# taz.de -- Razzia vor Bundestagswahl: Nächste Ohrfeige für Staatsanwälte | |
> Versuchte die Staatsanwaltschaft Osnabrück vor der Bundestagswahl 2021 | |
> Olaf Scholz zu schaden? Ein neues Urteil liefert weitere Indizien dafür. | |
Bild: Olaf Scholz, damals Bundesfinanzminister | |
OSNABRÜCK taz | Dass eine Staatsanwaltschaft auf der Anklagebank sitzt, ist | |
nichts Alltägliches. Vor allem nicht, wenn die Klägerin das | |
Bundesjustizministerium (BMJV) ist. Am Mittwoch war es so, vor der 1. | |
Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück. Und was in Sitzungssaal 2 | |
verhandelt und entschieden wurde, hat es in sich, auch politisch. | |
Der Grund der Verhandlung ist brisant: Mediale Äußerungen der | |
Staatsanwaltschaft Osnabrück zu Lasten des BMJV im Zusammenhang mit einer | |
Razzia im Finanzministerium. Und das womöglich, [1][um zugunsten der Union | |
Einfluss auf die Bundestagswahl 2021 zu nehmen.] | |
Ulrich Schwenke, der Präsident des Verwaltungsgerichts Osnabrück und Leiter | |
der Verhandlung, bemüht sich sichtlich, für Entspannung zu sorgen. Trotzdem | |
wird es teils hitzig im Saal. Und schon nach wenigen Augenblicken zeichnet | |
sich ab: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ist in schwerster Bedrängnis. Das | |
Ganze sei „unglücklich gelaufen“, räumt ihr Verteidiger ein, mehrfach, | |
kleinlaut. Es hilft ihm nichts. Am Ende ist klar: Das Ministerium siegt, | |
auf ganzer Linie. | |
Es geht um den 9. September 2021. An diesem Tag, um 9 Uhr morgens, rückt | |
die Staatsanwaltschaft Osnabrück in Berlin an, bei den Bundesministerien | |
für Justiz und Finanzen, [2][für eine Durchsuchung.] Schwenke sagt „mit | |
schwerem Geschütz“ sei das geschehen. | |
## „Unwahre Tatsachenbehauptungen“ | |
Besonders pikant ist der Zeitpunkt der Razzia: Sie fand kurz vor der | |
Bundestagswahl statt, obwohl die Beschlüsse des Amtsgerichts Osnabrück, auf | |
denen sie fußt, schon seit Anfang August vorlagen. Beide Ministerien waren | |
SPD-geführt, das Finanzministerium durch Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Die | |
Entscheider in Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Osnabrück stehen der CDU | |
nahe. Auch das Niedersächsische Justizministerium ist CDU-geführt. Es | |
hatte, ergab die Verhandlung, im Vorab Kenntnis von der rechtswidrigen | |
Presseinformation. Politisches Kalkül? | |
Hintergrund der Razzia war eine seit Anfang 2020 laufende Ermittlung wegen | |
des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt bei der | |
Zollkriminalamts-Spezialeinheit „Financial Intelligence Unit“ (FIU), die | |
zum Finanzministerium gehört. Die Ministerien sind dabei nur Dritte, sie | |
sind nicht beschuldigt. Sie signalisierten Kooperationsbereitschaft. Das | |
normale behördliche Auskunftsersuchen war damals noch nicht ausgeschöpft. | |
Es bestand keine Gefahr des Beweismittelverlustes, keine Gefahr der | |
Verdunklung, zumal die Staatsanwaltschaft vieles von dem, was sie hier | |
suchen wollte, längst in den Akten hatte. Trotzdem fuhren die Osnabrücker | |
zur Razzia vor. | |
Und genau zu diesem Zeitpunkt beginnt das Presserechts-Problem, um das es | |
in Saal 2 geht und das alles andere als die Petitesse ist, als das es auf | |
den ersten Blick erscheint. Denn zeitgleich zur Ankunft vor den Ministerien | |
gibt die Osnabrücker Staatsanwaltschaft eine Presseinformation heraus. Die | |
suggeriert nicht zuletzt, die Durchsuchung sei schon gelaufen. Fakt ist | |
aber: Es kommt gar nicht zur Durchsuchung. Die Ministerien, auch das der | |
Justiz, geben alles Verlangte freiwillig heraus. | |
Ferner steht in der Presseerklärung, Ziel der Durchsuchungen sei es, | |
herauszufinden „ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie | |
Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in | |
Entscheidungen der FIU eingebunden waren“. Es werde der Eindruck erweckt, | |
so dazu das Gericht, als werde auch gegen leitende Verantwortliche im | |
Ministerium wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ermittelt. Das | |
sei nicht der Fall gewesen. | |
Dabei gehe die Presseinformation „auch über den Inhalt des | |
Durchsuchungsbeschlusses hinaus“. Das Gericht wertet die Presseinformation | |
in Teilen als rechtswidrig; sie enthalte „unwahre Tatsachenbehauptungen“. | |
Rechtswidrig sei auch die unwahre Tatsachenbehauptung der | |
Staatsanwaltschaft gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, | |
veröffentlicht am Folgetag: „So groß ist unser Vertrauen nicht, dass wir | |
glauben, sie würden uns alles freiwillig herausgeben.“ Diese Aussage lege | |
den Schluß nahe, das Ministerium verweigere die Amtshilfe. Das sei aber | |
„schlicht falsch“. Das Gericht kommt hier dem Antrag der Klage nach und | |
untersagt es der Staatsanwaltschaft, den „Spiegel“-Satz zu wiederholen und | |
zu verbreiten. Insgesamt wertet es: Die Äußerungen der Staatsanwaltschaft | |
hätten das Ansehen des BMJV geschädigt, die Behörde in ihrer Funktion | |
beeinträchtigt. | |
Eine harte Niederlage für die Staatsanwaltschaft gegen das BMJV. Es ist | |
nicht die erste. Anfang Februar 2022 hatte das Landgericht Osnabrück den | |
Durchsuchungsbeschluss für die Diensträume des BMJV als „unverhältnismäß… | |
aufgehoben. | |
8 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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