# taz.de -- Staatspreis für Otto Waalkes: Unsinn mit Reißzähnen | |
> Otto Waalkes erhält den Niedersächsischen Staatspreis. Trotzdem bleibt er | |
> ein unzähmbarer Anarchist. | |
Bild: Hat sich in dem System, das er erschüttert, eingerichtet: Otto beim Empf… | |
Sie werden ihn nicht kriegen. Selbstverständlich macht Otto Waalkes das | |
alles mit, und zuverlässig wird er auch bei der Gala zur Verleihung des | |
Niedersächsischen Staatspreises 2022 dieselben Witze wie eh und je reißen, | |
ein paar von ihnen. Da stellt sich dann wieder die wohlige | |
1970er-Jahre-Atmosphäre ein, nostalgisch für all die jetzt erwachsenen | |
kleinen Zuschauer*innen von einst, so ein Lagerfeuermoment. Und es wird | |
für alle sehr lustig sein. | |
Aber am Ende bleibt Otto Waalkes dann doch ein Anarchist, den man mit dem | |
Staatspreis eher einfangen will, als ihn zu ehren. Aber das wird höchstens | |
der Tendenz nach gelingen, nicht ganz. Da bleibt noch etwas Lauerndes, | |
Ungebärdiges, Infantiles: Helmut Schmidt (SPD) forderte noch, dass Otto für | |
einen grandiosen Papstwitz Abbitte tue. | |
Es ging darum, dass dieser sich durch Suizid beruflich verbessern könne, | |
was die Tat rechtfertigen würde. Aber er hat keine Reue gezeigt, damals | |
nicht, und sich letztlich so die Möglichkeit geschaffen, sich noch im | |
spießigsten Ambiente daneben zu benehmen, ohne sich dafür zu entschuldigen. | |
Klar ist das Teil eines Images. Er befriedigt die entsprechende Erwartung. | |
Aber er tut das so restlos, dass es eben nicht mehr als Teil einer Rolle, | |
hinter der noch etwas sich verbürge, wahrnehmbar ist: ein anderer Otto, ein | |
ernster, der eigentliche. Da ist nichts, was all dem Quatsch noch Tiefe | |
stiften könnte, einen Sinn, einen vernünftigen, so wie es beim stets auf | |
Distinktion bedachten Loriot war. | |
## Unterschiedslos Ablachen | |
Dessen Lach- und Schmunzelangebot richtete sich immer an eine doch | |
wenigstens halbwegs vorzeigbare Klientel, mit teils mühsam erweitertem | |
Bildungshorizont, und es war erkennbar Unterhaltung mit Niveau, jawoll, mit | |
dem ließ sich das guilty pleasure der heiteren Witzeleien immer doch noch | |
klassengerecht legitimieren. | |
Bei Otto Waalkes wird sowas immer in einen Kalauer umgemünzt, weggejodelt | |
und zur Not halt – denn die Texte von Robert Gernhardt, Bernd Eilert und | |
Peter Knorr, die er auf die Bühne gebracht hat, haben tatsächlich | |
Weltniveau – unter der entsprechend benannten Hautcrème verborgen: Denn | |
Otto geht alle an. | |
Er ist der Komiker, der Klassen- und Rassegrenzen wegsprengt, gerne brutal, | |
rabiat respektlos, dabei aber anders als Fips Asmussen, der Witzeerzähler | |
der wildgewordenen Kleinbürger, eben nicht gegen die gerichtet, die er | |
unter sich in der sozialen Hierarchie weiß. | |
Aber ja doch, es stimmt. Für ein Publikum von heute sind einzelne vom | |
genialen Gernhardt entworfene Szenen, die in den 1980ern anti-Schwarzen | |
Rassismus angreifen wollten, [1][offenbar nicht mehr ohne tiefgreifende | |
hermeneutische Erörterung zum Lachen]. Und der Versuch, das mit Verweis auf | |
die gute Intention – „was will uns der Prophet damit sagen?“, um es mit | |
Inselpfarrer Ebbe Ebbesen auszudrücken – in die Gegenwart zu retten, ist | |
untauglich, so ein Kulturgutbewahrer-Denken, das übersieht, dass | |
Intentionen bei Nonsense irrelevant sind. | |
Um aber das Gefälle herzustellen, das Komik ausmacht, reproduziert die | |
N-Wort-Szene aus „Otto – Der Film“ die Vorurteile ihrer Zeit. Das ist | |
humorhandwerklich voll korrekt, heißt aber, sie muss das, was sie wohl | |
zerstören sollte, wiederherstellen. Deshalb verliert sie sich heute im | |
Kontext, den sie benötigt. Sie geht in ihm auf, reproduziert einen | |
überwunden gehofften Rassismus. | |
Otto Waalkes’ Performance dient der Löschung des Sinnparadigmas, das | |
bürgerliche Herrschaft begründet: Er tut das nicht weniger nachhaltig als | |
Fluxus-Künstler, die in derselben Zeit mit Blumenkohl und Salat die | |
Kunstwelt herausfordern oder die Happenings des Neo-Dada. | |
Aber er tut es so, dass es alle in ein haltloses Gelächter zwingt, | |
erschütternd, unterschiedslos jeden, das ganze System. Selbstverständlich | |
hat er sich in dem bestens eingerichtet, Merchandising ohne Ende, Ampeln in | |
der Heimatstadt mit seinen Ottifanten. Und seine Gagschreiber sind solide, | |
ja gut, aber nicht mehr so unbezwingbare Ritter des Unsinns, [2][wie es | |
Gernhardt war]: my god, die Verwüstung in der Sprache, die der anrichten | |
konnte!, und die unfassbare Leichtigkeit und Rasanz, mit der Otto das in | |
seinen Shows ab 1973 im TV realisiert hat, als würde es ihm gerade | |
einfallen – das ist nach wie vor atemberaubend. | |
In einer der Otto-Shows, die bis heute zu den erfolgreichsten | |
Fernsehsendungen zählen, die es in Deutschland je gab, führt er am Ende | |
eine [3][Schrumpffassung von Goethes „Faust“] auf, mit sich selbst in allen | |
vier Rollen – Dr. Faustus, Mephistopheles, Gretchen und ein | |
Staubsaugervertreter – und der Sketch, durchgereimt, ist wirklich | |
bescheuert (statt des Teufelspakts wird nur ein Kaufvertrag über Brummipol, | |
den Sauggiganten unterzeichnet). | |
## Das Tempo ist der Gegenstand | |
Es dauert nur ein paar Minuten. Und es gibt, wie bei Monty Python’s oder | |
Stan und Olli, keine echte Schlusspointe, sondern totalen Zusammenbruch – | |
wenn auch nur akustisch hinter verschlossener Tür in der Kulisse. Aber der | |
eigentliche Gegenstand des Sketchs ist das Tempo, in dem das alles abläuft, | |
in dem die Kostümwechsel, die Auf- und Abgänge vollzogen werden, ohne dass | |
es ein Stocken gäbe, einen Schnitt oder einen Kamerawechsel: Dieses Tempo, | |
dieses unfassbare Tempo, das Selbstzweck ist, dieses Tempo ist einfach | |
irre. | |
Und darum geht es: Hier tritt das Irre auf, findet einen Körper. Es ist ein | |
Unsinn, der Zähne hat und alles verschlingen könnte. Und uns als des | |
Wahnsinns fette Beute macht es auch noch Spaß. | |
Man [4][kann sich das in schlechter Qualität als Youtube-Video reinziehen]. | |
Wahrscheinlich wird davon nichts bleiben, am Ende. Aber es ungeschehen | |
machen kann keine Macht der Welt. Und sie werden ihn nicht kriegen, weder | |
mit Ottifanten-Ampeln noch mit Staatspreisen. Obwohl Otto Waalkes | |
offensichtlich langsamer geworden ist. | |
22 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/satire-und-rassismus-rassis… | |
[2] https://www.lyrikline.org/de/gedichte/ach-2431 | |
[3] http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Dramen/Faust.+Eine+… | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=bjqeOGzCDpw | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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