| # taz.de -- Kolonialismus-Aufarbeitung im Museum: Kaisers Münzen umtanzt | |
| > Zahlungsmittel als Symbol kolonialer Herrschaft: die multimediale | |
| > Intervention „Macht. Mittel. Geld“ im Museum für Hamburgische Geschichte. | |
| Bild: Zahlungsmittel der Kolonialherren: 1 Pesa aus „Deutsch-Ostafrika“ (18… | |
| Hamburg taz | Wer auf der Münze abgebildet ist, der hat die Macht. Denn | |
| Geld gehört ja nicht dem Volk, es ist nur geliehen: vom Staat, von der | |
| Gesellschaft. Wenn man Glück hat, repräsentiert der eine die andere. Wenn | |
| man Pech hat, lebt man in einer Diktatur oder [1][unter Kolonialherrschaft] | |
| oder beidem zugleich – dann wird die Münze, auf der Kaiser oder König | |
| abgebildet sind, zu einer Fessel, zu einer erzwungenen Identifikation mit | |
| denen, denen man dient. Das haben schon die alten Römer gewusst: Nicht nur | |
| stellten sie überall Kaiserbüsten auf, sondern führten auch Münzen mit | |
| Regenten-Konterfei in den unterworfenen Provinzen ein. | |
| Die Deutschen haben es ihnen nachgemacht: in der von 1885 bis 1918 | |
| bestehenden Kolonie [2][„Deutsch-Ostafrika“] – im wesentlichen die heutig… | |
| Nationen Tansania, Burundi und Ruanda. Vorgefunden hatten sie die indische | |
| Rupie und den Pesa, eigentlich Pice, die Währung vorheriger Kolonisatoren. | |
| Die verwaltende Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft erwarb das Recht, | |
| eigene Münzen zu prägen und führte 1904 eine eigene Silberrupie ein, auf | |
| der Kaiser Wilhelm II. abgebildet war. | |
| Kurz darauf ersetzte man die Pesa durch den deutschen Heller, teils aus | |
| Nickel, teils aus Kupfer. Und schließlich führten die Kolonialherren das | |
| europäische Dezimalsystem ein: Jetzt musste man für eine Rupie nicht mehr | |
| 64 Pesas zahlen, sondern zehn Heller. | |
| Es klingt nach einer Aufwertung, steht aber vor allem für Übernahme und | |
| Kontrolle sämtlicher Finanzen durch die eigens geschaffene | |
| Deutsch-Ostafrikanische Bank mit Hauptsitz in Berlin und deren Gouverneure | |
| und Kommissare vor Ort. Selbst die Bezirkssparkasse in Daressalam für die | |
| Einheimischen kontrollierten mehrheitlich Weiße. Wobei die Einheimischen | |
| ohnehin wenig ansparen konnten. Land für die Plantagen der Kolonialherrn | |
| mussten sie entweder weit unter Wert verkaufen oder sie wurden gleich | |
| enteignet. Die Aufsicht auf den Plantagen führten Weiße, die Arbeit | |
| erledigten Einheimische, von denen immens hohe Steuern erhoben wurden. | |
| ## Kaufleute profitierten | |
| Großen Anteil daran hatten auch Hamburger Kaufleute, etwa der | |
| Kolonialbeamte Hermann von Wissmann, der mehrere Aufstände der | |
| Kolonisierten blutig niederschlagen ließ. Auch der Kaufmann und | |
| Sklavenhändler Heinrich Carl von Schimmelmann, nach dem immer noch Straßen | |
| benannt sind, wäre zu nennen. Zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche | |
| AkteurInnen kämpfen seit Jahren um die Aufarbeitung, und wenn es um | |
| koloniales Raubgut geht, agieren die Hamburger Museen schwankend. | |
| Was dabei bislang unberücksichtigt blieb, ist das Geld, genauer: Münzen aus | |
| der Kolonialzeit, eben jene Rupien und Heller mit Kaiser Wilhelm II. drauf. | |
| Wem soll man sie zurückgeben – wer will sie überhaupt haben, diese | |
| Erinnerungen an Ausbeutung, brutales Niederschlagen von Aufständen, die | |
| Ermordung Kolonisierter? | |
| Das Museum für Hamburgische Geschichte hat jetzt [3][einen ähnlichen Weg | |
| gewählt], wie 2017 das Altonaer Museum: Hatte man in Altona den ghanaischen | |
| Künstler Joe Sam-Essandoh zwischen Modellen einstiger Kaufmannsschiffe eine | |
| Masken-Intervention inszenieren lassen, wird nun auch in der Hamburger | |
| Innenstadt künstlerisch interveniert, und zwar durch die | |
| mexikanisch-deutsche [4][Choreografin Yolanda Gutiérrez], die sich schon | |
| lange mit dem Kolonialismus beschäftigt. Die hatte schon 2021 die | |
| Performance „Decolonycities Kigali – Hamburg“ für das Markk entworfen, | |
| [5][Hamburgs vormaliges Museum für Völkerkunde], ein denkbar kolonial | |
| belasteter Ort also. | |
| Jetzt hat sie gemeinsam mit der französischen [6][Tänzerin Eva Lomby] und | |
| dem ruandischen [7][Fotografen Chris Schwagga] eine Installation | |
| geschaffen: Tanz, Fotos und Museumsobjekte treten dabei in Dialog, spiegeln | |
| einander, verfremden, verbinden und trennen sich. Da schreitet Eva Lomby | |
| Boro würdevoll die Treppe zum Foyer herab, behängt mit einem breiten, | |
| schweren Kragen aus Münzen. Stolz und würdig trägt sie ihn, wie ein | |
| altägyptischer Pharao. Sie beugt und biegt sich zwischen den zum Karree auf | |
| hohen Ständen platzierten Fotos, auf denen auch sie selbst abgebildet ist. | |
| Schaut hin und wieder weg. Tanzt, posiert, umgarnt, wehrt ab. | |
| ## Verzierter „Besitz“ Mensch | |
| In der nächsten Sequenz steckt ihr Kopf unter einem schwarzen Gazeschleier | |
| mit – Münzen. Kostbar sieht das aus, wie die Morgengabe einer Prinzessin im | |
| Märchen vielleicht. Man assoziiert: ein Mensch, verziert mit Preziosen, die | |
| den Reichtum seines „Besitzers“ zeigen. Außerdem vernebeln Gaze und Münzen | |
| den Blick, als hätte sie einen Sack über dem Kopf. Aber sie zerrt hier, | |
| zupft dort, und er ist weg. | |
| Schwaggas Fotos reproduzieren nicht nur Gesicht und Gesten der Tänzerin. Da | |
| findet sich auch ein Paar schwarzer, von Feldarbeit erdbedeckter Hände mit | |
| Münzen drin – eine Anspielung an mit Reis gefüllte Hände auf Plakaten von | |
| „Brot für die Welt“. Wie viel Reis konnten sich die Kolonisierten wohl für | |
| die Viertel- und Achtel-Heller kaufen, wenn sie denn welche besaßen? | |
| Reflektiert, ambivalent und ohne Bitterkeit kommen diese Fotos daher, etwa | |
| dasjenige einer bewusst klischeehaft hindrapierten „schwarzen Schönheit“ | |
| mit Münzen-Turban und -kette. Mit geschlossenen Augen scheint sie zu | |
| genießen – oder ist da auch Trauer im Spiel, über den Identitätsverlust, | |
| den die Kolonialisierung bedeutet? | |
| Es ist eine vielschichtige multimediale Installation, die Performance kann | |
| man zu bestimmten Terminen live, ansonsten per Video miterleben. In der | |
| Museumsvitrine gleich daneben liegen die kleinen Gewichte und Waagen | |
| hanseatischer Kaufleute; der Saal zur Hansezeit folgt nebenan. Eine dezente | |
| Aufforderung, die Wurzeln des hanseatischen Kaufmannsstolzes und Reichtums | |
| zu überdenken. | |
| Denn der Kolonialismus ist ja nicht vorbei. Auch in manchen Köpfen nicht: | |
| Wer auf einschlägigen Internetseiten nach Münzen aus den einstigen | |
| „Deutschen Schutzgebieten“ schaut, wird sich wundern über so viel | |
| Begeisterung über dem „Gold-Elefanten aus Deutsch-Ostafrika“, der mit | |
| erhobenem Rüssel vor dem Kilimandscharo steht; angepriesen als exquisites | |
| „Liebhaberstück“. | |
| „Der Kilimandscharo galt im Kaiserreich als,höchster Berg Deutschlands'“, | |
| schreibt dazu das Deutsche Historische Museum. „Der mit 5.895 Metern | |
| höchste Berg Afrikas – auch als,Kaiser-Wilhelm-Spitz' bezeichnet – war für | |
| das Deutsche Reich geradezu das Wahrzeichen seiner Kolonialpolitik.“ | |
| 2 Jun 2022 | |
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| [3] https://shmh.de/de/ausstellungen/macht-mittel-geld | |
| [4] https://www.yolandagutierrez.de/files/index_intro.php | |
| [5] /!s=markk/ | |
| [6] https://www.evalomby.com/ | |
| [7] https://acreol.org/team/chris-schwagga/ | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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