| # taz.de -- Unfairer Welthandel: Grüne Europa-First-Politik | |
| > Robert Habeck und Katharina Dröge behaupten, für einen fairen Welthandel | |
| > einzustehen. In Wirklichkeit setzen sie die Politik auf Kosten des | |
| > Globalen Südens fort. | |
| Bild: Seit Langem steht die EU-Handelspolitik in der Kritik | |
| Robert Habeck und Katharina Dröge wollen die europäische Handelsagenda neu | |
| gestalten. Ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben. Profit soll nicht mehr der | |
| bestimmende Faktor dafür sein, welche Waren von A nach B transportiert | |
| werden. Vielmehr sollen Nachhaltigkeit und Fairness zukünftig die | |
| Fahrtrichtung vorgeben. Europa müsse aus den Fehlern der Vergangenheit | |
| lernen und sich bei Handelsabkommen für mehr Transparenz und Partizipation | |
| von Zivilgesellschaft und Europarlament einsetzen. | |
| Chapeau! Durch den Wechsel der Grünen von der Oppositions- auf die | |
| Regierungsbank scheint die Kritik am Freihandel zur offiziellen Politik der | |
| Bundesregierung geworden zu sein. Trotzdem bereitet der Grünen-Vorschlag | |
| Unbehagen. Die Anliegen der Gesellschaften des Globalen Südens finden keine | |
| Beachtung. Aber globale Handelsregeln, die ihre Interessen nicht | |
| respektieren, sind alles andere als fair. Es passt gut in den gegenwärtigen | |
| Zeitgeist. Europa First! | |
| Der Artikel blendet aus, dass die EU-Handelspolitik seit Langem in der | |
| Kritik steht. Dies betrifft sowohl [1][das Agieren bei Verhandlungen | |
| innerhalb der WTO] als auch die Ausgestaltung bilateraler Abkommen. In der | |
| Hoffnung auf Zugang zum EU-Markt lassen Entwicklungsländer in Afrika, | |
| Südamerika und Südostasien ihre eigenen Märkte ungeschützt für | |
| EU-Exportinteressen. Kleinindustrien und Bäuer:innen in | |
| Entwicklungsländern bleiben auf der Strecke – Arbeitsplätze gehen verloren, | |
| Hunger und Armut wachsen. | |
| [2][Die WTO erlaubt der EU, weiter mit Milliarden seine Landwirtschaft zu | |
| subventionieren], aber Indien wird nur ausnahmsweise erlaubt, von | |
| Bäuer:innen Weizen aufzukaufen, um es in Armutsprogrammen zu verteilen. | |
| Dabei ist richtig: Entwicklungsländer stehen in einem multilateralen | |
| Handelssystem besser da, weil Entscheidungen einstimmig fallen müssen. | |
| Einzeln können sie ihre Interessen bei EU-Abkommen nicht durchsetzen. | |
| Dagegen fordern Habeck/Dröge von der EU ein noch „mutigeres“, zur Not auch | |
| ein unilaterales Voranschreiten; sehr gerne im transatlantischen Bündnis. | |
| Dieser Ansatz ist nicht neu. Bereits die TTIP-Verhandlungen sollten für die | |
| USA und die EU die Blaupause für die Handelspolitik des 21. Jahrhunderts | |
| bilden. Neu an dem Vorschlag ist nur, dass er von den Grünen kommt. Die | |
| Autoren interessiert nicht, ob die Entwicklungsländer an der | |
| Weiterentwicklung globaler Standards beteiligt sind. | |
| Sie kommen in der neuen Welthandelsordnung der Grünen gar nicht vor | |
| beziehungsweise sind passive Empfänger von Regeln führender | |
| Industriestaaten. Symptomatisch: Habeck und Dröge verlieren kein Wort zu | |
| Doha: [3][Mit einer 2001 in Katar gestarteten WTO-Verhandlungsrunde sollten | |
| Ausnahmen der neoliberalen Welthandelsregeln für Entwicklungsländer möglich | |
| werden], zum Beispiel verbesserter Marktschutz für Landwirtschaft und | |
| Industrien. Damit setzt die Ampel die Politik der alten Bundesregierung | |
| fort: Pro forma wird weiterverhandelt, de facto ist Doha begraben. | |
| Apropos neue Verhandlungen im Rahmen der WTO: Unbemerkt von der | |
| Öffentlichkeit werden schon seit drei Jahren sogenannte „neue“ Themen | |
| verhandelt – allerdings ohne klarem Mandat der Welthandelsorganisation und | |
| ohne Transparenz. Verschiedene „Koalitionen der Willigen“ verhandeln jene | |
| Themen hinter verschlossenen Türen, für die sie die Gesamtheit der | |
| WTO-Mitglieder nicht gewinnen konnten. Eine dieser Verhandlungen soll zu | |
| einem Abkommen zum digitalen Handel führen. Das könnte ein Lackmustest für | |
| Robert Habeck werden. Als er noch in der Opposition war, stand Habeck einem | |
| solchen Abkommen sehr kritisch gegenüber, da es die Bemühungen der | |
| EU-Kommission beeinträchtigen könnte, die europäische Digitalwirtschaft | |
| unabhängiger von den dominanten Digitalplattformen zu machen. | |
| Die Autoren werfen dem panasiatischen Handelsabkommen RCEP vor, keine | |
| Menschenrechtsstandards zu setzen. Sie selbst erwähnen die Menschenrechte | |
| bei ihrer Forderung nach Neuausrichtung der EU-Handelspolitik jedoch nicht. | |
| Dabei besteht für die EU dringender Handlungsbedarf. Seit Jahr(zehnt)en | |
| klafft bei der europäischen Menschenrechtspolitik eine enorme Lücke | |
| zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dabei verpflichtet sich die EU im | |
| Lissabon-Vertrag, ihre gesamte Außenwirtschaftspolitik und damit auch die | |
| Handelspolitik menschenrechtsgeleitet auszurichten. | |
| ## Menschenrechtsklausel wird gar nicht angewandt | |
| Eine in fast allen europäischen Handelsabkommen enthaltene | |
| Menschenrechtsklausel wird nur sehr selektiv oder gar nicht angewandt. | |
| Besonders gravierend ist die Untätigkeit Brüssels beim Handelsabkommen mit | |
| Mexiko, das 2000 in Kraft trat. In dem Land werden die Menschenrechte mit | |
| Füßen getreten. Seit die Regierung den Drogenkartellen im Jahr 2006 den | |
| Krieg erklärt hat, gab es Hunderttausende Gewaltopfer. In keinem Land der | |
| Welt werden mehr Journalist*innen und Aktivist*innen ermordet. | |
| Entsprechend problematisch sind die Verhandlungen für die Bundesregierung | |
| über ein neues EU-Mexiko-Abkommen. Für Außenministerin Annalena Baerbock, | |
| die mit dem Anspruch angetreten ist, die deutsche Außenpolitik feministisch | |
| auszurichten, ist ein solches Abkommen politisch brisant: In Mexiko gibt es | |
| die meisten Frauenmorde der Welt. | |
| Noch ist offen, wohin sich die deutsche und europäische Handelspolitik | |
| entwickelt. Die Bundesregierung und ihr Wirtschaftsminister Habeck sind | |
| nicht einmal sechs Monate im Amt. Noch ist Zeit für Kurskorrekturen: Die | |
| noch andauernde WTO-Ministerkonferenz macht deutlich, wie dringend | |
| notwendig eine Reform des Welthandels ist. Will Habeck tatsächlich eine | |
| globale Handelsordnung unterstützen, in der – auf Kosten des Globalen | |
| Südens – die Wirtschaftsinteressen der führenden westlichen | |
| Industrienationen die Regeln setzen, oder wird er den Versuch unternehmen, | |
| eine multilaterale und ausgleichende Handelspolitik einzufordern? | |
| 17 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
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