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# taz.de -- Besuch in bayerischer Spargelstadt: Ja, wo steckt er denn?
> Schrobenhausen ist das Hochamt des Spargels in Bayern. Doch vor Ort sind
> die weißen Stangen kaum präsent. Eine Spurensuche.
Bild: Die aktuelle Spargelkönigin von Schrobenhausen erhebt das Glas: Annalena…
Schrobenhausen, das hört sich so an, als wäre es ein Kiesgrubengebiet oder
ein Lager der Waffenindustrie. Dabei ist die bayerische Stadt so was wie
die Champagne: Schrobenhausener Spargel darf sich nur nennen, was innerhalb
der gemäß EU-Durchführungsordnung 896/2010 geschützten Region aus dem
Sandboden gezogen wurde.
Echter Schrobenhausener ist zwischen Mitte April und dem 24. Juni das
bayerische Hochamt. Spargel, der nicht aus diesem gerade mal 900 Hektar
kleinen Gebiet zwischen München, Augsburg und Ingolstadt stammt, kommt dem
Bayer, der es sich leisten kann, nicht auf den Teller.
Dass aber der „Ministerpräsident Dr. Markus Söder“ den traditionellen
Spargelanstich mit der Schrobenhausener Spargelkönigin, die heuer Annalena
I. ist, nicht in Schrobenhausen, sondern auf dem Münchner Viktualienmarkt
vornimmt – ist das schon ein Hinweis darauf, dass man in diese Stadt besser
keinen Fuß setzt, wenn man wegen des Spargels anreist?
Es ist nämlich so, dass Schrobenhausen seinen Spargel eher zu verstecken
scheint: kein Namenszusatz „Spargelstadt“ auf dem Ortsschild, weit und
breit kein Hinweis „Spargelverkauf“, keine Stände mit Stangen in Kisten,
kein übergroßer grinsender Plastikspargel am Ortseingang.
Man muss als Spargelanbaugebiet ja nicht gleich mit einem Spargel-Drive-in
oder [1][einem Maskottchen namens Spargelino] aufwarten, wie [2][das
brandenburgische Spargelparadies Beelitz]. Aber ein dezent platziertes
Plakat mit einem Bund weißer Stängel drauf kann eigentlich nicht schaden.
Und auch der winzige Zusatz „Spargel-“ auf den Hinweisschildern „Museum“
würde das Schrobenhausener Stadtbild nicht aufs Gröbste verunreinigen.
Schließlich ist, bei allem Respekt, das Europäische Spargelmuseum (unter
anderem mit einer Spargeldeckeldose aus Meißen, einem Teller mit
Spargelmotiven des Jugendstilkünstlers Emile Gallé und einer Spargelzange
von Carl Peter Fabergé) nicht der Louvre, von dem man, auch wenn man noch
nie in Paris war, weiß, dass er da irgendwo sein muss.
Vorbei an dem bezaubernd verlotterten, konkav einschwingenden
Walmdachgebäude der geschlossenen Gritschen-Brauerei und an bröckelnden,
ehemals schmucken Unternehmervillen landet man irgendwann in der pittoresk
renovierten Schrobenhausener Altstadt: zweistöckige romantische Häuschen,
kein Müll auf der Straße, City-Döner und King Kebab, heimisches Bier
(Maierbräu Altomünster, sehr lecker), Eisdiele Milano mit Spargeleis und
ein in den Boden eingelassenes, aus 24 Düsen Fontänen in Spargelform
schießendes Wasserspiel.
Ist das die auf Google Maps an dieser Stelle eingezeichnete Spargelstatue?
Man kann es dafür halten, erinnert sich dann aber an ähnlich feuchte
Straßenmöblierung in brandenburgischen, montenegrinischen oder anderen
Kleinstädten dieser Welt. Tatsächlich steht die Spargelstatue völlig
unspektakulär am Rande der Fußgängerzone vor einem Geschäft. Zigmal latscht
man dran vorbei, bevor man versteht, dass das nicht irgendeine Säule ist,
die da mal jemand unfertig hat stehen lassen.
Die nähere Betrachtung dieser Säule sollte man sich allerdings nicht
entgehen lassen: statt der dreieckig spitzen Blätter, die normalerweise an
der Spargelspitze die Eichelform bilden, wegen der die Stange mit dem
männlichen Genital assoziiert wird, besteht die Marmorsäulenspargelspitze
aus barbusigen Frauen, die sich an ihre Bäuche, an ihren Busen oder
zwischen ihre Beine fassen. Ihre Unterkörper wachsen allesamt aus Dreiecken
hervor.
Was zunächst stutzig macht, ist eine wirklich feine Beobachtung, die bei
allem Spargelbashing so wohl noch nie gemacht wurde: Des Spargels männlich
konnotierte Spitze lässt sich auch weiblich (Schamdreieck) konnotieren.
Reclaim the Spargel sozusagen.
Der Schrobenhausener Bildhauer und Spargelsäulenschöpfer Karl-Heinz Torge
sagt seine Statuen seien „keine Kunst, sondern solides Handwerk“. An dieser
Stelle müssen Sie sich jetzt ein Emoji mit zwei roten Herzen aus Spagel auf
den Augen vorstellen.
So, jetzt will man aber doch endlich mal an diesen Spargel kommen, wegen
dem man ja schließlich angereist ist. Bloß wie? Für das Gemüse scheint sich
hier niemand zu interessieren. Möglichst unauffällig fragt man mal bei der
zweiten Bierbestellung den Kellner im Café Lenbach (man hätte auch in der
Lenbach Lounge, auf dem Lenbachplatz, an der Lenbachstraße, im
Lenbachmuseum, in der Franz-von-Lenbach-Schule oder den Lenbach-Chor fragen
können).
Das Eruieren der Möglichkeiten des käuflichen Erwerbs von Spargel in diesem
angeblich weltberühmten Spargelanbaugebiet fühlt sich an, als würde man
nach der Nummer eines Kokstaxis mit SM-Nuttenservice fragen. „Hm“,
antwortet der sympathisch offenherzige Kellner.
Seine Augen richtet er gen Himmel, einer seiner Zeigefinger wandert an die
Lippe – hier will jemand offensichtlich deutlich machen, dass zur
Antwortgebung lange nachgedacht werden muss. „Also, hm, also, ich glaub,
doch, ja, da, an der B 300, ja, da müsste es Stände geben“, sagt er. Und
fügt dann sehr sicher hinzu: „Gegenüber von McDonald’s!“
Das klingt irgendwie bekannt. Es klingt wie Brandenburg.
[3][Im Internet überprüft], heißt es tatsächlich, dass man Schrobenhausener
Spargel in Schrobenhausen nur donnerstag- und samstagvormittags auf dem
Markt kaufen kann. Es sei denn, man hat ein Auto, ist Ausdauersportler oder
steigt halt noch mal eine halbe Stunde aufs Fahrrad, um zu einem der
Spargelhöfe in der Umgebung zu kommen.
Und das lohnt sich. Hat man mit letzter Puste nach zwei Bier
Industriegelände, Bundesstraße und Feldweg hinter sich gebracht und sieht
zum ersten Mal spargelgrünes Fädengewirr aus der Erde wehen, weiß man
endlich, dass das Saisongemüse nicht mehr weit weg sein kann.
Beim Tyroller Spargelhof packt eine äußerst sympathische Verkäuferin
prächtig glänzende pompöse Stangen aus ihrer grünen Kiste in kleine
Plastiktüten, nimmt im Gegenzug eine faire Summe Geld entgegen und entlässt
einen mit den Tüten in einen schönen Abend.
Die Tyroller Spargel lassen sich bedenkenlos bis zum nächsten Tag
aufbewahren, an dem man sie bloß zehn Minuten lang in heißem Wasser gart,
hernach mit Semmelbröselbutter und Kresse überträufelt und im Folgenden
einen für Spargelverhältnisse wirklich äußerst aromatischen Spargelverzehr
vornehmen kann.
Wer nicht bis zum nächsten Tag warten will, findet in Schrobenhausen
durchaus Restaurants, die den Schrobenhausener anbieten. Es ist allerdings
mitnichten so, wie auf TripAdvisor beschrieben: es gibt keine
Spargelmassenabfertigungsgastronomie, die Busladungen von Touristen
abfüttern muss.
Selbst der so beschriebene Gasthof Schimmelwirt, dessen Biergarten an der
Ausfallstraße liegt, und auch das Bauern Bräu, dessen Biergarten auf einem
Parkplatz liegt, sind kleine, bescheidene Restaurants, der Spargel ist gut.
Man darf nur keine Scham haben, nach ihm zu fragen. Denn selbstverständlich
steht auch in den Schrobenhausener Restaurants der Spargel nicht gleich
ganz oben auf der Karte.
19 Jun 2022
## LINKS
[1] https://beelitz.de/spargelino/
[2] /Tour-auf-der-Beelitzer-Spargelstrasse/!5596044
[3] https://www.schrobenhausen.de/de/Spargelstadt/Wochenmaerkte-in-Schrobenhaus…
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Spargel
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Landwirtschaft
Beelitz
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