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# taz.de -- Einstellung der „Village Voice“: Der Wegweiser durch die Stadt
> Ein Jahr nach dem Ende der gedruckten „Village Voice“ stirbt jetzt auch
> die Digitalausgabe. Das Zeitalter der alternativen Stadtmagazine geht zu
> Ende.
Bild: Alles, was sich in New York bewegte, lief in dem Blatt zusammen
New York taz | Das Ende der Printausgabe war der fatale letzte Schritt der
legendären Wochenzeitung Village Voice in New York. [1][Knapp ein Jahr
danach kam das endgültige Aus.] Der Milliardär Peter Barbey, der das Blatt
erst 2015 gekauft hatte – angeblich um es zu retten – feuerte die Hälfte
der Restbelegschaft und stellte den zurückbleibenden Beschäftigten eine
vorübergehende „Archivarbeit“ in Aussicht, um die Printausgaben von
Jahrzehnten elektronisch zu erfassen.
The Voice wie New YorkerInnen es nannten, war jahrzehntelang der Wegweiser
durch die Stadt. Von Musik über Film, Tanz und Untergrundtheater bis hin zu
Nachtleben, Partnersuche und alternativen Lebensformen war das Blatt ein
Muss. Und es war politisch engagierter, mutiger und radikaler als die
zahnlosen Blätter New York Times und Wall Street Journal.
[2][Als die New Yorker Polizei am 28. Juni 1969 eine neue brutale Razzia im
Stonewall Inn machte] und rund um den LGBT-Treffpunkt Randale ausbrach,
waren Reporter von Village Voice vor Ort. Das Blatt unterstützte die
schwulen und lesbischen AktivistInnen, zugleich schrieb es in dem ihm
eigenen ehrfurchtslosen Stil über die „große Tuntenrebellion“.
Jahre später, als „drei kräftige Männer“ in Queens das Hab und Gut der
halbseitig gelähmten Mary Filan, die gerade einen Schlaganfall überlebt
hatte, aus ihrer Wohnung trugen, war wieder ein Village Voice-Reporter
dabei. Ihr Vermieter, Donald Trump, behauptete, sie sei mit den
Mietzahlungen im Rückstand. Die 74-Jährige hingegen bestand darauf, sie
habe alles ordnungsgemäß bezahlt und er wolle die Wohnung räumen, um sie
anschließend für den doppelten Preis vermieten zu können.
## Flucht vor steigenden Mieten
Alles, was sich in New York bewegte, lief in dem Blatt zusammen. Drei
Männer (Dan Wolf, Ed Fancher and Norman Mailer) hatten es 1955 in einer
Zwei-Zimmer-Wohnung im Greenwich Village als Organ für die Kreativen in New
York City gegründet. Und obwohl das Blatt viele prominente Autorinnen
hatte, sollten die Führungspositionen bis zum Schluss in Männerhand
bleiben. Schon bald nach seiner Gründung wurde Village Voice das Vorbild
für eine Generation von alternativen Wochenzeitungen, die in den großen
Städten quer durch die USA entstanden.
In seinen guten Zeiten hatte es eine Viertelmillion KäuferInnen. Doch die
Gentrifizierung der Stadt setzte auch der Village Voice zu. Immer wieder
musste das Blatt vor steigenden Mieten fliehen. Sein vierter und letzter
Standort war der Finanzdistrikt, eine Gegend mit der die Redaktion
kulturell wenig gemeinsam hatte.
Der Abstieg begann Mitte der 1990er Jahre. Verantwortlich dafür waren nicht
die JournalistInnen, die zwei Pulitzer- und zahlreiche andere Preise
heimholten und von denen manche später Stars in Journalismus und Literatur
wurden, sondern verlegerische Entscheidungen über den richtigen Umgang mit
dem veränderten ökonomischen Umfeld für Printmedien. Im Jahr 1996 stelle
Village Voice, die vorher am Kiosk verkauft wurde, auf den Gratisvertrieb
um.
Die erste Gratis-Titelseite, die mit Dinosauriern, Elefantenrüsseln und
Sprechblasen gefüllt war, läutete eine neue Ära von Beliebigkeit ein.
Zugleich begann der Einbruch von Werbeeinnahmen, der allen Printmedien
zusetzte.
## Sex, Mode, Kunst und Musik
Bei Village Voice reagierte man mit Personalstreichungen. Und flüchtete in
die Suche nach immer neuen Investoren in der tiefen Provinz. 2005 übernahm
die New-Times-Media-Gruppe in Phoenix, Arizona, die Village Voice. Sie
machte das Blatt zu einem Teil ihres Portfolio aus mehr als einem Dutzend
alternativer Wochenzeitungen, die sie quer durch die USA eingekauft hatten.
Neben RedakteurInnen, die sich mit Sex, Mode, Kunst und Musik befasst
hatten, flog damals auch Wayne Barrett heraus, der jahrzehntelang über
Immobilienspekulation in New York berichtet hatte.
Schon 2012 folgte die nächste Übernahme. Das Blatt ging nun in die Hände
der Voice Media Group in Denver, Colorado, wo es erneut Teil einer durch
Konzentration entstandenen Mediengruppe wurde. 2015 übernahm ein neuer
Provinzler das Blatt mit der Auflage von noch 65.000 Exemplaren die Woche.
Die Familie von Peter Barbey, die ihr Vermögen in der Textilindustrie
gemacht hat, war damals die Nummer 48 [3][in der Forbes-Liste der reichsten
US-AmerikanerInnen] (200 Plätze vor einem gewissen Trump).
Barbey wiegte die BlattmacherInnen in dem Glauben, dass er in The Voice
investieren würde. Wie viel er für das Blatt bezahlte, blieb Geheimsache.
„Für eine Zeitung, der es schlecht geht, gibt es Schlimmeres, als an einen
Zeitungsliebhaber mit prall gefüllten Taschen verkauft zu werden“,
kommentierte aus Washington das Blatt Politico. Und der damalige
Chefredakteur vom Village Voice, Tom Finkel, schwärmte in einem Interview
über Barbey: „Er hat mich gefragt, was ich brauche.“ Zwei Monate später
erhielt auch der Chefredakteur die Kündigung.
Im September 2017 verabschiedete sich die Village Voice vom Papier. Seine
letzte gedruckte Ausgabe hatte ein nostalgisches Foto von dem jungen Bob
Dylan auf der Titelseite. Seither war die Village Voice nur noch im Web zu
lesen. Als The Voice am 31. August endgültig zumachte, fragte der
Filmkritiker J. Hoberman, der mit dem Blatt groß geworden ist, bevor auch
er 2012 bei einer Sparwelle rausflog, sarkastisch: „Wie? Es gab The Voice
noch?“ Harry Siegel, ein anderer einst prominenter und dann gekündigter
Autor, trat [4][in einem bitterbösen Nachruf im Daily Beast] nach: „Fuck
you, Peter Barbey.“
12 Sep 2018
## LINKS
[1] https://www.nytimes.com/2018/09/10/arts/music/popcast-village-voice-music.h…
[2] /Film-Stonewall/!5249789
[3] /Kommentar-Forbes-Liste/!5146150
[4] https://www.thedailybeast.com/the-rube-who-came-to-new-york-and-killed-the-…
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
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