# taz.de -- Berliner Stadtmagazine feiern Jubiläum: Glauben an die Renaissance | |
> Die Stadtmagazine „Tip“ und „Ex-Berliner“ feiern Geburtstag. Print wi… | |
> eine Renaissance erleben, ist die Chefredakteurin von „Tip“ überzeugt. | |
Bild: Eckkneipe am Berliner Winterfeldtplatz, 1978 | |
1972 – lang ist es her. Die Westberliner hatten sich langsam daran gewöhnt, | |
dass sie von einer Mauer umgeben waren. Und die SPD begann unter Willy | |
Brandt damit, sich der Sowjetunion anzunähern. Gleichzeitig hatten die | |
[1][Ton Steine Scherben] gerade ihr erstes Album herausgebracht und der | |
Neue Deutsche Film machte zunehmend Furore. | |
Da kam ein findiger Berliner, Klaus Stemmler, auf die Idee, ein | |
Stadtmagazin zu gründen, nach dem Vorbild der New Yorker Village Voice. | |
Sein Tip, wie er es nannte, war eines der ersten Stadtmagazine | |
Deutschlands. Seine allererste Ausgabe, die im Januar 1972 erschien, war | |
gerade mal sechs Seiten dick, enthielt ein paar Filmempfehlungen sowie | |
diverse Insider-Tipps und wurde an Universitäten und in Kneipen verteilt. | |
50 Jahre später ist der Tip eine etablierte Marke, die aktuelle Ausgabe | |
umfasst 162 Seiten und zum Jubiläum gibt es am 18. Juni eine große Party in | |
Berlin. | |
Das klingt nach einer großen Erfolgsgeschichte. Doch in Wahrheit hat der | |
Tip seine goldene Ära längst hinter sich. Es gab Zeiten, die | |
zugegebenermaßen auch schon wieder eine Weile zurückliegen, da war es | |
undenkbar, in Berlin ohne eines der beiden großen Stadtmagazine | |
auszukommen. | |
## Auch Experimente konnten nicht helfen | |
Der Tip oder [2][die fünf Jahre nach ihm gegründete Zitty] gehörten | |
zumindest noch in den Neunzigern in jede Studenten-WG. Und wer die Stadt | |
besuchte, kaufte sich als Erstes eines der beiden Magazine, um einen | |
Überblick zu bekommen, was es in Berlin zu erleben gebe. Kurz nach der | |
Wiedervereinigung näherten sich die alle zwei Wochen erscheinenden | |
Zeitschriften jeweils einer Auflage von 100.000 Stück an. | |
Doch dann ging es bergab mit ihnen. Die Gründe dafür sind zahlreich. Die | |
fortschreitende Digitalisierung und die damit einhergehende generelle Krise | |
von Print gehören dazu. Zudem bauten die Berliner Tageszeitungen zunehmend | |
ihre Programmteile aus und konkurrierten bald mit den Platzhirschen. | |
Spezielle Interessen wurden außerdem von immer mehr Blogs und Social Media | |
bedient. Und die queere Community in Berlin bekam mit der Siegessäule sogar | |
ein Stadtmagazin, das ganz umsonst ausliegt. | |
Von den nuller Jahren bis heute geht die Erfolgskurve nach unten. Zitty und | |
Tip wurden von einem Verlag zum nächsten weitergereicht und landeten | |
zeitweilig sogar unter einem Dach. Eine Redaktion war für eine kurze Zeit | |
ab 2016 für beide Titel verantwortlich. Was auch deswegen bemerkenswert | |
war, weil es bislang immer hieß, diese würden sich zueinander verhalten wie | |
einst die Beatles zu den Rolling Stones. | |
Entweder man bekannte sich zur als links geltenden Zitty oder zum etwas | |
bürgerlicheren Tip. Und plötzlich war alles irgendwie dieselbe Sauce. | |
Es wurde dann noch eine Weile lang weiter herumexperimentiert mit den | |
beiden Titeln. Die Zitty erschien für einen kurzen Zeitraum nicht mehr nur | |
alle zwei Wochen, sondern wöchentlich, bis sie 2020 ganz eingestellt wurde. | |
Und das sogar schon kurz nach dem Beginn der Coronakrise, die Stadtmagazine | |
besonders hart getroffen hat. Auch den Tip, wie dessen Chefredakteurin | |
Stefanie Dörre sagt. Die Abozahlen seien während der Pandemie weitgehend | |
konstant geblieben, führt sie fort, aber der Abverkauf am Kiosk habe sich | |
fast halbiert. Sie verstehe das, was wolle man auch groß mit einem | |
Stadtmagazin, wenn nichts los ist in der Stadt. | |
Aber inmitten der permanenten Krise des eigenen Printprodukts auch noch so | |
ein Horror, das sei natürlich schon hart gewesen. Zum Glück habe man in der | |
Zeit Coronahilfen bekommen, so Dörre. Doch was die Auflage betrifft, „sind | |
wir noch nicht auf dem Niveau, das wir vor Corona hatten“. Aktuell verkauft | |
sich der Tip etwa um die 15.000 Mal alle zwei Wochen. Tendenz leicht | |
sinkend. | |
## Ein Deutsch- und ein englischsprachiges Stadtmagazin für Berlin | |
Untergangsstimmung will bei ihr dennoch nicht aufkommen. Alles wandere | |
weiter ins Internet, Stadtmagazine haben keine Zukunft: diesen Prognosen | |
möchte sie nicht zustimmen. Natürlich baut der Tip weiter massiv sein | |
Onlineangebot aus und bespiele alle nur erdenkbaren Social-Media-Kanäle. | |
„Doch das meiste Geld wird bei uns immer noch mit Print verdient“, sagt | |
sie, „ich glaube auch, man sollte sich davon verabschieden, Print permanent | |
für tot zu erklären. Es gab bereits die Renaissance des Vinyls und die | |
Renaissance der Kassette. Mal sehen, ob uns da nicht auch noch der | |
Printsektor überrascht.“ | |
In gewisser Weise setzt man jetzt sogar noch stärker auf Print als noch vor | |
ein paar Jahren. Tip veröffentlicht Sonderhefte, die unter dem Dach der Tip | |
Berlin Media Group neben dem eigentlichen Stadtmagazin herausgegeben | |
werden. Etwa einen Gastroführer, ein Magazin für Nachhaltigkeit, eines für | |
Brandenburg. „Früher waren das drei oder vier Sonderhefte im Jahr, jetzt | |
sind es zehn“, sagt Dörre. | |
Außerdem hat man mit dem rein englischsprachigen Stadtmagazin Ex-Berliner | |
seit Ende 2022 auch noch ein Printmedium als Partner hinzubekommen, das | |
sich an die wachsende Community fremdsprachiger Berliner richtet. Der | |
[3][Ex-Berliner] wurde vor 20 Jahren von Chefredakteurin Nadja | |
Vancauwenberghe mitgegründet und richtet sich an die sogenannten Ex-Pats in | |
der Stadt, an Zugezogene aus dem Ausland, von denen die meisten nicht | |
vorhaben, Berlin so schnell wieder zu verlassen. Laut Vancauwenberghe, die | |
ursprünglich aus Paris stammt, sind zudem etwa ein Drittel der Leser ihres | |
Magazins Berliner mit Deutsch als ihrer Muttersprache. Die verkaufte | |
Auflage des Monatsmagazins liegt bei etwa 5.000 bis 6.000 Stück. | |
Ein deutsch- und ein englischsprachiges Stadtmagazin für Berlin aus einem | |
Hause, das bietet Möglichkeiten für weitere Synergien, glauben die beiden | |
Chefredakteurinnen. Die Genese ihrer Stadtmagazine sei in einer Stadt, die | |
sich auch ständig weiterentwickelt, eben noch nicht abgeschlossen. | |
17 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Rio-Reisers-Todestag/!5789947 | |
[2] /Berliner-Stadtmagazin-Zitty/!5696480 | |
[3] https://www.exberliner.com/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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