Macron, Scholz und Draghi in Irpin
## Frankreich: Warum jetzt?
Musste das ausgerechnet jetzt sein, drei Tage vor entscheidenden Wahlen in
Frankreich? Nicht nur die politischen Gegner des französischen Präsidenten
Emmanuel Macron haben diese Frage zum Termin seines Ukraine-Besuchs
gestellt. Auch manche seiner Anhänger, die am Sonntag für eine Wahl als
Abgeordnete in der Nationalversammlung antreten, hätten sich eine direktere
Unterstützung gewünscht.
Für Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National
instrumentalisiert Macron seinen „Status als Präsident“ für den Wahlkampf,
er hätte sich „genauso gut vor einer Woche“ mit seinem ukrainischen
Amtskollegen treffen können oder auf jeden Fall früher, wie dies sich
Wolodimir Selenski ja auch immer wieder gewünscht hatte.
Ähnlich kritisierte auch der frühere EU-Kommissar Michel Barnier die Reise
des Staatschefs. Der frühere Minister und Ex-Chef der französischen
konservativen Oppositionspartei Les Républicains, Jean-François Copé,
spricht bezüglich des Zeitpunkts von einer „unglaublichen
Leichtfertigkeit“: „Es brennt im Haus, und Emmanuel Macron schaut
anderswohin.“ Am Prinzip der Reise und der Ukraine-Politik des Staatschefs
gibt es in Frankreich dagegen wenig Kritik, obwohl seine bisherigen
Vermittlungsbemühungen per Telefon ziemlich erfolglos geblieben sind.
Macron muss bei seinem ersten Besuch in Kiew seit dem Kriegsbeginn bei
seinem Gastgeber Selenski einige Missverständnisse und Unklarheiten
ausräumen, weil er in den vergangen Wochen den ukrainischen Präsidenten,
den er am Telefon als Gleichaltrigen angeblich kollegial duzt, mehrfach
irritiert hatte. So weigerte sich Macron, wie US-Präsident Joe Biden von
einem „Genozid“ in der Ukraine zu sprechen. Und vor allem hat seine
Bemerkung, man müsse es „vermeiden, Russland zu demütigen“, verärgert. D…
wurde so interpretiert, dass Frankreich wünscht, die Ukraine müsse
Konzessionen machen. Und bezüglich des Antrags auf eine EU-Mitgliedschaft
schlug Macron eine andere Form der Partnerschaft in einer politischen
Gemeinschaft vor. Außerdem erwartet Selenski raschere und massivere
Entsendung von modernem Rüstungsmaterial. Wie andere in Europa war auch die
französische Regierung schneller mit Versprechen als mit der Lieferung.
Rudolf Balmer, Paris
## Italien: Draghis Kunststück
Melnyk heißt der Botschafter der Ukraine in Rom, ganz wie sein Amtskollege
in Berlin. Doch so gleich der Nachname beider Diplomaten auch ist: Sie
könnten kaum unterschiedlicher auftreten. Während Andrij Melnyk in
Deutschland medial dauerpräsent ist und die Bundesregierung samt Kanzler
Olaf Scholz beißend kritisiert, wird Jaroslaw Melnyk in Italien kaum je
wahrgenommen.
Dies liegt auch daran, dass die Beziehungen zwischen Rom und Kiew kaum
angespannt sind. Italiens Ministerpräsident Mario Draghi sagte auf der
Reise mit Scholz und Emmanuel Macron nach Kiew zwar: „Wladimir Putin
dachte, er könnte uns auseinanderdividieren, aber damit ist er
gescheitert.“ Doch in einigen Punkten setzt Rom andere Akzente als Berlin
oder Paris.
Gewiss, bei den Sanktionen gegen Russland ist die Einigkeit mit Deutschland
groß. Italien importiert 40 Prozent seines Erdgases aus Russland – und ist
wie Deutschland gegen einen schnellen Stopp der Zufuhr. Doch schon bei den
Waffenlieferungen verfolgt Italien einen anderen Ansatz: Es liefert – und
schweigt. Leichte Waffen, schwere Waffen, Defensiv- oder Offensivgerät?
Diese Debatte findet in Rom nicht statt. Schon am 1. März hatte das
italienische Parlament die Lieferung von Kriegsgerät an die Ukraine
gebilligt. Wie viel und was genau dann aber geschickt wurde, bleibt
Staatsgeheimnis.
Deutlich anders als Macron oder Scholz positioniert Draghi sich in der
Frage eines EU-Beitritts der Ukraine. Der italienische Regierungschef hatte
sich bereits im März für einen „schnellen“ Beitritt ausgesprochen. Unklar
ist, ob ihm die Notstandskoalition im Parlament auf seinem Kurs folgt. Am
21. Juni steht dort eine Ukraine-Debatte an; sie könnte die Bruchlinien in
der Koalition zutage treten lassen.
48 Prozent der Italiener*innen sind laut einer aktuellen Umfrage gegen
weitere Waffenlieferungen an die Ukraine, und gleich zwei Parteien machen
sich diese Haltung zu eigen. Da wäre vorneweg die rechtspopulistische Lega
des Putinfreundes Matteo Salvini, der „Diplomatie statt Waffen“ fordert und
der Ende Mai zu Putin reisen wollte. Und auch die Fünf Sterne unter dem
früheren Ministerpräsidenten Giuseppe Conte wollen keine Waffen mehr
liefern. Michael Braun, Rom
## Nicht aus der Reihe tanzen
„Ich bin heute in Kiew, zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel
Macron, dem deutschen Kanzler Olaf Scholz und dem italienischen
Ministerpräsidenten Mario Draghi, um unsere starke Unterstützung und
umfassende Solidarität gegenüber Präsident Selenski und dem ukrainischen
Volk zu bekunden. Die illegale und unzulässige Aggression Russlands muss
aufhören!“ Mit dieser am Donnerstag bei Facebook verbreiteten lakonischen
Botschaft teilte der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis seinen
Ukrainebesuch mit, über den in der Hauptstadt Bukarest bereits am Mittwoch
gemunkelt wurde.
Aus Sicherheitsgründen wurden die Reisepläne von Johannis geheim gehalten.
Rumänische Medien berichteten, dass der rumänische Staatschef nicht
zusammen mit seinen drei westeuropäischen Kollegen in die Ukraine gereist
sei. Auf welcher Route Johannis mit der Eisenbahn nach Kiew gefahren ist,
wurde nicht bekannt gegeben. Noch vor der Begegnung mit dem ukrainischen
Präsidenten Selenski besuchte das hochkarätige Politikerquartett die Stadt
Irpin, um sich ein Bild von den Kriegsschäden zu machen. „Ich erneuere mit
Nachdruck meinen Appell, dass alle russischen Täter von der internationalen
Strafjustiz – die Rumänien voll unterstützt – zur Verantwortung gezogen
werden“, twitterte Iohannis nach dem Besuch.
In Rumänien, als Nachbarland der Ukraine, wurden immer wieder Befürchtungen
geäußert, der Krieg könne sich ausweiten und das Land hineinziehen. Seitens
offizieller Regierungsstellen versucht man derartige Befürchtungen mit dem
Hinweis auf Rumäniens Nato-Mitgliedschaft zu beschwichtigen. Aus diesem
Grund hält sich die Regierung auch bedeckt und macht keinerlei Angaben über
eventuelle Waffenlieferungen an die Ukraine. Betont wird hingegen immer
wieder die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge. Gleichzeitig gibt es auch
Hinweise, dass über den rumänischen Schwarzmeerhafen Konstanza Weizen aus
der Ukraine exportiert wird.
Ob sich Johannis dafür ausspricht, der Ukraine den EU-Kandidatenstatus zu
gewähren, hängt von eventuellen Versprechungen des Trios
Macron/Draghi/Scholz ab. Rumänien tanzt bestimmt nicht aus der Reihe und
prescht auch nicht vor mit irgendwelchen spektakulären Vorschlägen oder
Zusicherungen. William Totok
16 Jun 2022
## AUTOREN
William Totok
Michael Braun
Rudolf Balmer
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Schwerpunkt Emmanuel Macron
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