# taz.de -- Antisemitismus auf der Documenta: Hört Jüdinnen und Juden zu! | |
> Jüdinnen und Juden werden, wenn sie Kritik üben, gern als emotional | |
> abgetan. Das hat Tradition. So werden ihnen rationale Argumente | |
> abgesprochen. | |
Bild: Auf die Kritik von Jüd:innen im Vorfeld wurde nicht reagiert | |
[1][Das antisemitische Wimmelbild des indonesischen Künstlerkollektivs | |
Taring Padi] stand am Eröffnungswochenende der Documenta aufgebaut in | |
Kassel. Drum herum feierten die Gäste fröhlich, Bands spielten, es wurde | |
getanzt. Niemand schien sich daran zu stören, dass auf dem Bild Juden als | |
Blutsauger und mit SS-Runen am Hut gezeigt wurden und ein Schwein mit | |
Davidstern auf dem Revers und der Aufschrift „Mossad“ auf dem Helm. Erst | |
als die Kritik daran kurz darauf so laut wurde, dass sie nicht mehr | |
ignoriert werden konnte, wollte niemand mehr hinsehen. Das Wandbild wurde | |
in einem peinlichen öffentlichkeitswirksamen Akt erst mit einem schwarzen | |
Tuch verhüllt und später abgebaut. Als wäre nie etwas gewesen. | |
Das sind diese Momente, in denen man als Jüdin in Deutschland von einem | |
Zustand der Aufregung, der Wut kurz in den Wahnsinn abrutscht. Weil nicht | |
mehr zu fassen ist, warum eine solche Katastrophe mit Ansage, wie die | |
Documenta eine war, nicht vermieden wurde. | |
Stattdessen müssen sich Jüdinnen und Juden nun auch noch anhören, dass ihre | |
„Gefühle verletzt“ worden seien, [2][wie es die Leitung der Documenta | |
verlauten ließ]. Wenn’s nur das wäre. Um Gefühle geht es aber nicht, | |
sondern um Antisemitismus. Um die Tatsache, dass Judenhass Teil einer | |
staatlich finanzierten Kunstausstellung sein kann und sich Aufgeklärte, | |
Bürgerliche, sich als „progressiv“ verstehende Linke nicht daran stören. … | |
geht auch um die wochenlange systematische Abwertung jüdischer Stimmen, die | |
davor gewarnt haben, was nun eingetreten ist. | |
Noch schwerer zu ertragen als der Kommentar der Documenta-Leitung ist das | |
Statement des Künstlerkollektivs selbst. Das geht nämlich so weit zu | |
behaupten, dass seine Arbeit wegen eines speziellen deutschen Kontextes als | |
beleidigend empfunden werde. Ach so. Mein Fehler. Ich dachte, auch | |
außerhalb der Grenzen Deutschlands, egal wo, egal wann, ist Antisemitismus | |
immer Antisemitismus. Weil er universal ist. | |
## Es geht um Antisemitismus, nicht um Gefühle | |
Die Subjektivierung von Kritik, sie zu reduzieren auf irgendetwas | |
Gefühliges und Jüdinnen und Juden als emotional abzutun, das hat ja | |
Tradition. Wer emotional ist, kann nicht gleichzeitig rationale Argumente | |
vorbringen oder gar recht haben mit seiner Kritik. Sich für verletzte | |
Gefühle zu entschuldigen taugt hier nur als eine billige Ausrede. Lieber | |
arbeitet man mit großen, selbstgefälligen Gesten, als sich dem Problem | |
wirklich anzunehmen. Die Entschuldigung ist wie ein Lolli, den man einem | |
Kind in den Mund stopft, damit es vergisst, dass es hingefallen ist. Ganz | |
nach dem Motto: War was? | |
Wenn es in antirassistischen Kontexten immer so schön heißt, man solle | |
Betroffenen zuhören, frage ich mich, warum Jüdinnen und Juden gerade bei | |
der Documenta übergangen wurden. Bleibt im antihegemonialen Kampf vieler | |
progressiver, postkolonialer Linker einfach keine Zeit mehr, sich mit den | |
Positionen von Jüdinnen und Juden zu beschäftigen? Weil man in Juden | |
einfach keine Opfer sehen will? | |
Mindestens von politischen Verantwortlichen hätte man erwarten können, dass | |
sie bereits im Vorfeld der Documenta Hinweise jüdischer Organisationen | |
ernst nehmen. Apropos, was sagt eigentlich die Kulturpolizei, Verzeihung, | |
die Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu all dem? Ach ja, die sieht die | |
„antisemitische Bildsprache“ nun endlich auch und fordert Konsequenzen. Hat | |
ja lange genug gedauert. Fragt sich nur: Konsequenzen für wen eigentlich? | |
Für sich selbst? | |
Das größte antisemitische Werk wurde abgehängt. Auf der Documenta | |
[3][hängen aber noch immer weitere,] die antisemitische Motive beinhalten. | |
Ob die Verantwortlichen dazugelernt haben, wird sich daran zeigen, wie sie | |
damit umgehen. | |
25 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-auf-der-Documenta/!5859650 | |
[2] https://documenta-fifteen.de/news/statement-zu-antisemitismus-anschuldigung… | |
[3] https://www.welt.de/kultur/plus239411255/Documenta-2022-Antisemitismus-als-… | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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