# taz.de -- Verkauf alter Autokennzeichen: Schwarze Kasse kein Kündigungsgrund | |
> Der Landkreis Holzminden hatte seine gesamtes KfZ-Zulassungsstellen-Team | |
> wegen Korruption gefeuert. Das war voreilig, befand das Arbeitsgericht | |
> nun. | |
Bild: Wochenlang konnten im Kreis Holzminden keine Autos zugelassen werden | |
Hildesheim taz | Es war schon eine kuriose Nachricht: Im November 2021 | |
musste das komplette Team der Kfz-Zulassungsstelle des Landkreises | |
Holzminden gehen. [1][Von einem Tag auf den anderen blieb die Behörde | |
geschlossen,] benachbarte Landkreise mussten aushelfen, damit überhaupt | |
noch Autos zugelassen werden konnten. Von einer schwarzen Kasse war die | |
Rede, Diebstahl, Unterschlagung, Korruption. | |
Jetzt haben zwölf Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht in Hildesheim gegen | |
ihre Kündigungen geklagt – zum Teil mit Erfolg. Die schwarze Kasse, so | |
schälte sich am Mittwoch vor Gericht heraus, war die Kaffeekasse. Dort | |
hinein floss vor allem Geld, das ein Schrotthändler für die entwerteten | |
alten Kennzeichen zahlte – und wohl das ein oder andere Trinkgeld. | |
Finanziert wurden damit Weihnachtsfeiern, Geburtstagsgeschenke oder | |
Blumensträuße zum Dienstjubiläum. In einer Excelliste verzeichneten die | |
Mitarbeiter säuberlich alle Zu- und Abgänge. Rund 5.000 Euro sollen in den | |
Jahren 2015 bis 2021 zusammen gekommen sein. | |
Diese Praxis gab es allerdings schon seit den 70er-Jahren – bis im November | |
2021 eine neue Leiterin ihren Dienst antrat. Die kam aus einem anderen | |
Landkreis und schlug sofort Alarm, schließlich darf [2][in einer deutschen | |
Behörde nicht einfach so mit öffentlichem Eigentum und Bargeld herum | |
hantiert werden.] | |
## Gesammelt wurde vor aller Augen – und Buch geführt auch | |
Das, findet Arbeitsrichterin Angelika Quentin, sei wohl unstrittig: „Hier | |
geht heute niemand mit einem Persilschein raus.“ Die knifflige Frage ist | |
allerdings, wie dieser Verstoß zu bewerten ist und ob er wirklich eine | |
fristlose Kündigung rechtfertigt. Denn die hatte der Landkreis ja umgehend | |
ausgesprochen – und zwar auf die denkbar rüdeste Art, finden jedenfalls die | |
Betroffenen. | |
Selbst mit Kollegen, die 30, 40 Jahre für die Behörde gearbeitet hatten, | |
wurde kurzer Prozess gemacht, erzählen sie noch immer empört im | |
Gerichtsflur. Überfallartig sei man zu einer Anhörung bestellt worden, dann | |
habe man ihnen den Zeiterfassungschip und die Schlüssel abgenommen und sie | |
nach Hause geschickt. | |
Wenige Tage später lagen die fristlosen Kündigungen im Briefkasten, | |
sicherheitshalber schob der Landkreis bei einigen auch noch eine | |
fristgemäße Kündigung hinterher. Vor allem erstere, deutet die Richterin | |
schon früh in der Verhandlung an, sei möglicherweise zu viel des Guten. | |
Das macht sie an zwei Umständen fest: [3][Zum einen hat es keine | |
Dienstanweisung gegeben], wie mit werthaltigem Abfall – und das sind die | |
Kennzeichen in diesem Fall – zu verfahren ist. Gleichzeitig fand die | |
Entsorgung vor aller Augen statt. Die alten Kennzeichen wurden in einem | |
Behälter im Flur gesammelt, wenn die Kfz-Halter sie nach dem Abmelden nicht | |
mitnehmen wollten. Der Behälter wurde regelmäßig in einen großen Container | |
auf dem Hof geleert. Niemand fragte weiter nach. | |
Auch die Belehrung der Mitarbeiter über Regelungen zur | |
Korruptionsbekämpfung seien unzureichend, befindet Quentin. Eine allgemeine | |
Dienstanweisung im Intranet sei nicht ausreichend, die | |
Verpflichtungserklärungen, die einige Mitarbeiter bei ihrem Dienstantritt | |
unterschrieben haben, seien geradezu „historische Dokumente“ – völlig | |
unzureichend nach heutigen Standards. | |
## Eine umstrittene Dienstanweisung von 1973 | |
Die klagenden Mitarbeiter fühlen sich vor allem in ihrem Ansehen geschädigt | |
und auch zu Unrecht an den Pranger gestellt. Immerhin hätten sämtliche | |
Vorgesetzte der vergangenen Jahrzehnte von dieser Vorgehensweise gewusst. | |
Die Anwälte glauben sogar eine Dienstanweisung aus dem Jahre 1973 | |
ausgebuddelt zu haben, der nie widersprochen wurde, die also immer noch | |
Gültigkeit haben müsste. | |
Die Vertreter des Landkreises bestreiten das und verweisen darauf, dass | |
sich die Stimmung in den Medien schnell zugunsten der Mitarbeiter drehte. | |
Wenn ein Ruf geschädigt worden sei, dann der des Landkreises. | |
Letztlich lässt sich die Mehrheit der Kläger auf Vergleiche ein: Die | |
meisten haben längst neue Jobs, pikanterweise in anderen Stellen des | |
öffentlichen Dienstes, und sie wollen diese Episode hinter sich lassen. Nur | |
zwei sind mit dem Vergleichsangebot des Landkreises derart unzufrieden, | |
dass sie es auf ein Urteil ankommen lassen. | |
Das fällt dann deutlich aus: Der Kreis muss sie wieder einstellen. Auch | |
wenn es um eine erhebliche Pflichtverletzung gehe, seien die fristlosen | |
Kündigungen unverhältnismäßig gewesen, befindet das Gericht. Es habe auch | |
ein erhebliches Organisationsverschulden gegeben. | |
Für den Kreis könnte es noch teure Folgen geben: Im Rahmen der Vergleiche | |
hat er zugesichert, die Gehälter nachzuzahlen. Dazu kommen Abfindungen in | |
unterschiedlichen Höhen: 800 Euro im niedrigsten Fall, über 12.000 Euro im | |
höchsten Fall. | |
Außerdem könnten noch Schadensersatzklagen von Autohäusern drohen, denen | |
vielleicht Verträge durch die Lappen gegangen sind, weil die Autos nicht | |
umgehend angemeldet werden konnten. Auch die aushilfsbereiten | |
Nachbarlandkreise werden ihre Leistungen in Rechnung stellen. | |
19 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sat1regional.de/vorwurf-der-unterschlagung-kfz-zulassungsstelle… | |
[2] /Korruption-in-Verwaltung-und-Wirtschaft/!5237518 | |
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Sch… | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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