# taz.de -- Glauben und Umweltschutz: Die grüne Rabbinerin | |
> Jasmin Andriani ist eine moderne Rabbinerin. Auch der Umweltschutz liegt | |
> ihr am Herzen. Hier knüpft sie an eine jüdische Tradition an. | |
Bild: Umweltschutz ist für die Rabbinerin Jasmin Andriani von jeher eine Herze… | |
Berlin taz | Als Jasmin Andriani durch den Berliner Grunewald geht, schaut | |
sie zu den Bäumen links und rechts. Sie schaut auf die blauen Lücken im | |
ansonsten wolkenbehangenen Himmel. All das lade zum Staunen ein. Die hohen | |
Stämme, das heruntergefallene Laub am Weg. Jede Pflanze sei einzigartig und | |
als solche besonders, sagt die politisch denkende Rabbinerin. Andriani | |
beschreibt die Natur als Wunder und erklärt: „Nach jüdischer Perspektive | |
glauben wir, dass Gott die Welt geschaffen hat.“ Den Menschen habe er „zum | |
Schluss hier reingesetzt“, um auf sein [1][Schöpfungswerk] aufzupassen. | |
Immer wieder wirbt Andriani in ihren Gottesdiensten darum für den Schutz | |
der Natur. „Meine Gemeinde in Göttingen hat mir den Spitznamen ‚grüne | |
Rabbinerin‘ gegeben. Neulich habe ich mich schon entschuldigt“, erzählt | |
sie. Andriani habe gesagt: „Es tut mir leid, ich rede schon wieder über | |
Umweltschutz. Aber es steht nun mal so in der Thora.“ Etwa in Worten wie | |
diesen: „Und die Erde ließ Grünes hervorgehen, Kraut, das nach seiner Art | |
Samen bringt, und Frucht tragende Bäume, in denen Samen nach ihrer Art ist; | |
und Gott sah, dass es gut war.“ | |
Als Rabbinerin ist Jasmin Andriani für die [2][liberalen jüdischen | |
Gemeinden in Hannover und Göttingen] zuständig. Sie lebt jedoch in Berlin, | |
unweit vom Grunewald, wo sie häufig spazieren geht. Dort hört sie Meisen, | |
Spatzen und Amseln singen. „Ich gehe gern in die Natur“, sagt sie. Andriani | |
trägt eine windfeste Jacke und lächelt viel. Der Lärm von Polizeisirenen | |
und einer Säge mischen sich an diesem Tag unter die Waldgeräusche. Doch | |
Andriani zuckt mit den Schultern. So sei das eben. „Der Grunewald ist ein | |
städtischer Wald“, sagt sie. | |
1983 geboren, erblickte Andriani in einer Großstadt das Licht der Welt: in | |
Tel Aviv. 1985 zog ihre Familie ins damalige West-Berlin. Der Hang zum Grün | |
bestimmte dennoch ihre Kindheit. Schon in jungen Jahren suchte Andriani im | |
Urbanen nach grünen Refugien. „Gärtnern hat mir immer sehr viel Spaß | |
gemacht“, sagt sie. „Bei meiner Oma in ihrem Garten hatte ich mein eigenes | |
Beet, wo ich mein Gemüse anbauen durfte.“ Solche Erfahrungen haben sie | |
geprägt. | |
## Menschen sind auch nur Gäste | |
In Andrianis Augen sind die Menschen auf der Erde nur zu Besuch. Und sie | |
tragen Verantwortung. Darum hat sie auch den passenden Spruch aus dem Buch | |
Levitikus ausgewählt, als sie 2020 am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam zur | |
liberalen Rabbinerin ordiniert wurde: „Mein ist das Land und ihr seid nur | |
Gäste hier bei mir.“ Andriani ließ sich ihren Ordinationsspruch auf ihren | |
Tallit, den jüdischen Gebetsmantel, sticken. Als liberale Rabbinerin denkt | |
sie nicht nur an die jüdische Tradition und die Vergangenheit, sondern auch | |
an die nachfolgenden Generationen. Auch ihre beiden Töchter sollen die | |
Natur bestaunen können. | |
Ihr ist es als Rabbinerin wichtig, die alten Texte ins Jetzt zu überführen: | |
„Im liberalen Judentum ignorieren wir ja nicht unsere moderne Welt. Wir | |
versuchen nicht, uns zurückzukatapultieren und im Mittelalter oder im | |
Altertum zu leben, sondern sagen: Wir leben im Jahr 2022.“ In ihren Augen | |
gilt das für den Umweltschutz genauso wie für das Thema | |
Geschlechtergerechtigkeit. Während Andriani spricht, bleibt sie immer | |
wieder stehen und lässt ihren Blick durch den Wald schweifen. | |
## Alle sieben Jahre soll der Acker ruhn | |
„Zum Thema Treibhausgase sagt die Thora natürlich nichts“, sagt sie dann. | |
Dennoch seien die alten Texte anschlussfähig. Auch an eine moderne | |
Kapitalismuskritik. Die Menschen kämen auf die Idee, „aus ihren | |
Produktionsmitteln alles rauszupressen, was geht“, sagt Andriani. Das gelte | |
auch für die Tiere. Sie protestiert: „Definitiv ist die Thora keine Werbung | |
für uneingeschränkten Kapitalismus.“ Vielmehr werben die alten Texte für | |
Entschleunigung. Andriani erinnert etwa an den Schabbat, den Ruhetag im | |
Judentum. Und sie weist darauf hin, dass nicht nur Mensch und Tier, sondern | |
auch der Acker nach jüdischer Tradition ruhen soll. Alle sieben Jahre, im | |
sogenannten Schabbat-Jahr, soll er einmal brachliegen. | |
Zwischen den Bäumen des Grunewalds tut sich ein See auf. Magisch glitzert | |
das Wasser in dem Licht, das sich durch die dichte Wolkendecke bricht. Doch | |
die Idylle wird nicht nur von unangenehmen Geräuschen gestört. Andriani | |
rümpft die Nase. „Es stinkt hier so krass, ich glaube wegen des | |
Mülleimers.“ Das Thema Müll treibt auch die Gemeindemitglieder in Göttingen | |
um. In Andrianis Gemeinde gibt es ein Komitee, das sich dem Klimaschutz | |
widmet. „Da kann man reingewählt werden, und dann überlegt man sich, wo es | |
konkret in der Gemeinde Energie zu sparen gibt oder welchen Verpackungsmüll | |
man vielleicht abschaffen könnte“, sagt sie und erklärt, dass bei | |
Zusammentreffen der Gemeinde kein Plastikbesteck mehr verwendet und mit | |
Ressourcen schonend umgegangen wird. | |
## Pionierin in Deutschland | |
Jede Gemeinde habe ihre eigenen Themen, sagt Andriani. Als Rabbinerin | |
stellt sie sich darauf ein. Sie freut sich, dass ihre Gemeinde in Göttingen | |
ihre Begeisterung für Umweltthemen teilt. Gerade auch unter den älteren | |
Gemeindemitgliedern spüre sie das. Sie erzählt von einer 92-Jährigen, die | |
eine Wildkräuterführung anbietet. „Da fallen meine Worte auf fruchtbaren | |
Boden, um im Bilde zu bleiben.“ | |
Während es in den USA eine ganze jüdische Klimabewegung gibt, ist Andriani | |
in Deutschland eine Pionierin. Dass es hierzulande keine vergleichbare | |
jüdische Klimabewegung gibt, läge schlicht daran, dass die jüdische | |
Community in Deutschland kleiner ist, ergibt eine Nachfrage bei dem | |
Zentralrat der Juden. Dennoch sei der Umweltschutz auch in deutschen | |
jüdischen Gemeinden immer wieder präsent. Viele starteten etwa am Mitzvah | |
Day Umweltaktionen – dem jüdischen Aktionstag für gute Taten. | |
Und dann ist da noch das jüdische Fest Tu BiSchwat, den „Geburtstag der | |
Bäume“, erinnert Andriani: „Wir haben also so einen ganzen Feiertag für | |
Pflanzen.“ Anlässlich des Fests werden in jüdischen Gemeinden Früchte | |
verköstigt, die das ganze Jahr ansonsten nicht gegessen wurden. Außerdem | |
spenden Gemeinden Geld, um in Israel Bäume zu pflanzen. An Festen wie Tu | |
BiSchwat zeigt sich für Andriani, dass sie den Umweltschutz als moderne | |
Rabbinerin nicht ganz neu erfinden muss: Er ist längst Teil der jüdischen | |
Tradition. | |
13 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Umweltschutz-unter-Muslimen/!5130364 | |
[2] http://ljgh.de/ | |
## AUTOREN | |
Lea De Gregorio | |
## TAGS | |
Umweltschutz | |
Judentum | |
Rabbi | |
klimataz | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
Jair Lapid | |
Sozialdemokratie | |
taz Plan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Auflösung des Parlaments in Israel: Einig wie nie | |
Nach dem Scheitern der Links-rechts-Koalition hat Israels Parlament seine | |
Auflösung beschlossen. Doch bis zur Neuwahl dauert es noch mehrere Monate. | |
Sozialismus und Religion: Weniger Befremden – mehr Respekt | |
Lange herrschte unter Linken der Irrglaube, die Religion werde bald | |
überholt sein. Tatsächlich gewinnt sie an gesellschaftlicher Bedeutung. | |
Ramadan in Berlin: Den Blick verändern | |
Wie lässt sich die Brücke schlagen vom wenig nachhaltigen und sozialen | |
Jetzt zu einer menschenfreundlicheren Zukunft? Einige Anlässe. | |
Debatte Post aus New York: Der neue Hirte und die Gemeinden | |
Post aus New York: Mit Obama wird Religion in den USA weiter eine große | |
Rolle spielen. Evangelikale Christen treten jetzt aber auch für Armenhilfe | |
und Umweltschutz ein. |